Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist nach zwei Monaten Dauerbombardement der israelischen Armee in Reaktion auf die Hamas-Terrorangriffe vom 7. Oktober dramatisch. Vergeblich drängen UN-Generalsekretär António Guterres und weite Teile der internationalen Gemeinschaft auf einen Waffenstillstand. Eine entsprechende Resolution des Weltsicherheitsrats haben die USA am vergangenen Freitag mit ihrem Veto verhindert, so dass Israel die Terrorangriffe auf die eingesperrte Zivilbevölkerung in Gaza ungestraft fortführen kann. Rückendeckung gibt es dafür weiterhin von der Ampel-Regierung in Deutschland. Dem Aufruf von Kanzler Scholz und anderen Promis aus Politik und Showbiz zur „Stand with Israel“-Demonstration vor dem Brandenburger Tor unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ – samt AfD-kompatiblem Nachsatz „Deutschland steht auf“ – folgten indes nur wenige, was für das Bewusstsein der Berliner Normalbevölkerung spricht.
Infolge der massiven Zerstörungen und anhaltenden Kämpfe zwischen israelischer Armee und bewaffneten palästinensischen Gruppen in Gaza wurden mittlerweile etwa 1,9 Millionen Menschen vertrieben, darunter fast eine Million Kinder. Die Region Rafah entlang der Grenze zu Ägypten ist in ein riesiges Flüchtlingslager verwandelt, das nur unzureichend versorgt werden kann. Die Beschränkungen und Hindernisse für Hilfslieferungen in den Gazastreifen kommen einem „Todesurteil für die Kinder“ gleich, warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef. Die Hilfsorganisation Oxfam nennt die Lage „apokalyptisch“.
Laut UN leidet die Hälfte der Bevölkerung im Gazastreifen inzwischen unter Hunger. Kinder trinken Berichten zufolge Meerwasser, weil es nicht mehr genug sauberes Trinkwasser gibt. In den hoffnungslos überfüllten Notunterkünften breiten sich Krankheiten aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert eine Ausweitung der humanitären Hilfslieferungen. Der Exekutivrat in Genf nahm auf einer Sondersitzung am Sonntag ohne Abstimmung eine entsprechende Resolution an. Vertreter der USA, Deutschlands und anderer NATO-Länder bemängelten, dass die Angriffe auf Israel am 7. Oktober in dem Text nicht erwähnt und verurteilt werden. Einen anderen Akzent setzte Russlands Präsident Wladimir Putin im Telefonat mit Israels Premier Benjamin Netanjahu: Moskau lehne Terrorismus ab, könne jedoch die „düstere“ Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen nicht unterstützen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte, es sei nicht akzeptabel, dass Israel den Hamas-Angriff als Rechtfertigung für eine „kollektive Bestrafung“ des palästinensischen Volkes nutze, und rief laut Nachrichtenagentur Reuters dazu auf, vor Ort internationale Beobachter einzusetzen.
13 der 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats hatten zuvor zwar für eine Resolution zum Waffenstillstand gestimmt, allerdings legten die USA ihr Veto gegen den von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingebrachten Entwurf ein, Britannien enthielt sich. Damit stellten sich jene beiden NATO-Länder gegen einen Kriegsstopp, die im Frühjahr 2022 eine mögliche Verhandlungslösung in der Ukraine durch umfassende Waffenzusagen für Kiew verhindert haben. Israels Außenminister Eli Cohen nannte UN-Generalsekretär Guterres nach dessen Anrufung des Weltsicherheitsrats, sich für einen humanitären Waffenstillstand einzusetzen und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, „eine Gefahr für den Weltfrieden“.
Zu diesem Zynismus passt das Zweizeiler-Urteil des Publizisten Michel Friedman auf der „Großkundgebung“ in Berlin am 10. Dezember, dem „Tag der Menschenrechte“: „Bei Israel ist die Regierungskritik eine Vernichtungskritik. Wer Israel vernichten will, ist ein Antisemit.“ Ein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus ist diese Carte blanche für Netanjahus Krieg gerade nicht. Die geringe gesellschaftliche Resonanz für derlei Cancel-Culture und unbedingte Israel-Solidarität ist insofern ermutigend, ebenso der international lauter werdende Ruf nach einem Stopp des Krieges und einer politischen Lösung des Nahost-Konflikts.