Zum Ruf der Grünen nach einer Zeitenwende im Innern

Anwanzen nach rechts

Es war wohl auch Wahlkampfpanik dabei. Am 28. August, also kurz vor dem Desaster für die Grünen bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, veröffentlichte die Partei mit großem medialem Widerhall ein Papier mit dem Titel „Die Zeitenwende auch in der Innenpolitik endlich entschlossen umsetzen!“ Als Autoren wurde zunächst die zweite Garde auf dieses Minenfeld geschickt – gezeichnet war es von der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin ihrer Bundestagsfraktion und dem Innenpolitischen Sprecher. Das Papier abzutun als einen Verzweiflungsakt, der offensichtlich gefloppt ist, wäre fahrlässig. Denn das Papier liest sich wie ein Koalitionsangebot der Grünen nach ganz rechts.

Der Aufhänger ist, wie kann es anders sein, das Attentat von Solingen. Der Zeitenwende-Bezug gleich im Titel hat einen feinen Humor. So wie die massiven Aufrüstungspläne vor dem 24. Februar 2022 schon lange in den Schubladen des Kriegsministeriums lagen, so köchelte auch diese Zeitenwende für die Innenpolitik offenbar schon länger vor sich hin und suchte sich mit Solingen den Aufhänger für mediale Zustimmung. Das Papier erfüllte damit auch den Zweck, das Friedensthema als Wahlkampfthema durch geschürte Ausländerfeindlichkeit und Islamistenhysterie aus den Diskussionen zu verdrängen. Diese Versuche werden bis zu den Bundestagswahlen 2025 weiterlaufen und, massiv unterstützt durch die herrschenden Medien, die politische Achse weiter nach rechts verschieben.

Es solle endlich, so die Grünen, „verinnerlicht“ werden, „dass es Sicherheit nicht zum Nulltarif gibt und der Schutz unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates Geld kostet“. Also wird nach dem 100-Milliarden-Kriegskredit nun ein milliardenschwerer Polizei- und Geheimdienstkredit gefordert – im Orwellschen Neusprech, der zur neuen Amtssprache dieser Republik geworden ist, als „Sondervermögen für die Innere Sicherheit“ bezeichnet. Damit sollen neue Stellen in Polizei und Geheimdiensten finanziert werden, die das Schnüffeln in der Volksgesinnung flächendeckend ermöglichen sollen. „Spezielle Rechtsgrundlagen“ sollten künftig „lange Dienstwege abkürzen“ und den Bundesbehörden Zugriffe auch über die Hemmschwellen der föderalen Struktur ermöglichen – die historisch übrigens eine Reaktion auf die Allmacht von Reichsinnenbehörden in der Zeit des Faschismus war. Verbessert werden sollten die Möglichkeiten des Staatsapparates, „verdeckt in sozialen Netzwerken zu arbeiten“ – im Klartext: Wer was in WhatsApp schreibt, soll künftig wissen, dass ein Beamter mitlesen wird. Das alles verbindet sich mit wütenden Forderungen, „Islamisten“ aus dem Land zu werfen und ihnen „den Garaus zu machen“.

In Inhalt und Sprache ist das Papier der Versuch des parlamentarischen Arms des akademisch eingebildeten Kleinbürgertums, sich dem der wirklich herrschenden Klasse, den Monopolen, nun auch als Polizeikraft im Inneren anzuwanzen. Die Bereitschaft zum militärischen Marsch nach Osten wird ergänzt durch die Bereitschaft zur staatlichen Schnüffelei und Prügelei nach Innen – Hauptsache, die Panzer haben Biosprit-Beimischung und die Polizistenserver sind mit Windkraft betrieben. Der reaktionäre Staatsumbau soll beschleunigt und vertieft werden, um dieses Land auch im Inneren kriegsfähig zu machen.

Parlamentarisch übersetzt, dient das Papier als Grundlage künftiger Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und den Grünen. Ob das allerdings zur Sicherung der Ministersessel reichen wird, ist seit dem letzten Wochenende zweifelhaft.

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"Anwanzen nach rechts", UZ vom 6. September 2024



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