Vor 30 Jahren starb der DDR-Kulturpolitiker Hans-Joachim Hoffmann

Anwalt der Künstler

Vor dreißig Jahren, am 19. Juli 1994, ist Hans-Joachim Hoffmann, von 1973 bis 1989 Minister für Kultur der DDR, in Berlin gestorben. Als wir uns von ihm verabschiedeten, hielt der Schriftsteller Hermann Kant eine warmherzige, die politische und menschliche Integrität Jochen Hoffmanns würdigende Rede: „Selten sah man Sachlichkeit und Leidenschaft so nahe beieinander wie in diesem Gefährten.“ Wir hörten das, als wären es eigene Beobachtungen.

Grübelnd anpacken

Jochen Hoffmann wurde 1929 in Bunzlau als Arbeiterkind geboren. Nach der Volksschule erlernte er den Beruf eines Elektromonteurs, trat 1945 in die KPD ein, übte ab 1948 verschiedene Funktionen in der FDJ und in der SED auf Kreis- und Bezirksebene aus. 1971übernahm er die Leitung der Abteilung Kultur des ZK der SED. Im Jahre 1973 wurde er als Nachfolger von Klaus Gysi zum Minister für Kultur berufen. Jochen Hoffmann sagte mir mal, er sei sich nie darüber im Klaren gewesen, ob sein Transfer in den Staatsdienst als Auf- oder Abstieg gemeint war. Aber das konnte ihm egal sein. In der neuen Funktion boten sich bessere Chancen, die kulturpolitischen Spielräume im Lande zu weiten und die Kunstschätze der DDR gerade zu Zeiten deren völkerrechtlichen Anerkennung in die Waagschale internationaler Geltung zu legen. Die Künstler sahen in ihm einen Staatsmann, der sich ihrer Probleme annahm und Übereinstimmungen oder wenigstens Dämpfungen im Spannungsfeld von Kulturpolitik und künstlerischer Praxis herstellen konnte.

Als die 6. Tagung des ZK der SED im Mai 1972 die dogmatischen Postulate des 11. Plenums aus dem Jahre 1965 räumte, war es Jochen Hoffmann gewesen, der noch als ZK-Abteilungsleiter um einen weiten Kulturbegriff und eine wirklichkeitsnahe Konfliktgestaltung in der Kunst gerungen hatte. So begann der neuberufene Kulturminister seine Arbeit in einer Aufbruchsstimmung. Sie wurde von der Ausweisung Wolf Biermanns getrübt. Diese falsche Entscheidung Erich Honeckers, das ahnte wie die Politbüromitglieder Kurt Hager und Werner Lamberz auch Hoffmann, würde fatale Auswirkungen auf das kulturpolitische Klima haben. Um eine nachhaltige Konfrontation zwischen Staat und Künstlern abzuwenden, setzte der Minister entschieden auf Dialog. Ein politischer Fehler durfte die DDR-Kulturlandschaft nicht veröden. Das geschah auch nicht. Trotz des schmerzhaften Weggangs wichtiger Künstler fand in allen Genres der Kunst Bemerkenswertes seine Podien. Bedeutende Kunststätten wie der Berliner Friedrichstadtpalast, das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das Leipziger Gewandhaus oder die Dresdener Semperoper wurden in Hoffmanns Amtszeit wiedererrichtet. Der Minister wollte, wo immer es ihm möglich war, ein Anwalt der Künstler sein. Wenige wussten, wie sehr der Zwiespalt zwischen ideologischen Verengungen und politischem Weiterdenken, damit auch seine engagierte Vermittlerrolle zwischen Staatsräson und Künstlerinteressen, zulasten seiner Gesundheit gingen.

Balance auf Wahrheiten

Im September 1988 veröffentlichte die westdeutsche Zeitschrift „Theater heute“ ein Interview mit Joachim Hoffmann. Es titelte mit dessen hellsichtiger Bemerkung „Das Sicherste ist die Veränderung“ und ließ Sympathien für Gorbatschows Politikansatz von Glasnost und Perestroika erkennen. Auf Stücke von Schatrow, Müller und Braun angesprochen, erklärte Hoffmann: „Es gibt ein neues Denken, in der So­wjet­union, in anderen Ländern, bei uns. Das ist nicht nur im Kommen, das ist Normalität.“ Zugleich mochte er Theaterleute, die die DDR verlassen hatten, nicht ohne Ansehen der Umstände und ihrer Motive als Abtrünnige bezeichnen. Für seine Aussagen wurde er stark gerügt. Während einer persönlichen Zurechtweisung verlor der Minister das Bewusstsein und kam bei Lebensgefahr ins Krankenhaus. Unter der Anteilnahme vieler Kollegen und Künstler erholte er sich, und Gerüchte von seiner Ablösung verebbten bis zur turnusmäßigen ZK-Sitzung im Dezember 1988. Selbst ZK-Mitglied, wurde er zu einer Stellungnahme aufgefordert. Sie klang der Tagungsleitung zu uneinsichtig. Im ZK vertretene Künstler erwirkten schließlich bei Erich Honecker eine Beilegung des Ministerbashings. Hoffmann, der sich auch gegen das Verbot des sowjetischen Magazins „Sputnik“ und einer Reihe sowjetischer Filme gewandt hatte, war der erste DDR-Staatsmann und Parteifunktionär, der sich für eingreifende Korrekturen in der Kulturpolitik aussprach und dabei die Gesellschaft meinte.

„Wir könnten einige Hoffmanns brauchen“

Am 7. November 1989 trat mit der Regierung Stoph auch Kulturminister Hoffmann zurück. Für dessen Nachfolge im Modrow-Kabinett hatte sich sein Staatssekretär Dietmar Keller empfohlen. Es gab aber Stimmen, die in der schwierigen Lage, in die die DDR geraten war, auf die Expertise Jochen Hoffmanns nicht verzichten wollten. Egon Krenz, der neue SED-Generalsekretär, sah es wohl ebenso, denn er forderte Hoffmann telefonisch auf, im Amt zu bleiben. Hans Modrow indes hielt an Keller fest. Mehr als sein Abschied aus dem Ministeramt grämte Jochen Hoffmann der bald eintretende Verlust kultureller Errungenschaften. Nach seinem ersten Herzinfarkt machte er sein langjähriges Hobby zum Beruf. Mit seinen profunden, autodidaktisch erworbenen Fähigkeiten am Computer suchte er sich 1991 eine ABM-Stelle, in der er ehemaligen Funktionären das EDV-Rüstzeug für neue Aufgaben im Sozialwesen antrainierte. Als die Stelle gestrichen wurde, fraß sich Leere in seine Psyche. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich, bis er an jenem Julitag1994 starb.

Wer die faire Zusammenarbeit mit Jochen Hoffmann schätzte, wird sich an seinen geraden Rücken erinnern. Der konnte manches aus- und abhalten. Wo jüngere Neugier wieder danach fragt, was an materiellen und ideellen Leistungen aus dem Erbe der DDR in die Nationalkultur des größer gewordenen Deutschlands eingebracht wurde, stößt sie auf sein Wirken. Von dem Leipziger Malergenie Werner Tübke war um die Jahrtausendwende zu lesen: „Wir könnten heute schon einige Hoffmanns brauchen.“ Denkt man allein an den Verweis von Kulturbedürfnissen an eine exklusive, für viele Menschen unerschwinglich gewordene Warenwelt, dann wünschte man sich, Hoffmanns aus Dummheit gescholtener Satz wäre eine visionäre Hoffnung: „Das Sicherste ist die Veränderung.“

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"Anwalt der Künstler", UZ vom 2. August 2024



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