Wie fühlte sich der feine „Herr“ aus Ehingen, Anton Schlecker, persönlich angegriffen und beleidigt, weil er beispielsweise im Betriebsräte-Info „Handeln“ des Fachbereichs Handel der ver.di Bezirk Südhessen Nr. 8 vom 24. August 2009 asozialer Machenschaften bezichtigt und ihm vorgeworfen wurde, „seine nicht zimperlichen regionalen ‚Wachhunde‘ zu entsprechendem Verhalten“ anzuweisen? Dies geschah im Zusammenhang mit der Eröffnung eines neuen Schlecker-XL-Marktes im südhessischen Groß-Bieberau und einer dort von ver.di veranstalteten Protestkundgebung gegen die organisierte Tarifflucht von Anton Schlecker.
Der ehemalige „König unter den Drogeriemarktbetreibern“, wie ihn das „manager magazin“ in seiner diesjährigen Dezemberausgabe bezeichnet, sah die Vorwürfe als geeignet an, ihn „in seiner Ehre zu verletzen“. Sie richteten sich gegen den „sozialen Geltungswert“ Anton Schleckers, „da ihm hiermit die Fähigkeit aberkannt werde, seinen Beruf und seine Verantwortung als Unternehmer wahrzunehmen“. Zudem handele es sich bei der Unterstellung asozialer Machenschaften „offensichtlich um Beleidigungen“. Das gelte auch „für das in Anführungszeichen gesetzte ‚Herr‘, das offensichtlich eine Herabwürdigung bedeuten“ solle, weil es „den personalen Geltungswert“ Anton Schleckers angreife; denn es bedeute, „dass der Gemeinte den Titel nicht verdiene“.
Deshalb ließ er gegen ver.di auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung solcher „Behauptungen“ klagen und beantragte ein „Ordnungsgeld bis zu EUR 250000, ersatzweise … Ordnungshaft bis zu sechs Monaten“. Anton Schleckers Rechtsstreit gegen die angebliche „Ehrverletzung“ ging damals vom Arbeitsgericht Ludwigsburg zum Landgericht, dann zum Oberlandesgericht in Stuttgart, um schließlich beim Arbeitsgericht Stuttgart zu landen. Dort fiel das Urteil am 10. März 2010. In ihrer Entscheidung wiesen die Richter die Klage zurück, weil sie in den angegriffenen Äußerungen des Infos „Handeln“ keine „unzulässige Schmähkritik“, sondern Werturteile sahen, die „vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt“ seien. Das betreffe auch das „Herr“ in Anführungszeichen, da ver.di in ihrer Veröffentlichung „Personalabbau und Tarifflucht als Verstoß gegen die guten Sitten“ bezeichnet „und in diesem Zusammenhang dem verantwortlichen Unternehmer“ vorgehalten habe, „dass er – daran gemessen – zu Unrecht einen guten Ruf in der Gesellschaft“ genieße. Das Setzen der Anführungszeichen drücke aus, dass er „seinen guten Ruf ruiniere, wenn er so weitermache“. Anscheinend hatte der „ehrenwerte“ Anton Schlecker schon lange vor der von ihm zu verantwortenden Insolvenz das Märchen vom angeblich „ehrbaren Kaufmann“ durch sein Verhalten nicht nur „entzaubert“, sondern mit beiden Füßen „in den Dreck“ getreten.
Deshalb ließen ihn die deutlichen Hinweise seitens ver.di und des Arbeitsgerichts Stuttgart erwartungsgemäß „kalt“, ohne dass er sich vor oder in der 2012 eröffneten Insolvenz irgendwie erkennbar „gebessert“ hätte. „Der Mann lebt bis heute leider in einer anderen Welt“, soll ein „Kenner der Familie“ dem „manager magazin“ erzählt haben. Diese „andere“ Welt war für ihn damals wohl jene des fließenden Übergangs von Recht zu Unrecht sowie eines fragwürdigen Führungsstils durch straffe Befehle und verpflichtenden Gehorsam, der in den Verkaufsregionen nicht selten in tagtägliches Bespitzeln, Schikanieren und Demütigen der Verkäuferinnen mündete.
Die im April 2016 durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhobene Klage gegen Anton Schlecker betrifft allerdings nicht das in dessen Unternehmen gezielt entwickelte und bewusst „verfeinerte“ üble Verhalten von Führungskräften gegenüber den Beschäftigten. Die Richter werden sich offenbar dem Vorwurf gegen ihn widmen, er habe „trotz drohender Zahlungsunfähigkeit in 36 Fällen Vermögenswerte beiseite geschafft, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens im Abschluss der Geschäftsjahre 2009 und 2010 unrichtig wiedergegeben sowie vor dem Insolvenzgericht falsche Angaben gemacht und diese dann auch noch an Eides statt versichert“ („manager magazin“).
Wie die offenbar am 6. März 2017 vor dem Landgericht Stuttgart zu verhandelnde Anklage Anton Schleckers auch begründet sein wird, die ehemaligen Beschäftigten und Betriebsräte werden das Verfahren sicher mit größter Aufmerksamkeit verfolgen. Denn der auf seine „Ehre“ wie seinen „sozialen Geltungswert“ so bedachte feine „Herr“ aus Ehingen schuldet ihnen nach einem Sozialplan, der durch die Insolvenz „ausgehebelt“ wurde, nicht nur Abfindungen in dreistelliger Millionenhöhe; allein im Bezirk Darmstadt mit etwa 110 Beschäftigten lag die Gesamtsumme bei etwa 1,7 Millionen Euro. Schlimmer ist für viele auch heute noch, dass Anton Schlecker ihre Nerven und auch ihre Würde „auf dem Gewissen“ hat. Doch dafür gibt’s bekanntlich (bislang) keine Strafe. Deshalb darf es nicht verwundern, wenn der Gerichtssaal in Stuttgart bei den Verhandlungen „aus allen Nähten platzt“, weil allein schon die Anklage des Ex-“Königs“ für nicht wenige ehemalige Beschäftigte eine längst (über)fällige Genugtuung darstellt.