Eine Chronik der Repression im Januar und Februar 2025

Antipalästinensische Kampagne geht weiter

Von Leon Wystrychowksi

Was die Palästina-Solidaritätsbewegung und die gegen sie gerichtete Repression angeht, begann das Jahr 2025 so wie das Jahr 2024 endete. Zur Erinnerung: Im November verabschiedete der Bundestag die sogenannte „Antisemitismus-Resolution“, in der er jeder Kritik an Israels Völkermord-Politik den Kampf ansagte und nicht zuletzt ein Verbot der weltweiten Boykott-Bewegung BDS ankündigte. Anfang Dezember wurde Ramsis Kilani aus der Linkspartei ausgeschlossen. Dem jungen Palästinenser, der 2014 seinen Vater, seine Stiefmutter und fünf Geschwister im Alter zwischen vier und zwölf Jahren bei einem israelischen Anschlag im Gazastreifen verloren hatte, wurden „Relativierung des Terrors der Hamas, selektive Kritik an Gewalt gegen Frauen als Mittel der Kriegsführung und die Ablehnung des Existenzrechts Israels“ vorgeworfen. Zwei Wochen später diente ein „Antikolonialer und Friedensweihnachtsmarkt“ in Darmstadt mehreren einschlägig bekannten Politikern, Medien, der „Jüdischen Gemeinde“ sowie „besorgten“ Evangelikalen als Anlass, gegen eine lokale Palästina-Gruppe und die für den Weihnachtsmarkt mitverantwortliche Kirchengemeinde zu schießen, Strafanzeigen zu stellen und sogar Morddrohungen auszusprechen.

Wissenschaft nur noch in Privaträumen

Die wissenschaftliche Konferenz unter dem Titel „Talking about (the silencing of) Palestine“, die am 16. und 17. Januar in Frankfurt am Main stattfand, musste zwar in private Räume umziehen, nachdem die Goethe-Universität den Veranstaltern die zuvor gebuchten Räume entzogen hatte, doch immerhin konnte das Event ohne polizeiliche Belästigungen stattfinden und wurde – im Gegensatz zum Palästina-Kongress im April 2024 in Berlin – auch nicht gewaltsam aufgelöst.

Razzien und Verbotsverfahren in Hessen

Knapp eine Woche später, am 22. Januar, stürmten Polizeibeamte allerdings mehrere Wohnungen in Frankfurt und Darmstadt. Die Begründung: Es gehe darum, Beweismittel sicherzustellen, die dabei helfen sollen, den Palästina e.V. zu verbieten. Das Absurde: Der in Frankfurt aktive Verein hatte sich bereits im November 2024 selbst aufgelöst.

Kinder schlagen kostet 800 Euro

Weiter ging es dann wieder einmal in Berlin: Am 24. Januar stellte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten das Verfahren gegen einen Lehrer ein, der am 9. Oktober 2023 an einer Schule in Neukölln einen 16-jährigen Schüler ins Gesicht geschlagen hatte. Der Hintergrund war, dass der Jugendliche eine Palästinafahne mit in die Schule gebracht und diese auf dem Schulhof gezeigt hatte. Den Preis, um als Pädagoge einen schutzbefohlenen Minderjährigen in aller Öffentlichkeit körperlich zu misshandeln, wurde von dem Gericht auf 800 Euro festgelegt. Während der Lehrer seit diesem Vorfall krankgeschrieben ist, musste der Schüler die Schule wechseln. Außerdem ist noch offen, ob auch gegen ihn Klage erhoben wird, weil er den Übergriff des Lehrers mit einem Tritt beantwortete.

Berufsverbote in der Mache

Passend zu dieser Gerichtsentscheidung verabschiedete der Bundestag in der Woche darauf eine Resolution, die sich vorgeblich gegen „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen“ richtet. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Ergänzung und Verschärfung der Resolution von November 2024. Anders als diese wurde dieser Willenserklärung des Parlaments jedoch kaum öffentliche Beachtung geschenkt und so blieb auch die relativ breite Kritik aus, die es im Oktober und November noch gegeben hatte. Dabei hat es auch diese Resolution in sich: Es handelt sich um einen massiven Angriff auf die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Mit ihr werden neue Berufsverbote und die Zusammenarbeit von Lehreinrichtungen mit Repressions- und Überwachungsbehörden forciert.

Arabisch? Verboten!

Anfang Februar erließ die Berliner Polizei ein Sprachverbot für Palästina-Demonstrationen: Für Reden, Plakate, Slogans und Musik gilt ab sofort eine Deutsch- oder Englisch-Pflicht. Es handelt sich also vor allem um ein faktisches Arabisch-Verbot. Ganz neu ist das nicht: Derlei Verbote gab es bereits in den letzten beiden Jahren auf Palästina-Demos in verschiedenen Ruhrgebietsstädten. Auf dem Palästina-Camp vor dem Reichstag wurde im Sommer 2024 neben Arabisch auch Hebräisch verboten. Neu ist allerdings, dass die Berliner Behörden erklärten, dieses Verbot gelte „bis auf Weiteres“ für alle Versammlungen in der Bundeshauptstadt.

Palästinenser sollen abgeschoben werden

Am Abend des 12. Februar wurden in Berlin zwei Palästinenser aus Gaza festgenommen und inhaftiert: Die jungen Männer aus Gaza sollten am nächsten Tag nach Griechenland abgeschoben werden. Nach Protesten in Berlin, zahlreichen wütenden Anrufen bei der griechischen Fluggesellschaft, die die Deportation durchführen sollte, und anwaltlicher Intervention konnte die Abschiebung bislang offenbar aufgeschoben werden. Die BRD hat mit ihrem „Asylkompromiss“ 1993 und der Dublin-II-Verordnung 2003 die rechtlichen Grundlagen geschaffen, um nahezu alle Asylsuchenden in „sichere Drittstaaten“ abzuschieben. Griechenland als EU-Mitglied gilt als ein solches „sicheres Drittland“, doch sind die menschenunwürdigen Lebensverhältnisse in den dortigen Lagern seit Jahren auch in Deutschland berüchtigt, weshalb eine Aussetzung der Abschiebung realistisch scheint.

Die beiden Betroffenen sollen aus Khan Younis stammen und waren bekannt für ihren Aktivismus gegen den Genozid in ihrer Heimat. Die Springer-Presse nannte sie „Dirigenten der Palästinenser-Proteste“ in Berlin und sprach in üblicher rassistischer Manier von „Clan“-Mitgliedern. Sie sind nicht die ersten Palästinenser, die seit dem 7. Oktober 2023 von Abschiebungen betroffen sind. In ihrem Fall scheint es jedoch besonders offensichtlich, dass der deutsche Staat seine rassistische Politik derzeit nicht primär nur zum Ablenken von Missständen und zum Spalten der Bevölkerung einsetzt, sondern gezielt, um politisch Oppositionelle in diesem Land, die gegen Rassismus, Krieg und Genozid aufstehen, loszuwerden.

Erneut „Eklats“ auf Berlinale

Auch die diesjährige Berlinale, die vom 13. bis 23. Februar in Berlin stattfand, machte in den deutschen Mainstream-Medien wegen angeblichen „Antisemitismus-Skandalen“ von sich reden. So las der chinesische Regisseur Jun Li eine Rede des iranischen Schauspielers Erfan Shekarriz vor, in der es hieß, dass Millionen Palästinenser unter Israels brutalem Siedlerkolonialismus erstickten. Der BRD warf er vor, den Genozid an den Palästinensern zu unterstützen. Die schottische Schauspielerin Tilda Swinton, der auf den Filmfestspielen der Goldene Ehrenbär für ihr Lebenswerk verliehen wurde, erklärte auf der Pressekonferenz ihre Sympathie für die BDS-Bewegung. Skandalös dabei war erneut ausschließlich der Umgang der deutschen Medien mit diesen Meinungsbekundungen und den Ausfällen des Zentralrats der Juden in Deutschland, der von „Hamas-Parolen“ auf der Berlinale schwadronierte.

Verbotsvorbereitungen in Sachsen

Parallel dazu wurde durch einen Bericht der „Leipziger Volkszeitung“ bekannt, dass der sächsische Verfassungsschutz die Gruppe „Handala“ aus Leipzig offenbar verstärkt ins Visier nimmt. Zwar taucht die Gruppe bereits seit 2023 im regionalen Verfassungsschutzbericht auf, Doch jetzt beschäftige sich auch das sächsische Wissenschaftsministerium mit ihr, da angeblich einige Mitglieder an der Universität Leipzig arbeiten. Der Verfassungsschutz ordnet Handala dem „säkularen Ausländerextremismus“ zu. Außerdem richte sich die Organisation „insbesondere gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ und solidarisiere sich mit der Hamas. Vor allem die beiden zuletzt genannten Vorwürfe lassen aufhorchen, denn mit genau denselben haltlosen Unterstellungen wurde im Sommer letzten Jahres die Gruppe „Palästina Solidarität Duisburg“ vom NRW-Innenministerium verboten. Die Repressionsorgane in Sachsen scheinen sich also auf ein Verbot von Handala vorzubereiten und dafür Stimmung in den Ministerien und den bürgerlichen Medien zu machen.

Keine Bühne für UN-Sonderberichterstatterin

Zuletzt wurden dann zwei Auftritte der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, in München und Berlin auf Druck aus der Politik gecancelt. Am 16. Februar sollte Albanese eigentlich an der Ludwig-Maximilians-Universität München und am 18. Februar an der Freien Universität Berlin sprechen. Nachdem auch ein zweiter Veranstaltungsort kurzfristig abgesagt wurde, konnte das Event immerhin doch noch in den Redaktionsräumen der Tageszeitung „junge Welt“ stattfinden. Allerdings stürmte auch hier die Polizei die Veranstaltung. Anders als beim Palästina-Kongress wurde sie zwar nicht aufgelöst, doch folgten die Behörden einem Beispiel aus Duisburg, wo ihre Kollegen im Dezember 2023 ebenfalls eine Diskussionsveranstaltung mit Zaid Abdulnasser und dem Autor dieses Textes zu einer „Versammlung in geschlossenen Räumen“ erklärt, den Veranstaltungsort mit Polizeiautos umstellt und darauf bestanden hatte, dass der Staatsschutz teilnehmen müsse, um „eingreifen“ zu können. So geschah es diesmal auch in Berlin.

Österreich: Ein drohendes Parteiverbot und ein „Hamas-Journalist“

Wenn man es trotz der Zuspitzungen in Deutschland und der Lage in Palästina noch schafft, auch einen Blick in die europäischen Nachbarstaaten zu werfen, stellt man fest, dass die Repression in einigen dieser Länder durchaus vergleichbar mit der in Deutschland ist.

In Österreich etwa planen die rechte FPÖ und die konservative ÖVP offenbar ein Verbot der „Liste Gaza“, die sich im vergangenen Jahr gegründet und an den Wahlen zum Nationalrat im September 2024 beteiligt hat. Außerdem wurde in Wien Anfang Februar der britische Journalist Richard Medhurst festgenommen: Seinem Bericht zufolge wurde er von der österreichischen Einwanderungsbehörde vorgeladen, vor Ort aber mit Geheimdienstmitarbeitern konfrontiert, die ihm einen Durchsuchungsbefehl zeigten und daraufhin mit ihm zu seiner Wohnung fuhren. Der Vorwurf gegen den seit Jahren in Österreich lebenden Journalisten laute: „Mitgliedschaft in der Hamas“ beziehungsweise bei den „Izz ad-Din al-Qassam“-Brigaden, dem bewaffneten Arm der Hamas. Zudem hätten sie ihm mit zehn Jahren Gefängnis gedroht.

Schweiz: Journalist festgenommen und abgeschoben

In der Schweiz wurde Ali Abunimah, der Journalist und Geschäftsführer des international bekannten Online-Mediums „The Electronic Intifada“ am 25. Januar festgenommen und nach zwei Nächten in Haft abgeschoben. Abunimah war für einen Vortrag eingeladen und bereits bei seiner Einreise am Zürcher Flughafen am Vortag eine Stunde lang von den Behörden befragt worden. Während seiner Haft wurde er in Abwesenheit eines Anwalts befragt und es wurde ihm verwehrt, seine Familie anzurufen, wie er nach seiner Freilassung berichtete. Später wurde bekannt, dass die Kantonspolizei Zürich bei den nationalen Behörden der Schweiz einen Antrag auf ein Einreiseverbot gegen den Journalisten eingereicht habe. Diese lehnten das Ersuchen aber ab. Offenbar wurde danach massiv Druck ausgeübt, um das Verbot im zweiten Anlauf doch noch durchzubekommen – mit Erfolg. Involviert war laut „Tages-Anzeiger“ auch Mario Fehr. Der rechte Sozialdemokrat und Law-and-Order-Hardliner ist ein bekannter Israel-Unterstützer. Er bezeichnete Abunimah öffentlich als „islamistischen Judenhasser“ und warf ihm vor, zu Gewalt aufzurufen.

Frankreich: Vereinsverbot und lebenslange Haft

In Frankreich versetzten die Gerichte der Palästina-Solidaritätsbewegung am 20. Februar zwei Schläge auf einmal: Zum einen wurde dem im März 2022 erlassenen und im April desselben Jahres vorläufig ausgesetzten Verbot des „Collectif Palestine Vaincra“ nun stattgeben. Die Organisation trifft damit dasselbe Schicksal wie in Deutschland „Samidoun“ und Palästina Solidarität Duisburg, die im November 2023 beziehungsweise im Mai 2024 verboten wurden. Zum anderen wurde am 20. Februar entschieden, die Berufungsverhandlung über die Freilassung von Georges Ibrahim Abdallah auf Juni zu verschieben. Der libanesische Kommunist und propalästinensische Freiheitskämpfer sitzt seit 40 Jahren in einem französischen Gefängnis. Ursprünglich sollte er am 6. Dezember 2024 freigelassen werden. Weil aber die „Nationale Anti-Terror-Staatsanwaltschaft“ Frankreichs Widerspruch einlegte, läuft nun ein Verfahren, das eigentlich am vergangenen Donnerstag mit einer Entscheidung enden sollte.

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