Ein Reisebericht aus der Volksrepublik China – Teil 2

Antikolonialismus und Klassenkampf

Im Frühjahr dieses Jahres hat Renate Koppe, Internationale Sekretärin der DKP, an einer Delegationsreise in die VR China teilgenommen. Für UZ berichtet sie in einem zweiteiligen Artikel von ihren Eindrücken auf den verschiedenen Stationen der vierzehntägigen Reise.

An der Renmin-Universität (Volksuniversität) nahmen wir gemeinsam mit einer Delegation der Südafrikanischen Kommunistischen Partei an einem Symposium zum „Chinesischen Weg zu Modernisierung und allgemeiner Entwicklung“ teil. Die Bildungseinrichtung geht zurück auf eine 1937 – mitten im Krieg gegen Japan – gegründete Hochschule, ist aber heute eine staatliche Universität. Im Rahmen dieses Symposiums ging es um die internationale Zusammenarbeit, unter anderem im Rahmen der Belt and Road Initiative.

Zu unserer Delegation zählten Vertreter von drei kommunistischen Parteien aus Afrika – aus Kenia, Sambia und Ghana. In der Debatte mit ihnen – aber auch in der mit den Genossinnen und Genossen aus Syrien und dem Libanon – wurde deutlich, dass es in diesen Ländern einen völlig anderen Blick auf die VR China gibt als bei uns. Die afrikanischen Länder hatten oft bereits während des antikolonialen Kampfes in den 1960er Jahren ein enges Verhältnis zu China. Heute, so sagen die Genossen, ermöglichen chinesische Investitionen und wirtschaftliche Zusammenarbeit überhaupt erst die Entwicklung einer Infrastruktur und schaffen damit die Voraussetzung für eine vom Imperialismus unabhängige Entwicklung. Die bei uns auch unter Linken oft anzutreffende Gleichsetzung der Außenwirtschaftspolitik der VR China mit jener der imperialistischen Staaten stößt dort auf völliges Unverständnis. Bei allen Problemen ermöglichen chinesische Investitionen die Entwicklung eigener Infrastruktur und die Ausbildung eigener Fachkräfte.

Verbesserung der Lebensbedingungen

Auch wenn wir keine Schulen besucht haben, spielte das Bildungswesen in den Diskussionen eine Rolle. In China besteht eine neunjährige Schulpflicht. Danach kann eine Oberschule besucht werden, die dann den Besuch einer Hochschule ermöglicht; es stehen aber auch Fachschulen zur Verfügung. Viele Menschen beginnen dennoch nach neun Jahren Schulbesuch in der Landwirtschaft oder in einem Betrieb zu arbeiten. Zunehmend wird darauf hingewirkt, dass der Schulbesuch länger als neun Jahre dauert; überdies gibt es zahlreiche Möglichkeiten zu berufsbegleitender Weiterbildung. In der Provinz Anhui hat der durchschnittliche Schulbesuch eine Dauer von 9,6 Jahren.

In Nanjing besuchten wir ein staatliches Krankenhaus, das sehr gut ausgestattet ist. Allerdings ist es auch eines der besten in der ganzen Provinz. Der überwiegende Teil des Gesundheitswesens ist öffentlich; daneben existieren jedoch auch private Kliniken, die meist sehr spezialisiert sind. Die allgemeine Krankenversicherung deckt Kosten sowohl in öffentlichen als auch in privaten Krankenhäusern ab – allerdings bisher nicht in voller Höhe: Ein Teil der Kosten ist privat zu zahlen – oder es muss eine zusätzliche Versicherung abgeschlossen werden.

Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die VR China ein zentralisierter Staat ist und kein föderales System hat. Die Politik in den verschiedenen Bereichen gilt einheitlich für das ganze Land – auch wenn es bisher unterschiedliche Entwicklungsstände gibt.

Die Macht der KP Chinas

270802 China - Antikolonialismus und Klassenkampf - Antikolonialismus, China, Klassenkampf - Hintergrund
Abschlussfeier an der Renmin-Universität in Peking im Juli 2021 (Foto: : CCTV News)

Deutlich wurde bei all unseren Besuchen, dass die KPCh mit ihren fast 100 Millionen Mitgliedern in allen Bereichen der Gesellschaft sehr aktiv ist und einen zentralen Einfluss ausübt. Das betrifft nicht nur den sozialen und Bildungsbereich, sondern ganz besonders die Wirtschaft – sowohl die staatlichen als auch die privaten Sektoren. Wie sich das im Kleinen auswirkt, zeigte sich an einem ganz konkreten Beispiel. Der Vertreter der KP Kenias in unserer Delegation erläuterte bei einem Treffen mit der Partei und der kommunalen Leitung der Stadt Suzhou, dass seine Partei in einer Provinz Kenias die Mehrheit habe und den Gouverneur stelle. Schon vor längerer Zeit gab es in dieser Provinz eine Kooperation mit einem in Suzhou ansässigen privaten Unternehmen, in deren Rahmen ein Solarkraftwerk errichtet wurde. Der Genosse bat darum, einen Kontakt zu diesem Unternehmen herzustellen, da die kommunistisch geführte Provinzregierung die Kapazität des Kraftwerks im Rahmen einer Public-Private-Partnership auf das Doppelte erweitern wolle. Am Abend desselben Tages hatte der Genosse einen Termin mit Vertretern des Unternehmens, bei dem die grundsätzliche Bereitschaft zu dieser Zusammenarbeit bereits festgehalten und vereinbart wurde.
Eine wichtige Rolle spielte bei unserer Reise die theoretische und Bildungsarbeit der KPCh an Parteischulen, die der Ausbildung von Parteikadern und der marxistischen Bildung von Parteimitgliedern auf allen Ebenen dienen.

Gleich zu Anfang besuchten wir die Zentrale Parteischule des ZK der KPCh. Hier war früher Xi Jinping Direktor. An der Schule werden erfahrene Parteikader ab der mittleren Ebene ausgebildet; in diesem Jahr werden insgesamt etwa 20.000 Studierende Kurse durchlaufen. Die Zentrale Parteischule arbeitet jedoch nicht nur im Bereich der Bildung, sondern auch in der Forschung und unterstützt Parteischulen auf allen Ebenen. Sie ist auch an der Ausarbeitung von Materialien für Schulen und Hochschulen beteiligt.

Nicht nur in der Zentralen Parteischule, sondern auch in Parteischulen auf anderen Ebenen, die wir besucht haben, sowie im Fachbereich Marxismus der Hochschule in Su-zhou wurde immer wieder auf die Aktualität des Marxismus und auch auf die Bedeutung Lenins hingewiesen. Grundsätzliche Bedeutung wird jedoch auch der Anpassung des Marxismus an die chinesischen Gegebenheiten gegeben, also der Herausbildung des Sozialismus mit chinesischer Charakteristik. Hier wird sowohl auf Mao Zedong als auch Deng Xiaoping Bezug genommen, sehr häufig wird auf die Ideen Xi Jinpings verwiesen.

Dabei findet stets die Tatsache Beachtung, dass die ökonomische Rückständigkeit der VR China neue He­rangehensweisen erforderlich machte. Laut den Genossen ist der Aufbau der Ökonomie vor der Politik der Reform und Öffnung lange Zeit vernachlässigt worden. Die Hoffnung des Westens, dass diese Politik die VR China an seine Seite treiben werde, hat sich nicht erfüllt. Die Modernisierung mit chinesischer Charakteristik ist keine kapitalistische Modernisierung, sondern es geht um Modernisierung und Entwicklung in der Breite – für die gesamte Gesellschaft, wobei mit fortschreitender Entwicklung nun der Schwerpunkt auf Qualität statt nur auf Quantität gelegt wird.

Mit Kritik hält man sich dabei nicht zurück. So wurden sowohl die Korruption als auch die Gefahr einer Entfernung der Partei von den Menschen und eine mangelnde Ausbildung der Kader genannt. Gegen all diese Erscheinungen müsse ständig vorgegangen werden – dieser Kampf ist nicht beendet.

Chinesische Außenpolitik

Zur Außenpolitik der VR China führten wir eine Diskussion mit einem Professor an der Hochschule für auswärtige Angelegenheiten. Die chinesische Außenpolitik ist auf friedliche Koexistenz und Erhalt des Friedens ausgerichtet, ohne dass das Land sein Ziel einer modernen sozialistischen Gesellschaft bis zum Jahr 2049 aufgibt. Diesem Ziel dienen auch die Initiativen zur weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die auf gegenseitigen Nutzen ausgerichtet sind. Im Rahmen dieser Diskussion ging es auch um das Thema der friedlichen Koexistenz als Teil des internationalen Klassenkampfs, also um den Umgang mit der aggressiven Politik des Imperialismus gegen die VR China. Daraus sich ergebende Fragen wurden grundsätzlich damit beantwortet, dass sich dieses Problem nur durch eine Stärkung des Entwicklungswegs der VR China lösen lasse und durch die Erkenntnis, dass Diplomatie nicht nur eine Sache der Regierungen, sondern auch der Völker ist.

Ein Resümee

Nach diesen konkreten Erfahrungen in der VR China stellen sich noch mehr Fragen als zuvor, aber das erscheint mir normal, weil mehr Informationen auch zu mehr Fragen führen. Die Einschätzung aber, dass die KPCh eine Partei ist, die den Sozialismus in ihrem Land aufbaut und sich aktiv und lebendig mit dem Marxismus auseinandersetzt, wurde voll und ganz bestätigt. Dass ein solcher Weg Gefahren birgt, wissen wir ganz genau. Aber die chinesischen Genossen sind sich dessen bewusst und gehen zuversichtlich voran.

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"Antikolonialismus und Klassenkampf", UZ vom 7. Juli 2023



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