Dieter Lachenmayer ist langjähriger Friedensaktivist und Mitglied im Landesvorstand und im Bundesausschuss der VVN-BdA. UZ sprach mit ihm über den Bundeskongress der traditionsreichen antifaschistischen Organisation, der am 1. und 2. Juni in Halle stattfand.
UZ: Im Entwurf des Leitantrags für den Kongress wird festgehalten, dass die VVN-BdA sich personell stärken konnte. Vor welchen Herausforderungen stehen Antifaschistinnen und Antifaschisten heute?
Dieter Lachenmayer: Das sind zweierlei Herausforderungen: Zum einen müssen wir uns den aktuellen innen- und weltpolitischen Veränderungen stellen, die durch eine massive Rechtsentwicklung nicht nur in Deutschland, sondern auch in der gesamten europäischen Union und in anderen Teilen der Welt zu Tage treten.
Zum anderen stellen sich durch unseren erfreulichen Mitgliederzuwachs auch jede Menge innerorganisatorische Aufgaben. Wir wollen diese neuen Mitglieder nicht nur als passive Beitragszahler begrüßen, sondern als aktive antifaschistische Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Das heißt, sie einzubeziehen in unsere an vielen Stellen zu sehr unter verdienten ehrenamtlichen Aktivisten „eingespielten“ Arbeitsroutinen. Wir wollen sie ermuntern, sich einzumischen, den Kreis unserer Aktiven zu erweitern. Dazu gehört, ihnen zu vermitteln, welche Überzeugungen die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer zur Gründung der VVN veranlasst haben. Wir älteren haben das aus erster Hand von ihnen noch erfahren können. Nun müssen wir es weitergeben. Kurz: wir wollen die „Neuen“ gerne gleichberechtigt einbeziehen und mit ihnen gemeinsam unseren kämpferischen Antifaschismus fortsetzen und verstärken. Dazu wäre wohl auch eine Neubelebung unserer antifaschistischen Bildungsarbeit notwendig.
UZ: Der Landesverband Baden-Württemberg hat eine Präambel zum Leitantrag vorgeschlagen. Welche Punkte wolltet ihr im Leitantrag ergänzen?
Dieter Lachenmayer: Im Gegensatz zu den Leitanträgen früherer Kongresse hat der in diesem Jahr vom VVN-BdA- Bundesausschuss vorgelegte Leitantrag vollkommen auf eine Einschätzung der aktuellen politischen Situation verzichtet. Dabei hat sich diese Situation gerade in den letzten drei Jahren gravierend geändert. Wir sehen uns konfrontiert mit einem Krieg in der Ukraine, der immer weiter eskaliert und sich leicht zum atomaren und finalen Weltkrieg entwickeln könnte.
Wir sehen hilflos einem Krieg in Palästina zu, der mit seinen mittlerweile 35.000 Getöteten, davon etwa zwei Drittel Frauen und Kinder, immer mehr die Züge eines Genozids annimmt. Der noch dazu Gefahr läuft, sich durch seine Ausweitung auf den Libanon, auf Syrien und schließlich den Iran zu einem gefährlichen Flächenbrand zu entwickeln.
Wir sehen uns konfrontiert mit ungeheuren kriegs-, krisen und umweltbedingten Flüchtlingsströmen, die nicht etwa mit humanitären Hilfsaktionen abgemildert, sondern durch verstärkte und rassistisch konnotierte Abschottungsmaßnahmen gebremst werden, die Tausenden von Flüchtenden, nicht nur im Mittelmeer, das Leben kosten.
Und schließlich sehen wir uns in Deutschland, Europa und anderen Teilen der Welt bedroht von einer Rechtsentwicklung, die nicht nur sehr hohe Wahlergebnisse der Parteien der äußersten Rechten zu einer bedrohlichen Realität werden lässt, sondern die auch begleitet ist von einem massiven Abbau demokratischer und sozialer Rechte, zustimmend getragen von einem Großteil der „Mitte“ der Gesellschaft.
Dies alles wollten wir dem Antrag voranstellen, um daraus in den folgenden Teilen unsere Aufgaben für die nächste Zeit abzuleiten.
UZ: Es wurde gleich zwei Mal über euren Antrag diskutiert. Zwei Mal sprach sich eine deutliche Mehrheit für den Antrag aus. Welche Kontroversen gab es zu eurem Vorschlag?
Dieter Lachenmayer: Argumentativ wurden an unserem Antrag zwei Stellen kritisiert. Zum einen hatten wir den Ukraine-Krieg als „Stellvertreterkrieg“ benannt, in dem auch die „NATO und damit auch Deutschland zu Kriegsparteien geworden (sind)“. Das stieß auf heftige Kritik. Bezeichnend dabei ist, dass im gesamten vom Bundesausschuss vorgelegten Vorschlag eines Leitantrages das Kürzel „NATO“ kein einziges Mal vorkommt und diese folglich wohl ein welt- und kriegspolitisch zu vernachlässigender Faktor sein soll.
Der zweite argumentativ vorgetragene Ablehnungsgrund war die von uns vorgeschlagene Formulierung „Fortgesetzte Waffenlieferungen an Israel sind mitverantwortlich für Tod, Leid und (…) Vertreibung“. Dazu wurde uns entgegengehalten, weder das Existenzrecht Israels noch der Angriff der Hamas vom 7. Oktober werde erwähnt. Wohlgemerkt: Im Text wurde beides nicht bestritten und hätte bei wohlmeinender Diskussion wohl auch noch hinzugefügt werden können.
UZ: 2014 fasste der Bundeskongress den Beschluss „Nein zum Krieg! NATO und Bundeswehr stoppen!“. Darin wird sehr differenziert zum damals beginnenden Ukraine-Konflikt argumentiert und „die Auflösung der NATO“ gefordert. Wenn jetzt die NATO nicht mehr erwähnt wird, hat sie dann ihren Charakter verändert?
Dieter Lachenmayer: Natürlich nicht! NATO-Mitglieder führen weiterhin jede Menge Kriege. Die USA haben seitdem alle vordem gültigen Rüstungskontrollvereinbarungen einseitig gekündigt. Die NATO hat sich inzwischen mit Montenegro, Nordmazedonien, Schweden und Finnland weiter an die russische Grenze vorgeschoben. Georgien, Moldau und die Ukraine sind Beitrittskandidaten. Die Einkreisung Russlands ist nahezu perfekt. Der Aufmarsch auch der Bundeswehr im Baltikum ist in vollem und vertragswidrigem Gange. Ist das ein Friedensangebot, Verteidigung oder Bedrohung?
Man muss auch gar nicht bis 2014 zurückgehen. Im letzten vom VVN-BdA- Bundeskongress 2021 ziemlich einmütig beschlossenen Leitantrag – und der ist nun bis heute gültige Beschlusslage der VVN-BdA – hieß es noch:
„Wir fordern von der Bundesregierung, sich an das 1990 gegebene Versprechen zu erinnern und die ständige Erweiterung der NATO nach Osten nicht weiter zu unterstützen und sich nicht daran zu beteiligen, die Nachbarländer Russlands zu NATO-Aufmarschgebieten zu machen.“ Und „Wir fordern, die Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Export von Waffen, Waffentechnologie und -fabriken zu beenden. Dies gilt auch für multinationale Produktionen.“
In der Vorbereitung des jetzigen Bundeskongresses auf der vorausgehenden Bundesausschusssitzung hatte ich beantragt, beide Formulierungen wortgleich in den Vorschlag zum aktuellen Leitantrag aufzunehmen.
Dies wurde durch einen sogenannten „Alternativantrag“ gekontert. Das heißt, mein Antrag wurde gar nicht erst abgestimmt, sondern durch einen anderen, der sich mit einem völlig anderen Thema befasste, ersetzt.
UZ: Der Leitantrag wurde auf dem Kongress nicht zu Ende diskutiert. Wie geht es mit der inhaltlichen Diskussion jetzt weiter?
Dieter Lachenmayer: Das Dilemma beziehungsweise die Uneinigkeit in der Haltung zum Ukraine-Krieg, zur NATO, zum Krieg in Nahost und zu Waffenlieferungen in Kriegs- und Konfliktgebiete ist ja kein Alleinstellungsmerkmal der VVN-BdA. Wir haben das seit Beginn des Ukraine-Krieges auch in der Friedensbewegung. In der baden-württembergischen Friedensbewegung haben wir diese Konflikte weitgehend unter heftigen Diskussionen, aber mit allseitiger Bereitschaft zu Kompromissen und schließlich solidarischer Diskussion wenn nicht gelöst, so doch entschärft.
Das ist der Weg, der nun der VVN-BdA noch bevorsteht. Der Bundeskongress soll nun noch möglichst in diesem oder im frühen nächsten Jahr fortgesetzt werden. Die gestellten Anträge werden bleiben oder erneut eingereicht werden. Der zu Tage getretene Konflikt ebenfalls.
Es bleibt zu hoffen und zu erwarten, dass die Delegierten des nächsten Kongresses den Gründungsgedanken der VVN weiterhin treu bleiben: Antifaschismus ist ein Zukunftsprojekt für eine Welt des Friedens und der Freiheit, für ein demokratisches, sozial gerechtes und solidarisches Zusammenleben der Menschen.