In Paris gefiel es mir ausgezeichnet“, würde Hans Heisel später erzählen. Er war noch keine 18 Jahre alt, die Wohnung der Eltern in Leverkusen war eng, das Essen knapp. Statt weiter bei Bayer als Laborant zu arbeiten, wollte Heisel zur See fahren und bewarb sich bei der Handelsmarine: „Ich wollte etwas erleben.“ Aber er kam nicht zur Handels-, sondern zur Kriegsmarine. Wenige Monate zuvor hatte die faschistische Wehrmacht Polen überfallen. Anfang 1940 bereitete die Naziregierung den Angriff auf Frankreich vor. Ende Juni, inzwischen zum Fernschreibobermaat ausgebildet, wurde Heisel nach Paris kommandiert.
Hier konnte er etwas erleben: Kämpfen musste er nicht, in der Uniform der „Herrenmenschen“ zog er durch die Stadt. „Als junger Matrose jagte ich nach immer neuen Abenteuern“, sagte Heisel, „der Wein war gut und die Mädchen waren schön.“ Und: „Ich stellte mir keine Fragen nach dem Grund unserer Anwesenheit.“ Das Abenteuer, das er in Paris beginnen sollte, war das Gegenteil der Landserromantik, die ihn schon in der Hitlerjugend kaum begeistert hatte. Dieses Abenteuer sollte ihn für Franzosen zum Helden und für Deutsche zum Vaterlandsverräter machen – er würde Waffen stehlen und verbotene Gespräche tarnen. Er sollte das Glück haben, von der Gestapo nicht entdeckt zu werden und sich auf den Weg begeben, der ihn später auch in ein Gefängnis des Adenauer-Staats führen würde: In Paris wurde Hans Heisel zum Kommunisten.
Denn die Fragen, die er selbst sich nicht stellte, stellten ihm andere. Zunächst ein Friseur, dessen Salon in einer Nebenstraße der Champs Élysées lag. An deren Ende, an der Place de la Concorde, war Heisel im Gebäude des Marineministeriums eingesetzt. Der Friseur sprach als Elsässer Deutsch, das nutzte er, um beim Haareschneiden die Stimmung unter den deutschen Soldaten zu erkunden – im Auftrag des französischen Widerstands, der Résistance. Warum sind die Deutschen in Frankreich einmarschiert? Welches Ziel hat die Besatzung? Der Friseur stellte fest, dass es sich lohnte, mit Heisel zu diskutieren – und er wusste, dass Heisel sich eine Uniform schneidern lassen musste. Der Schneider, den er empfahl, stammte aus Jugoslawien und war – wie er selbst – Mitglied der Französischen Kommunistischen Partei. Er tastete Heisel ab: Wie weit konnte er im Gespräch mit diesem Deutschen in der Naziuniform gehen? Er provozierte Heisel mit seinen Fragen, bearbeitete ihn: „Er trug dazu bei, dass sich mein politisches Bewusstsein ziemlich schnell entwickelte.“ Er entschied nicht allein, ob die Résistance Heisel vertrauen sollte: Bei einem dieser Gespräche hörte im Nebenraum versteckt Otto Niebergall mit, der die Résistance-Organisation zur Arbeit unter den Deutschen in Frankreich leitete. Diese „Travail Allemand“ („Deutsche Arbeit“) entschied, mit Heisel zusammenzuarbeiten und sorgte dafür, dass er weiter politisch geschult wurde.
Um ihn anzuleiten, vermittelte die Organisation ein Treffen mit „Maria“, die in der folgenden Zeit sein Kontakt zur KPD sein würde. „Jetzt begann für mich ein ganz neuer Lebensabschnitt“, schreibt Heisel in seinem Bericht in dem Sammelband „Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten“. „Ich war Feuer und Flamme. Wir diskutierten, lasen Bücher, und ich erhielt Kenntnis vom Charakter und von den Verbrechen des Faschismus.“ Einmal die Woche trafen sie sich, gingen spazieren, tranken Kaffee. Der Friseur und der Schneider hätten ihn sensibilisiert, aber „Maria“ habe ihn politisiert und ihm die Augen geöffnet: „Sie hat uns politisch wirklich geformt.“ „Maria“, eine Österreicherin, die eigentlich Lisa Gavric hieß, erinnerte sich an Heisel: „Ihn musste man nicht über Umwege allmählich an die Wahrheit heranführen, ihn brauchte man nur zu begeistern. Dann arbeitete seine Phantasie wie befreit.“ Ende 1942 – noch bevor die Rote Armee die deutschen Truppen in Stalingrad zerschlagen hatte, als die meisten seiner Kameraden daran glaubten, dass der „Führer“ sie zum „Endsieg“ führen werde, als die Faschisten den größten Teil Europas kontrollierten – teilte die KPD Heisel mit, dass er in die Partei aufgenommen worden war.
In der Nachrichtenabteilung beim Oberkommando der Marine gewann Heisel zwei Kameraden, mit denen er eine illegale antifaschistische Gruppe bildete. An den Garderoben von Restaurants und in den Umkleidekabinen von Schwimmbädern, wo Wehrmachtssoldaten ihre Pistolentaschen ablegten, stahl Heisel Waffen für die Résistance. Sie legten antifaschistische Flugblätter auf die Sitze von Wehrmachtsfahrzeugen oder Kinos, welche die deutschen Soldaten besuchten. Heisel hörte in Cafés auf die Gespräche anderer Soldaten – wer sich unzufrieden über die Nazis äußerte, dem steckte er ein Flugblatt zu. „Etwas unbedacht“ nannte er das später: „Es ist ein Wunder, dass ich nie erwischt wurde.“ „Maria“ sagte über Heisel: „Manchmal musste man ihn bremsen, wenn er es allzu tollkühn trieb.“
Von seiner lebensgefährlichen Arbeit im Widerstand erzählte Heisel als alter Mann – er starb 2012 im Alter von 90 Jahren –, als wäre es ein großes Abenteuer gewesen. Er hatte sich überzeugt, dass der Faschismus ein Verbrechen war, die Niederlage Deutschlands eine Befreiung sein würde und der Sozialismus die Zukunft – welche Gefahr dieser Kampf für ihn selbst bedeutete, war dagegen nicht mehr wichtig.
Die Erfahrung dieser Jahre im Widerstand sei für ihn das Wichtigste in seinem Leben, sagte Heisel drei Jahre vor seinem Tod in einem Interview mit dem französischen Wissenschaftler Claude Collin: „Sie hat aus mir einen Menschen gemacht (…) Mir wurden mit einem Schlag Dinge bewusst, von denen ich vorher keine Ahnung hatte. Ich fühlte Dinge, die ich nie zuvor gefühlt hatte.“
Nach der Befreiung, zurück in Deutschland, kehrte Heisel nur für kurze Zeit zur Arbeit bei Bayer zurück. Bald begann er, hauptamtlich für die KPD zu arbeiten – bald wieder illegal –, und später für die DKP. Der französische Staat ehrte ihn als Résistance-Kämpfer, der Adenauer-Staat ließ ihn 1959 als Kommunisten zu 15 Monaten Gefängnis verurteilen.
Die Ausstellung kann online angeschaut werden: www.widerstand-portrait.de Die nächste Ausstellung von „Trotz alledem!“ ist vom 29. April bis 3. Juni 2022 im Stadt- und Stiftsarchiv in Aschaffenburg zu sehen.