Am 4. November 2016 zog die UZ unter der Überschrift „Kein Ende der Berufsverbote?“ Bilanz: „Bis Ende der achtziger Jahre mussten sich 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Gesinnung überprüfen lassen. In der Folge kam es zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.“ Heute wissen wir, schon damals war es nur eine Zwischenbilanz, aus der Frage im Titel wurde Gewissheit.
In ihrer Wirkung längst verhallt ist die Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 26. September 1995, als die Lehrerin und Kommunistin Dorothea Vogt acht Jahre nach ihrer Entlassung aus dem Schuldienst der Bundesrepublik wegen der antidemokratischen Berufsverbotepraxis eine Niederlage beibrachte. Die Straßburger Richter attestierten Deutschland einen veritablen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Schnee von gestern: Was Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit dem am 1. April 2024 in Kraft tretenden „Gesetz zur schnelleren Entfernung von Extremisten aus dem öffentlichen Dienst“ auf Bundesebene vorgemacht hat, wird derzeit in treuer Gefolgschaft von einer Allparteien-Gesinnungskoalition auf Länderebene durchgedrückt. Der Radikalenerlass der Innenministerkonferenz vom 28. Januar 1972 erlebt sein Comeback. Beamter soll nur noch werden, „wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Im Dienst, in der Freizeit und im Ruhestand müssen sie sich „durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“ (Faeser).
Die Brandenburger „Kenia-Koalition“ hat die Signale aus Berlin vernommen, dort geht gerade das „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes des Berufsbeamtentums in Brandenburg vor Verfassungsgegnern“ in seine Endfertigung. CDU, SPD und Grüne setzen auf Früherkennung, wenn es darum geht, kritischen Geistern den Weg in den öffentlichen Dienst zu versperren. Im neuen Paragraf 3a des Landesbeamtengesetzes ist der Datenaustausch mit dem Inlandsgeheimdienst geregelt: „Zur Durchführung der Regelanfrage übermittelt die Einstellungsbehörde der Verfassungsschutzbehörde den Namen, den oder die Vornamen, den Geburtsnamen, das Geburtsdatum, den Geburtsort, das Geschlecht und die Staatsangehörigkeit der ausgewählten Bewerber.“ Der Verfassungsschutz sucht dann zusammen, was er zu der abgefragten Person alles gesammelt hat und teilt dies der Einstellungsbehörde mit.
Ein solch weitgehender Gesinnungs-TÜV lässt selbst die bayrischen Innenbehörden blass werden, die Bewerber um eine Stelle im öffentlichen Dienst zwingt, eine Selbstauskunft zur Verfassungstreue zu unterschreiben. Im Fragebogen sind stets aktualisiert alle „extremistischen Organisationen“ aufgelistet, die – wenn‘s passt – anzukreuzen sind. In Bayern wie in Brandenburg sind vom Verfassungstreue-Check nicht nur Beamte, sondern auch Arbeiterinnen und Arbeiter im öffentlichen Dienst betroffen. Wie der Geoinformatiker Benjamin Ruß, Mitglied der „Roten Hilfe“, der wegen seiner politischen Meinung eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München nicht antreten durfte und zurzeit dagegen vor dem Arbeitsgericht München prozessiert.
In Brandenburg hat sich der DGB gegen die neue Zusammenarbeit von Einstellungsbehörden und Verfassungsschutz ausgesprochen: „Der Verfassungsschutz muss nach wie vor nicht offenbaren, woher seine Daten stammen. Damit ist der Wahrheitsgehalt der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes nicht überprüfbar.“ Auch aus der Richterschaft gibt es Kritik. Christiane Schmaltz, Richterin am Bundesgerichtshof, sieht die Grundrechte der Bewerber gleich dreifach verletzt, denn die Regelanfrage greife „in das Grundrecht der Berufswahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ein (…) Daneben sind das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG betroffen.“