Zur Panikmache um chinesische Spione in Deutschland

Angst vor Senkeln

Helle Aufregung in der kriegstüchtigen deutschen Journaille. Am laufenden Band rauschen Spionagestorys durch den hiesigen Blätterwald. „In Deutschland ist ein Netz von mutmaßlichen chinesischen ‚Einflussagenten‘ aktiv“, hieß es in der Auftaktmeldung des Nachrichtenportals „ntv“ vom 4. Oktober. „Die sind für Propaganda verantwortlich“, berichtet ein Informant in einer Tiefgarage. Sogar auf Pressefotos von Kanzler Olaf Scholz und Cem Özdemir seien Chinesen zu sehen. Kommen die zum Zuge, „dann wird die Welt ein sehr viel dunklerer Ort werden“. Das sei „ganz im Sinne Xi Jinpings, der seit zwölf Jahren sein Land immer mehr in eine knallharte Ein-Mann-Diktatur verwandelt – mit dem Ziel, die Weltherrschaft zu erlangen“, so „ntv“.

Ein internationales Komplott, es stockt der Atem. Woher die Meldung kommt: Von der Washingtoner „Jamestown Foundation“, für die die NATO-Generäle Robert Spalding und Philip M. Breedlove verantwortlich zeichnen. Die Briten hat es auch schon erwischt. Im Juni dieses Jahres meldeten dort die bürgerlichen Blätter gar Erschröckliches: Die Chinesen waren schuld, dass nach der Inthronisierung von König Charles die neuen metallenen Militärabzeichen nicht rechtzeitig auf die Schirmmützen kamen. Grund: Es ging die Befürchtung um, dass die in China hergestellten Badges „den Pekinger Behörden erlauben, Ortungsgeräte einzubauen“ (Financial Times). Wie die „Daily Mail“ am gleichen Tag meldete, beauftragte das britische Militär flugs das US-amerikanische Unternehmen „Leidos“. Abhören unter Freunden ist ja unbedenklich, wie wir wissen.

Das ganze Ausmaß der Bedrohung wird deutlich, wenn man weiß, dass ein Drittel aller in Deutschland verkauften Schnürsenkel aus Asien kommen. Durch die in den Senkeln versteckten GPS-Sender erfahren chinesische Stellen sofort, wenn sich Bundeswehrstiefel in Richtung Osten in Bewegung setzen.

Angstzustände? Ärzte und Apotheker empfehlen hier die Vereinbarung eines Facharzttermins. Die Diagnose nach der „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ geht leicht von der Hand. Einschlägig: Nummer F60.0, auch paranoide Persönlichkeitsstörung genannt. Symptome: „Neutrale oder freundliche Handlungen anderer werden als feindlich oder verächtlich missgedeutet“, meist gefolgt von „wiederkehrenden unberechtigten Verdächtigungen“.

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"Angst vor Senkeln", UZ vom 11. Oktober 2024



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