Die britische Labour Party hat ein Problem und das heißt Jeremy Corbyn. Nach aktuellen Umfragen droht der 66-jährige Corbyn bei der noch bis zum 12. September laufenden Basis-Abstimmung in der Labour Party der nächste Parteivorsitzende zu werden. Die rechtssozialdemokratischen Führer haben eine wilde Kampagne gegen Corbyn losgetreten. Er wird als „radikaler Sozialist“ und Nostalgiker vergangener Zeiten, als „Kommunist“ und „Putin-Freund“ sowie als Freund der islamistischen Hamas und Hisbollah präsentiert. Ex-Labourchef Tony Blair verkündete, wenn Corbyn an die Spitze gelange, drohe der „Untergang“ der traditionsreichen Labour Party.
Die Neuwahl des Labour-Vorsitzenden wurde notwendig, weil der bisherige Parteichef Milliband nach dem schlechten Ergebnis bei der Parlamentswahl im Mai 2015 zum Rücktritt gezwungen war. Er hatte mit seinem Kurs, der kaum Unterschiede zu den regierenden Konservativen unter Cameron erkennen ließ, das drittschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei eingefahren. Danach beschloss die Parteiführung, nicht nur die Mitglieder, sondern auch alle, die sich gegen eine Gebühr von 3 Pfund (ca. 4.20 Euro) als Sympathisanten registrieren ließen, per Urwahl über den nächsten Parteichef entscheiden zu lassen.
Corbyn gehört zu der wachsenden Zahl britischer Sozialdemokraten, die nach den Erfahrungen der letzten Jahre die 1995 von Tony Blair eingeleitete neoliberale „New Labour“-Politik als gescheitert ansehen und die keine Hemmungen haben, auch an gewisse Elemente der früheren Labour-Politik anzuknüpfen. So präsentiert sich Corbyn selbst als „Anti-Armuts-Aktivist“. Er fordert die Rücknahme der von den Konservativen vorgenommenen Sozialkürzungen und einen Mindestlohn von umgerechnet 10 Euro pro Stunde für alle (von derzeit rund 9,20 Euro). Er spricht sich für die Wiederverstaatlichung der privatisierten britischen Eisenbahn sowie der Wasser-, Strom- und Gasversorgung des Landes aus und befürwortet neue staatliche Wohnungsbau- und Infrastrukturprojekte – finanziert auch durch höhere Steuern für Unternehmen und Superreiche. Damit hat er sich offenbar auch eine beträchtliche Unterstützung in den Gewerkschaften erworben. Einige Generalsekretäre von Branchengewerkschaften haben ihre Unterstützung für ihn öffentlich verkündet. Zugleich tritt Corbyn als entschiedener Kriegsgegner auf, zum Beispiel gegen den antirussischen Kurs der britischen Politik in Sachen Ukraine. Er wagte es sogar, einen Prozess gegen Tony Blair vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der im Irak begangenen Kriegsverbrechen zu befürworten. Er sprach sich für die Abschaffung der britischen Atomwaffen und für die Loslösung des Landes aus der NATO aus. Der Internetdienst „Fox World“ schätzt ein: „Jeremy Corbyn stellt die größte ideologische Gefahr für das Labour-Establishment und darüber hinaus für den Mainstream-Konsens in der britischen Politik in den letzten 20 Jahren dar“.