Zur Reaktion der Gewerkschaften auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD

Angriff auf Beschäftigte

Ulrike Eifler

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD liegt auf dem Tisch. Wenig überraschend: Er zeigt, dass die Bereitschaft zu sozialen Zugeständnissen kleiner geworden ist. Insbesondere die Ausweitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit mit bis zu 13-Stunden-Schichten geht an die Grundfesten gewerkschaftlicher Errungenschaften. Auch der Umbau des Bürgergeldes sowie die Verschärfung von Mitwirkungspflichten und Sanktionen lassen befürchten, dass diese Maßnahmen – analog zur Agenda 2010 – die Industriebelegschaften disziplinieren sollen. Kurz: Der Koalitionsvertrag ist ein massiver Angriff auf die Welt der Arbeit.

Dieser Entwicklung zum Trotz fällt die gewerkschaftliche Kritik bislang noch verhalten aus. In einer Zeit massiver Deindustrialisierung und angespannter öffentlicher Haushalte hoffen die Gewerkschaften auf neue Wachstumsimpulse durch das Infrastrukturpaket in Höhe von 500 Milliarden Euro. Schließlich fordern sie seit Jahren 600 Milliarden Euro zusätzlich für die Infrastruktur, damit die Dekarbonisierung von Industrie und Gesellschaft gelingen kann.

Sie unterschätzen allerdings, dass in der „Zeitenwende“ auch die Investitionspolitik dem Primat der Außen- und Sicherheitspolitik untergeordnet wird. Die gewerkschaftliche Hoffnung kann sich daher schnell als Infrastrukturfalle erweisen. Das Sondervermögen wird nämlich nicht in kaputte Schuldächer oder zur Entlastung des Pflegepersonals fließen, sondern in die Kriegsertüchtigung. So soll zum Beispiel in Köln eine unterirdische Intensivstation entstehen. Bereits im vergangenen Sommer hatte die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ ein Sondervermögen gefordert, um Verkehrswege, Brücken und Straßen kriegstüchtig zu machen. Allein die Spurweitenanpassung der Bahn in Osteuropa an die hier gängige Spurweite erfordert milliardenschwere Investitionen. Nicht ohne Grund hat das Finanzministerium auf der Kommunikationsplattform X angekündigt, die Summe von 500 Milliarden Euro durch das Einwerben von privatem Kapital auf zwei bis drei Billionen Euro aufzustocken.

Auch Mindestlohn und Tarifbindung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beschäftigteninteressen auf dem Spiel stehen. Der künftige CDU-Kanzler Friedrich Merz hatte vor wenigen Tagen öffentlich klargestellt, dass ein Mindestlohn von 15 Euro keinesfalls garantiert sei. Die Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, die Einschränkung von Mitgliedschaften von Unternehmen ohne Tarifvertrag in Arbeitgeberbänden und die Einführung eines arbeitsrechtlichen Verbandsklagerechts für Gewerkschaften hatte die Union bereits in den Verhandlungen kassiert. Angekündigt ist, dass sämtliche Vergaben, die im Zusammenhang mit der Bundeswehr, anderen Sicherheitskräften oder mit der Vorbereitung auf eine Krisensituation stehen, vom Tarif-treuegesetz ausgenommen bleiben. Viel bleibt da also nicht übrig.

Schlussendlich: Der Koalitionsvertrag dient dem Ziel, das Land weiter kriegstüchtig zu machen. Ein Ziel mit erheblichen Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit. Ein gesellschaftliches Klima der Deindustrialisierung und des Sozialabbaus bedeutet vor allem Rückenwind für die Forderungen der Unternehmer nach Arbeitszeitflexibilisierung und Lohnzurückhaltung. Insbesondere die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst hat gezeigt, wohin die Tarifpolitik aus Sicht der Arbeitgeber künftig gehen soll. Die Gewerkschaften dürfen sich also nicht von der Großen Koalition einbinden lassen. Sie müssen sich lautstark gegen Aufrüstung, Militarisierung und Sozialabbau zu Wort melden.

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"Angriff auf Beschäftigte", UZ vom 18. April 2025



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