Angela und das „Postfaktische“

Hans-Peter Brenner Zu Angelea Merkel, der zu Recht das Schicksal der H. Clinton blüht

Ja, ich habe Angela getroffen. Ich habe sie leibhaftig vor mir gesehen. Das letzte Mal war ein wunderbarer Sommerabend in Berlin. Ich kann das Datum und die genaue Uhrzeit noch genau nennen. Es war der 5. August, 21 Uhr. Sie war jung, sprühte vor Lebensfreude und Energie, rhetorisch war und ist sie eine Sonderklasse. Sie begeisterte alle, die ihr zuhörten.

Die erste Begegnung mit „A.“ ist mir aber fast noch intensiver in Erinnerung. Es war ebenfalls in Berlin – vielleicht nur vier oder fünf Tage vorher. Damals stand ich als Teilnehmer der Delegation des Marxistischen Studentenbundes Spartakus, der für den Einsatz bei den „X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ auf dem Alexanderplatz eingesetzt war, einer in Sachen Marxismus-Leninismus und AgitProp hervorragend geschulten und überzeugten jungen DDRlerin hautnah gegenüber. Rücken an Rücken agitierten und diskutierten wir gemeinsam inmitten zehntausender „Ossis und Wessis“ in drückender Sommerhitze stundenlang dicht bei der berühmten „Weltuhr“. Am Ende schenkte sie mir ihr „Goldenes Abzeichen für Gutes Wissen“, weil wir beide nach ihrer Meinung so erfolgreich den Aufbau des Sozialismus in der DDR gegenüber den zahlreichen Besuchern aus dem Westen vertreten hätten.

Das Wort „postfaktisch“, das A. heute so gerne benutzt, gab es damals, im Jahr 1973, noch nicht. „Fakt“ war auf jeden Fall, dass die eingangs erwähnte Rednerin A., Hauptgast auf der Abschlusskundgebung vor 750 000 Besuchern der „X.“ war und Angela Davis hieß. Sie war damals „das“ Symbol der weltweiten Solidarität mit dem Kampf um Gleichberechtigung und Bürgerrechte der unterdrückten afroamerikanischen Bevölkerung in den USA. Sie war auch Mitglied der Kommunistischen Partei der USA.

Ebenso ein „Fakt“ war als solcher die junge FDJ-Agitatorin. „Postfaktisch“ ist nur, dass sie lediglich von meinem „Gefühl“ her auch eine Angela war. Sie glich absolut Angela Kasner – seit 1977 verheiratete Merkel. Alle markanten Merkmale der späteren Kanzlerin, die im Sommer 1973 gerade ihr DDR-Abitur mit dem Notendurchschnitt 1,0 gemacht hatte, hätten absolut zu der so überzeugenden Agitatorin auf dem „Alex“ gepasst. Dass sie in ihrem Studium Agitprop-Sekretärin der FDJ war, hat sich ja trotz aller Versuche, diesen Fakt unter den Teppich zu kehren, doch nicht völlig verschweigen lassen. Ob meine Diskussionspartnerin realiter „Angela K.“ war, ist in der „Epoche des Postfaktischen“ ja auch gar nicht so wirklich bedeutsam.

Da erzählten uns doch alle Experten in der Nacht der US-Präsidentenwahlen: Alle „Fakten“ hätten doch für Clinton gesprochen. Den Amerikanern ginge es nach acht Jahren fürsorglicher Regierung von Obama doch besser als vorher. Angela M. behauptete bei ihrer Erklärung zur erneuten Kanzlerkandidatur denselben von keinen Fakten getrübten Unsinn. Weil sie die Erfolge der AfD und die Abwendung großer Wählerschichten von den „etablierten“ Parteien als ein Problem der (falschen) Stimmungen“ ansieht, blüht ihr völlig zu Recht das Schicksal der Clinton. (Nicht dass ich dies bedauere; die Clinton-Wahl wäre außenpolitisch vielleicht noch gefährlicher gewesen als die Wahl des Reaktionärs Trump – zumindest kannte man ihre Agenda bereits, während die außenpolitische Konzeption von Trump sich erst allmählich klarer abzeichnet.)

Die „Anführerin der freien Welt“ („Die Zeit“ vom 7.11.) wird spätestens am Wahltag von den in ihrer Regierungszeit geschaffenen sozial-, innen-, und außenpolitischen Fakten eingeholt werden. Dass sie, die bereits heute äußerlich so ausgelaugt wirkt wie ein typischer Patient mit „Erschöpfungssyndrom“, nicht nur von großen Teilen ihres bisherigen Wahlvolks eine Quittung bekommt, sondern dass sie danach auch von den bereits jetzt wie Geier auf das waidwunde Opfer lauernden „CDU-Granden“ politisch abserviert werden wird, das steht für mich fest.

Sie hat es nicht besser verdient.

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"Angela und das „Postfaktische“", UZ vom 25. November 2016



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