Ausführlich mit Quellenangaben:
Werner Rügemer
Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts
Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure
Köln 2018, PapyRossa-Verlag
357 Seiten, 19,90 Euro
Friedrich Merz, im Hauptberuf Partner bei der internationalen Kanzlei Mayer Brown LLP, seither dort als „Senior Counsel“ geführt und Mitglied diverser Aufsichtsräte deutscher Unternehmen, ist seit 2016 Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Ablegers von „BlackRock“. Befragt nach diesem Konzern und seiner Rolle, verharmlost Merz BlackRock als netten „Vermögensverwalter“ und passiven „Treuhänder“ von Kundengeldern. Das stimmt überhaupt nicht, BlackRock ist die größte Schattenbank der Welt, Lobbyist der Superreichen, größter Insider der westlichen Wirtschaft, Verkäufer krisenverursachender Finanzprodukte, größter Organisator von Briefkastenfirmen, Lobbyist für die Privatisierung von Renten und Mietwohnungen, Finanzier politischer Einfluss-Netzwerke, Beauftragter von Regierungen und Zentralbanken.
BlackRock zählt zu den Schattenbanken, so die Einstufung durch den Internationalen Währungsfonds IWF, die Zentralbank der Zentralbanken BIS, die Europäische Kommission und die Finanzaufsichtsbehörden der EU-Mitgliedstaaten. Schattenbanken unterliegen nicht den staatlichen Bankenregulierungen. Die Schattenbanken, zu denen BlackRock und einige Dutzend ähnliche Kapitalorganisatoren wie die nächstgrößten Vanguard und State Street gehören, agieren in einer rechtlichen Grauzone, sowohl national wie international. BlackRock ist mit gegenwärtig 6,4 Billionen US-Dollar an eingesetztem Kapital die größte Schattenbank. Zum Vergleich: Die Goldbestände in der Bilanz der Deutschen Bundesbank sind mit knapp 120 Milliarden Euro bewertet. Die BlackRock-Lobbyisten in zahlreichen Staaten wie Merz in Deutschland sollen helfen, diesen Grauzonen-Status aufrechtzuerhalten.
BlackRock ist der größte Kapitalorganisator der westlichen Welt. Das eingesetzte Kapital beträgt das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das die größte europäische Volkswirtschaft, Deutschland, im Jahre 2017 erwirtschaftet hat.
BlackRock-Gründer Lawrence Fink entwickelte an der Wall Street das neue Finanzprodukt, das später weite Verbreitung fand und zur Finanzkrise 2008 führte: Immobilien- und andere langlaufende Kredite in größerer Zahl bündeln, zu einem Wertpapier machen und weiterverkaufen. Die spekulativen Hypothekenpapiere wurden zu einem führenden Finanzprodukt. Es wurde von zahlreichen Banken übernommen, von Wirtschaftsprüfern testiert, von der US-Finanzaufsicht abgenickt, von den US-Ratingagenturen bestens bewertet und auch von EU-Banken wie der Deutschen Bank und deutschen Landesbanken gierig weiterverkauft. Bis 2008 wuchs so das eingesetzte Kapital von BlackRock auf 1,3 Billionen Dollar.
Im Auftrag der US-Regierung unter Präsident Obama koordinierte BlackRock ab 2008 die staatliche Rettung der Banken, auch des weltgrößten Versicherungskonzerns American International Group AIG: Der hatte die neuen „Wert“papiere gegen Gebühr versichert, konnte dann aber nicht zahlen. Anstatt AIG zahlte nun der US-Staat auch an europäische Banken wie die Deutsche Bank Milliarden an Entschädigung. BlackRock entschied über die Verteilung des Geldes und erhielt für die Abwicklung 180 Millionen Dollar Honorar. Diese 180 Millionen waren Peanuts. Denn BlackRock wurde mit diesem Auftrag Top-Insider der westlichen Wirtschaft und kaufte den Pleitebanken mit hohen Abschlägen Wertpapiere ab, die sie abgeben mussten. Dafür bekam das staats- und systemtragende Unternehmen problemlos und günstig Kredite. So war schon 2009 das eingesetzte Kapital auf 3,3 Billionen Dollar hochgeschnellt. Danach gingen die Aufkäufe von regulären Unternehmens-Aktien in den USA und weltweit weiter.
Der Einstieg in der EU begann sofort 2009. In diesem Jahr übernahm BlackRock die deutsche Filiale der britischen Barclays Bank – Barclays Global Investors Deutschland AG – und benannte sie in BlackRock Asset Management Deutschland AG um. Ähnlich verfuhr BlackRock auch in den anderen wichtigen EU-Staaten wie Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, den Niederlanden und Schweden. In der deregulierten City of London war BlackRock schon vertreten.
Gegenwärtig ist BlackRock über Aktienanteile Miteigentümer von knapp 18000 Unternehmen. Dazu gehören 438 der 500 größten US-Konzerne, auch die Börsengiganten Amazon, Google, Facebook, Apple und Microsoft, die meisten Banken der Wall Street und Westeuropas, die wichtigsten westlichen Rüstungs- und Chemiekonzerne wie Lockheed, BAE-Systems, Rheinmetall und Bayer, Fluglinien wie Lufthansa und Ryan Air, die Konzerne der fossilen Energie wie RWE, die Autokonzerne wie General Motors und Daimler, die größten privaten Gefängnisbetreiber, in Deutschland alle DAX-Konzerne und hunderte weitere Unternehmen.
BlackRock arbeitet mit dem Kapital von Superreichen, den Multimilliardären und Multimillionären, in der Branche als High Net Worth Individuals (HNWI) und Ultra High Net Worth Individuals (UHNWI) bezeichnet. Aktive Unternehmer, Unternehmerclans, Topmanager, auch Unternehmensstiftungen, Pensionsfonds und Versicherungen gehören dazu. Sie geben die 10 oder 50 oder auch mal 100 Millionen Dollar oder Euro oder Schweizer Franken oder Yen an gerade flüssigem Kapital an BlackRock & Co. mit der Erwartung: Macht was draus, und zwar höheren Gewinn als in meiner bisherigen Bank oder in meinem eigenen Unternehmen!
Für dieses Ziel agiert BlackRock auch als der weltweit größte Organisator der Steuervermeidung. Wenn die HNWI- und UHNWI-Kunden ihre Millionen BlackRock anvertrauen und der Kapitalorganisator damit zum Beispiel die 7,86 Prozent der E.ON-Aktien zusammenkauft und damit zum größten Eigentümer des „deutschen“ Energiekonzerns wird, dann lässt BlackRock dafür 152 BlackRock-Tochterfirmen gründen. Das sind 152 Briefkastenfirmen. Sie sind über ein Dutzend Finanzoasen verteilt: In Wilmington im winzigen US-Bundesstaat Delaware – dort hat BlackRock selbst seinen rechtlichen Sitz –, in Luxemburg, den Niederlanden, auf der britischen Insel Jersey, in Singapur und so weiter. Die 10 Prozent Aktien am größten Wohnungskonzern in Deutschland, Vonovia, sind auf 220 Briefkastenfirmen verteilt. So dürften also die Aktien, die BlackRock für seine Kunden allein in den 30 DAX-Konzernen hält, auf etwa 5 000 Briefkastenfirmen verteilt sein.
BlackRock hält in der Regel zwischen 3 und 10 Prozent der Aktien eines Unternehmens. Da fragen viele: Wie kann BlackRock mit so einem kleinen Aktienpaket so viel Einfluss ausüben? Gemeinsam mit anderen, ähnlich agierenden Unternehmen, die zwar auch Konkurrenten sind, aber dennoch lieber ihren Einfluss bündeln, bestimmt BlackRock die Unternehmensstrategien der Konzerne. BlackRock mit Vanguard & Co. halten etwa 30 bis 40 Prozent der Aktien eines Unternehmens und bilden damit den weitaus größten Block. Zudem sind Vanguard, State Street, Capital World, Fidelity und Wellington auch noch Großaktionäre bei BlackRock selbst. Zur Vermeidung des Eindrucks, dass sie sich öffentlich abstimmen, bezahlen BlackRock & Co. die von ihnen beauftragten Berater wie ISS Corporate Solutions und Glass Lewis. BlackRock scheut extrem die Öffentlichkeit der Aktionärsversammlungen. „Wir nehmen Einfluss im Hintergrund“, verriet 2015 der Deutschland-Chef Christian Staub der FAZ. „Wir sprechen nicht auf Hauptversammlungen oder stellen dort Anträge … Wir tauschen uns direkt mit Vorstand und Aufsichtsrat aus.“ „Die lassen uns antanzen“, gestand Johannes Teyssen, Vorstandschef des Energiekonzerns E.ON.
BlackRock ist Miteigentümer der großen US-Ratingagenturen. Sie bewerten auch die Bonität, somit die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit der Unternehmen, in denen BlackRock-Miteigentümer ist, zum Beispiel der 30 DAX-Konzerne. BlackRock steht also auf beiden Seiten, des Auftraggebers und des Auftragnehmers. Übrigens hängen auch die Kreditkonditionen der Europäischen Union, der EU-Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank EIB und der EU-Mitgliedstaaten, auch der BRD, von den US-Ratingagenturen ab. Sie stehen als verbindliche Bewerter in den Geschäftsordnungen der EZB und der Bafin.
BlackRock wartet nicht wie die Quandts bei BMW auf die jährliche Dividende. Für BlackRock sind Aktien die Basis für ganz andere Geschäfte. Dazu gehört das Verleihen im großen Stil gegen Gebühr an Banken und andere Großkunden. Damit wurden etwa die Cum-Ex-Betrügereien ermöglicht. Zudem wettet BlackRock als größter Unternehmens-Insider der westlichen Wirtschaft auf jede Bewegung seiner Aktien, sei es nach unten oder nach oben, und zwar der Aktien in den „eigenen“ Unternehmen. Da werden die Unternehmensvorstände nicht unbedingt informiert. Durch Risikoanalysen, die den Unternehmen verkauft werden, bekommt BlackRock noch tieferen Einblick. So kann BlackRock durch dosierte Käufe und Verkäufe die Bewegung der Aktienwerte selbst verstärken.
Mittlerweile haben BlackRock & Co. auch etwas für das „Volk“ entwickelt, das Volk soll für Notlagen vorsorgen. Alle Bürger sollen Aktionäre werden – so auch die schon lange erhobene Forderung von Merz. Das populistische Finanzprodukt heißt ETF, Exchange Traded Fund, börsengehandelter Fonds. Dieses Spekulations-„Wert“papier wurde während der Deregulierung 1993 vom heute drittgrößten Kapitalorganisator State Street erfunden. Es war für Großanleger gedacht, wurde aber von BlackRock zum Massenprodukt gemacht. Das ist keine Aktie, sondern ein Anteilschein an einem Kapitalfonds, der Unternehmensanteile kauft. Eine besonders „volksnahe“ Variante von ETF sind iShares. Sie sind eine Wette auf die Entwicklung von Aktien-Indizes wie dem deutschen DAX und dem US-Index S&P500. Solche Scheine sind schon ab 1 000 Euro zu kaufen, die Gebühren sind durch automatische Abwicklung sehr niedrig. BlackRock verkauft iShares auch als Anteilscheine an einzelnen Unternehmen wie BASF, Siemens, Lockheed und Rheinmetall. BlackRock-Chef Fink gehört zur US-Lobby für die Privatisierung der Rente. In Deutschland wirbt BlackRock: „Die gesetzliche Rente reicht nicht mehr aus.“ Sie müsse privat aufgestockt werden. Dafür stellt BlackRock einen ETF-Sparplan-Rechner bereit, in dem jeder und jede ausrechnen kann: Wie viel muss ich monatlich einzahlen, wie viel ETFs muss ich kaufen? BlackRock ist gegenüber Konkurrenten auf diesem Gebiet weiter im Vorteil, weil die größte Schattenbank auch die größte Finanzdaten-Verarbeitungsanlage der westlichen Wirtschaft betreibt: Aladdin. Da werden im Nanosekundenbereich alle Aktienwerte in allen Börsen der Welt untereinander abgeglichen. Durch roboterisierte millionenfache Käufe und Verkäufe werden Millionengewinne generiert, selbst wenn die Aktienwerte sich nur zwei Stellen hinter dem Komma unterscheiden. Beispiel: BlackRock ist sowohl Bayer- wie Monsanto-Großaktionär. Der sich über zwei Jahre hinziehende, von BlackRock mitorganisierte Fusionsprozess mit seinem Auf und Ab war ein ideales Spielfeld für Aktienspekulationen. Da kommt keine westliche Finanzaufsicht mit, um die Einhaltung gesetzlicher Meldepflichten zu kontrollieren. Aladdin übernimmt auch Aufträge für andere Kapitalorganisatoren, Banken, Versicherungen und auch Zentralbanken, im Gesamtumfang von 12 Billionen US-Dollar.
BlackRock betätigt sich in allen wichtigen Staaten und bei internationalen Institutionen als Lobbyist. Der Kapitalorganisator holt renommierte Ex-Politiker und Ex-Banker in seine Gremien, baut politische Einflussnetzwerke in allen wichtigen Staaten aus. 2013 berief Fink die Stabschefin der damaligen Außenministerin Hillary Clinton in den BlackRock-Aufsichtsrat und holte sich Mitglieder der Obama-Regierung in das Management. Nach anfänglicher Kritik an Trump lobte Fink: „Trump ist gut für die US-Wirtschaft und auch für die globale Wirtschaft.“
In Europa holte Fink als Einflussagenten etwa den Ex-Präsidenten der Schweizer Zentralbank, Philipp Hildebrand, in den globalen Aufsichtsrat. 2016 wurde Jean-François Cirelli Präsident von BlackRock Frankreich. Der Topmanager von Gaz de France war seit Präsident Chirac als Privatisierer der französischen Energiewirtschaft aktiv. Der britische Ex-Finanzminister der Tories, George Osborne, bekommt jährlich 750000 Euro für einen Tag Lobbyarbeit pro Woche, unter anderem für Steuersenkungen zugunsten von BlackRock-Finanzprodukten.
Für Vorstandsfunktionen in Deutschland greift BlackRock auf Führungspersonal regierungsnaher Unternehmen zurück. Christian Staub von Allianz/PIMCO wurde Deutschland-Vorstandschef, gleichzeitig verantwortlich für die Schweiz, Österreich und Osteuropa. Ihm folgte 2018 Dirk Schmitz von der Deutschen Bank. Ex-Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen wurde 2018 Aufsichtsratschef des von BlackRock & Co. beherrschten Vonovia-Konzerns. In Deutschland wurde der Ex-CDU-Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates von BlackRock Deutschland ernannt. Die BlackRock-Vertretung in Brüssel verzehnfachte seit 2011 bis 2018 ihre Lobby-Ausgaben von jährlich 150 000 Euro auf 1,5 Millionen Euro. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International rechnet vor, dass sich EU-Finanzkommissar Jonathan Hill 2015/2016 mit Lobbyisten keines Finanzkonzerns so oft getroffen hat wie mit BlackRock. Die Brüsseler BlackRock-Lobbyisten haben erreicht, dass die Europäische Kommission 2018 eine Richtlinie zur privaten Rentenversicherung vorgelegt hat.
Nach der politischen Vorarbeit von Schröder und Merkel kauften „Heuschrecken“ wie Cerberus, Fortress und Permira seit Anfang der 2000er Jahre hunderttausende öffentliche Wohnungen vor allem in deutschen Großstädten wie Berlin, Dortmund und Köln. Die Bestände wurden inzwischen von BlackRock & Co. aufgekauft. Sie sind inzwischen die größten Eigentümer privater Wohnungskonzernen in Deutschland: LEG in Nordrhein-Westfalen mit 130000 Mietwohnungen, Deutsche Wohnen mit 163 000, Vonovia mit 400000. In allen dreien ist BlackRock der Hauptaktionär. Vonovia & Co. kaufen, betreiben, modernisieren und wandeln Wohnungen in Eigentumswohnungen um, und zwar dort, wo der Zuzug und die Wohnungsnot am größten sind. Vonovia erhöhte den Gewinn für seine Aktionäre für das Jahr 2017 um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. So befördert BlackRock die Mietpreisexplosion in Deutschland und die Verarmung und Vertreibung vieler bisheriger Mieter und Familien. Vonovia hat die Nebenkosten als zusätzliche Gewinnmaschine ausgebaut. Durch das „Insourcing“ setzt Vonovia überhöhte Kosten an, verschickt falsche und unbelegte Nebenkostenabrechnungen. Die Gewinne der Tochterfirmen stiegen laut Geschäftsbericht 2017 um 80 Prozent.
BlackRock ist Großaktionär von Amazon, der weltweit besonders aggressiv Gewerkschafts-, Arbeits- und Menschenrechte missachtet. In Deutschland weigert sich Amazon seit Jahren, einen Tarifvertrag mit ver.di abzuschließen. BlackRock ist der zweitgrößte Aktionär in Deutsche Post DHL und Commerzbank. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie in diesen Fällen keinen Einfluss auf die Geschäfte nimmt. Die Deutsche Post beging 2015 Tarifflucht, brach überfallartig eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft ver.di und zog mit Hilfe von McKinsey 49 vorher gegründete Delivery-Tochterfirmen aus der Tasche. Bisher befristete Post-Beschäftigte bekamen das erpresserische Angebot, unbefristet in diese Firmen zu wechseln, aber zu wesentlich niedrigerem Lohn.