Die langfristige US-Strategie in Europa und die Bundesrepublik

An der Spitze der Kriegstreiber

Verschiedene eher konservative Autoren haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf das langfristige Interesse der USA aufmerksam gemacht, keine Kooperation zwischen Russland und Westeuropa, speziell Deutschland, zuzulassen. Am bekanntesten wurde wahrscheinlich eine Rede, die der US-Politikwissenschaftler George Friedman 2015 in Chicago hielt. Friedman hatte 1996 die private Nachrichtendienstgesellschaft „Stratfor“ gegründet. Ein zentraler Satz aus seiner Rede, in der er den Putsch von 2014 in der Ukraine kommentierte und die auf YouTube mit deutscher Übersetzung steht, lautete: „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse war sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt.“

Arnold Schoelzel 1 - An der Spitze der Kriegstreiber - Europäische Union, Kriege und Konflikte, USA - Positionen

Hierzulande waren es Autoren wie der frühere parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU) und der Publizist Michael Lüders, als Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft Nachfolger von Peter Scholl-Latour, die auf diese Grundlinie der US-Außenpolitik aufmerksam machten. Wimmer gab 2019 eine Geburtsschrift der genannten Strategie auf Deutsch heraus: Die Rede des britischen Geographen Halford John Mackinder, die dieser unter dem Titel „Der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte“ 1904 vor der Royal Geographical Society in London gehalten hatte: Es dürfe nie zu einer kompakten Landmacht im „Herzland“ Eurasiens kommen.

Am massivsten macht gegenwärtig der rechte Sozialdemokrat und Vertraute Angela Merkels, Klaus von Dohnanyi, auf diese US-Position aufmerksam. Die grundlegende These seines im Januar erschienenen Buchs „Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und internationale Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ lautet: Die Interessen der USA in Bezug auf die Beziehungen der Europäer zu Russland waren seit den Zeiten von Präsident Theodore Roosevelt (1901 bis 1909), dem großen Vorbild Donald Trumps, den europäischen entgegengesetzt. Roosevelt habe die Monroe-Doktrin auf die sich Anfang des 20. Jahrhunderts ausbildende Weltmachtposition der USA ausgedehnt. Es gebe daher seit Ende des 19. Jahrhunderts „eine imperialistische Grundlinie US-amerikanischer Außenpolitik“. Hintergrund für Roosevelt sei die wachsende Stärke des Deutschen Reiches gegenüber dem schwächelnden britischen Empire gewesen. Er sei zu der Auffassung gelangt, „dass Deutschlands Einstellung gegenüber uns (es) zur einzigen Macht werden lässt, die mit irgendeiner vermutlichen Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit mit uns zusammenstoßen könnte“. Roosevelt sei daher ab 1914 konsequent für einen Kriegseintritt der USA gewesen, während US-Präsident Woodrow Wilson noch zögerte.

Dohnanyi illustriert dies mit einer Episode, die sich Ende der 70-er Jahre zutrug. Er leitete damals als Staatsminister im Auswärtigen Amt von BRD-Seite eine NATO-Übung, die mit einem Angriff „aus dem sowjetischen Osten“ begann. Im Rahmen des Planspiels hätten die USA ohne Information an ihn „kleinere ‚taktische‘ nukleare Sprengsätze über Deutschland abgeworfen“. Er sei überrascht gewesen, „dass ein solcher Eingriff in die souveränen Rechte der Bundesrepublik ohne Abstimmung erfolgen konnte“, und habe an Bundeskanzler Helmut Schmidt geschrieben. Bei einem Treffen wenig später habe der bemerkt, „ihm sei diese Strategie der NATO bekannt, und er werde, soweit kriegsähnliche Entwicklungen in Europa erkennbar würden, Deutschland für neutral erklären“.

An dieser Konstellation, schreibt Dohnanyi, habe sich nichts geändert. Das stimmt seit dem 27. Februar nicht mehr. Der heutige SPD-Kanzler hat die Bundesrepublik angesichts kriegerischer Entwicklungen in Europa nicht für neutral erklärt, sondern stellt sich sogar an die Spitze der Kriegstreiber. Die Rechnung der USA mit dem deutschen Imperialismus ist wieder aufgegangen.

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"An der Spitze der Kriegstreiber", UZ vom 18. März 2022



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