Gleich wird‘s Weihnachten und mein zweites Kolumnenjahr in der UZ ist absolviert. Konnten schon die Erwartungen an das Regierungsgeschick der Ampel zu Beginn des Jahres nicht hoffnungsvoll sein, so ist deren innen- und außenpolitische Bilanz 2023 niederschmetternd. Eine Katastrophe für Deutschland und dessen Geltung in einer Welt, die in geschichtlichem Ausmaß in Bewegung geraten ist. Nicht nur im globalen Süden suchen Staaten nach ihrem souveränen Platz in dem sich herausbildenden multipolaren Beziehungsgeflecht, das eine friedliche, ökonomisch gerechtere und ökologisch vernünftige Gestaltung der Erde anstrebt. In solchen Verhältnissen, die der „Wertewesten“ verstört als Irrweg ins Autoritäre oder altsozialistischen Linksruck plakatiert, verorten sie Fortschritt und Zukunftsfähigkeit. Auch europäische Regierungen könnten in Zeiten des Wandels den unseligen EU-Dünkel ablegen und, ohne ihre Bindungen an die zweifellos umbaubedürftige Europäische Union aufzugeben, ihren Völkern einen Platz an der neuen Welttafel sichern.
Die Ampel will das nicht und wird sich nicht bessern. Der Kniefall am Washingtoner Hof, die Preisgabe ökonomischer Interessen an ideologische Wünschelrutengänge, die Widerspruchslosigkeit gegen die verfluchte Expansionseuphorie der NATO samt den ruinös gesteigerten nationalen Rüstungskosten zulasten sozialer und infrastruktureller Sanierungen, nicht zuletzt die Deklassierung deutscher Diplomatie zu vulgärpolitischer Phrasendrescherei – all das scheint verheerend tief in das Porzellan eingebrannt zu sein, auf dem uns der ganze Regierungsbrei serviert wird.
Wahlen widerspiegeln Wut und Nervosität im Volk. Die Wirtschaft hegt Fluchtgedanken. Der Oppositionsführer hebt demagogisch den Zeigefinger, aber er weiß nichts Gescheites. Die AfD genießt die Abwiegelung berechtigter Bürgerproteste, bläst sich zur Kümmererpartei auf und ist hinter ihrer bürgerlichen Maske doch nur die hässliche braune Drohung. Momentan noch mit fatalem Zulauf. „Die Linke“ als Parlamentspartei hat durch ihre Abkehr von einst konstituierenden Prinzipien leider die Fähigkeit verloren, den aus Friedenssehnsucht und sozialer Sorge vorgetragenen Widerspruch der Bevölkerung gegen den Regierungspfusch bei sich zu kanalisieren. Solcher Protest verfängt sich nun auf den Leimruten der AfD. Was kann man als Linker nur tun bei all der Beklommenheit hierzulande, wo volksferne Staatsräson mediale Wiederkäuer züchtet und vernünftiger Gegenrede der Maulkorb anlegt wird? Wie sich bemerkbar machen in einer Welt, an deren fragilen Wandel zum Vernünftigen hin immer wieder gegnerische Lunten gelegt sind?
Kämpfen in jeder geeigneten Arena! Das braucht Durchsicht! Heißt: Erkennen und sagen, was ist! Den Radierern der Wahrheit ins Wort fallen! Ihre demagogische Sprache dechiffrieren! Der Ukraine-Krieg oder die Angriffe aus Gaza waren „unprovoziert“? Wer die Genese dieser Tragödien leugnet, wird nicht verhindern, dass aus Schwelbränden neue Infernos lodern. Russische Sportler hätten bei den Olympischen Spielen nichts zu suchen? Waren US-Sportler ausgesperrt, als ihr Land aus herbeigelogenem Anlass blutige Kriege gegen Vietnam oder den Irak führte? Der Westen müsse seine Werte in Taipeh verteidigen? Wie am Hindukusch etwa? Säbelrasseln gegen die Volksrepublik China torpediert jede geopolitische Gesundung, riskiert Krieg. Deutschland werde von Flüchtlingsströmen verstopft, weil es seine Einwanderungspolitik vergeigt hat? Was für Scheuklappen! Wir erleben die Flucht vor Gemetzeln und Armut, die den armen Völkern durch koloniale und neokoloniale Ausbeutung aufgebürdet wurden. Der Reichtum des „Wertewestens“ wurzelt in diesem Unrecht. Ströme von Kriegsflüchtlingen werden nur durch Frieden aufgehalten und Elendsflüchtlinge nur durch eine gerechte internationale Wirtschaftsordnung, durch ein Dasein in Würde und Selbstbestimmung. Frieden und gesellschaftlicher Progress – dahin gehen die besonnenen Kämpfe. Hier sind wir solidarisch aufgehoben. 2024 und hoffentlich lebenslang.