Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie haben am Montag und Dienstag vergangener Woche mehrere tausend Beschäftigte des Handelsriesen Amazon in Deutschland die Arbeit niedergelegt. Streikaktionen gab es in Bad Hersfeld, wo zuletzt Dutzende Fälle von Ansteckungen mit dem Coronavirus registriert worden waren, in Koblenz, Leipzig, Rheinberg und Werne. An anderen Standorten, etwa im bayerischen Graben, waren Ausstände aufgrund der dort noch geltenden Restriktionen nicht möglich. Die Beschäftigten dort beteiligten sich aber mit kleineren Aktionen an dem bundesweiten Protest.
Wie die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mitteilte, war die Beteiligung an dem Streik an allen Standorten hoch, obwohl die Bedingungen außergewöhnlich kompliziert waren. So konnten keine großen Streikversammlungen durchgeführt werden, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Die Gewerkschafter griffen deshalb zu kreativen Lösungen. So gab es „Drive-In-Streikversammlungen“ im Stil von Autokinos, bei denen die Teilnehmenden in ihren Autos sitzen blieben und dort die Formulare zur Streikgelderfassung ausfüllten. In Leipzig gab es einen mehrstündigen Autokorso durch die Stadt.
„Wir verschärfen die Gangart“, hatte der bei ver.di für den Einzel- und Versandhandel zuständige Orhan Akman im Vorfeld des Ausstands erklärt. Amazon zeige keine Einsicht und gefährde die Gesundheit der Beschäftigten zu Gunsten des Konzernprofits. „Wenn das Unternehmen geglaubt haben sollte, dass wir es aufgrund der Pandemie in Ruhe lassen, hat es sich getäuscht. Bei ver.di aktive Kolleginnen und Kollegen brennen darauf, ihren Unmut über die Politik von Amazon und dessen fahrlässigen Umgang mit der Gesundheit der Beschäftigten zum Ausdruck zu bringen.“
In Leipzig wies ver.di-Streikleiter Jörg Lauenroth-Mago darauf hin, dass die Kolleginnen und Kollegen bei Amazon seit Wochen unter einer extremen Arbeitsbelastung litten. „Die Umsätze und Gewinne sind bei Amazon während der Corona-Pandemie durch die Decke gegangen. Gleichzeitig zeigen zahlreiche Corona-Fälle an den Standorten Winsen an der Luhe und Bad Hersfeld, wie stark die gesundheitliche Gefahr für die Beschäftigten war und ist. Trotzdem gab es lediglich bis Ende Mai einen Bonus für die Beschäftigten.“
Amazon hatte den Beschäftigten vorübergehend zwei Euro mehr pro geleisteter Arbeitsstunde gezahlt und dies mit den besonderen Herausforderungen durch die Pandemie begründet. Kritisiert wurde jedoch von Anfang an, dass dieser Bonus nur für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt wurde, wer zum Beispiel aufgrund von Krankheit fehlte, bekam den Zuschlag nicht. So bestand die Befürchtung, dass sich erkrankte Kollegen zur Arbeit schleppen würden, um das Geld nicht zu verlieren.
Ende Mai lief der Zuschlag an allen deutschen Amazon-Standorten aus. Das hat das Fass bei den Beschäftigten zum Überlaufen gebracht, denn nach wie vor macht Amazon Rekordumsätze und Konzerneigner Jeff Bezos gilt als reichster Mann der Welt. „Zwei Euro kann sich Amazon leisten“, hieß es auch in dieser Woche auf Stickern, die sich Streikende an die Westen geklebt hatten.
ver.di fordert bereits seit 2013 die Anerkennung der regionalen Tarifverträge für den Einzel- und Versandhandel durch Amazon sowie einen Tarifvertrag für „Gute und gesunde Arbeit“.