Straßenmüll soll besser entsorgt werden, EU schürt Privatisierungsdruck

Am Tropf der Plastikindustrie

Es gibt zwei Themen, auf die Kommunalpolitiker regelmäßig angesprochen werden: fehlende Parkplätze und wilder Müll. Ersteres führt schnell zu heiklen Diskussionen über die Verkehrswende und die Aufteilung des Straßenraumes. Doch beim zweiten Thema herrscht weitgehende Einigkeit. Abfall auf den Straßen ist ein Ärgernis. Die Vermüllung stört nicht nur den ästhetischen Eindruck; sie führt auch zu handfesten ökologischen Problemen. Besonders negativ stechen dabei Plastikabfälle hervor. Sie verrotten nicht und verteilen sich schnell. Kleinste Plastikpartikel werden an die Umwelt abgegeben und landen schließlich in Pflanzen, Tieren und Menschen. Flüsse und Meere werden geradezu verseucht. Der Plastikmüll muss also beseitigt werden.

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Vincent Cziesla

Jedes Jahr sammeln die kommunalen Stadtreinigungen knapp 140 Liter Straßenmüll pro Einwohner ein. Nach einer aktuellen Studie des „Verbandes kommunaler Unternehmen“ (VKU) setzt sich dieser Müll zu 40 Prozent aus Kunststoffen und Verpackungsmaterialien zusammen. Um die Straßen von Einwegplastik (knapp 20 Prozent des Gesamtmülls) zu befreien, werden pro Jahr deutschlandweit 700 Millionen Euro aufgewendet. Allein das Aufsammeln von Zigarettenkippen mit Plastikfiltern kostet rund 225 Millionen Euro. Gesondert erfasst wurden auch Coffee-to-go-Becher: sie zu entsorgen kostet 120 Millionen Euro im Jahr.

In vielen Gemeinden steht nicht genug Geld zur Verfügung, um eine flächendeckende Stadtreinigung zu finanzieren. Häufig konzentrieren sich die Arbeiten dann auf Gebiete, die als besonders prestigeträchtig gelten. Dort, wo sowieso schon wenig Geld vorhanden ist, bleibt es häufiger dreckig. So wird der Eindruck gefördert, dass gerade die ärmeren Gebiete überwiegend von „Müllsündern“ bevölkert würden. Das Abfallproblem wird zur Sittenfrage aufgeblasen. Die Suche nach Lösungen tritt in den Hintergrund.

Dabei ist es gar nicht so schwer, einen Ansatz zu finden: Es muss weniger Müll produziert werden! Im Rahmen der EU-Kunststoffrichtlinie wurden bereits einige Plastikprodukte verboten. Nach einem Vorschlag von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wird derzeit darüber diskutiert, ob die Kunststoffindustrie an den kommunalen Reinigungskosten beteiligt werden soll. „Herstellerverantwortung“ ist das Stichwort. Noch ist vollkommen unklar, wie das Geld eingesammelt werden könnte. Schnell denkt man an eine Art „Plastiksteuer“. Am Ende werden es die Verbraucher sein, die diese Kosten zahlen. Die Belastung dürfte sich indes im Rahmen halten: Knapp 8,30 Euro kostet die Plastikbeseitigung pro Bundesbürger im Jahr. Wesentlich unangenehmer ist die Vorstellung von einer Stadtreinigung, die unmittelbar am Tropf der Plastikindustrie hängt.

Die „Industrievereinigung Kunststoffverpackungen“ hat bereits reagiert und fordert, „… dass zur Sicherung des freien Binnenmarktes nur eine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinie erfolgen kann, bei der die Dienstleistungen ausgeschrieben werden“. Damit kann eigentlich nur die Stadtreinigung gemeint sein. So zeigt sich das ganze Elend der neoliberalen EU-Strategie: Es ist ein kurzer Weg vom ärgerlichen Müllhaufen an der Straßenecke zum steigenden Privatisierungsdruck in der Daseinsvorsorge. Das ganze Gerede von der „Herstellerverantwortung“ mag schon fast progressiv klingen. Doch wer in der EU „Verantwortung“ übernimmt, bestimmt auch oft, was gespielt wird. Dagegen gilt es zu opponieren. Die Plastikproduktion muss stärker eingeschränkt werden und natürlich spricht nichts dagegen, Gewinne abzuschöpfen und die Profiteure des Mülls zur Kasse zu bitten. Doch das darf nicht zur Einschränkung der Selbstverwaltung führen. So kann man mit Blick auf die unterfinanzierten Kommunen resümieren: Gebt denen Geld, die Verantwortung tragen, und nicht denen Verantwortung, die Geld haben.

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"Am Tropf der Plastikindustrie", UZ vom 4. September 2020



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