Nach den RKI-Leaks: Untersuchungsausschuss gefordert – Ein Gespräch mit Andrej Hunko

„Am Ende die Spaltung überwinden“

Vor zwei Wochen veröffentlichte eine Journalistin die unzensierten Protokolle des Corona-Krisenstabs beim Robert Koch-Institut (RKI). UZ sprach mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (BSW) über den Inhalt, die Folgen der Corona-Politik und seine Forderung nach einem Untersuchungsausschuss.

UZ: Kurz nach Bekanntwerden der ungeschwärzten RKI-Protokolle entbrannte ein Kampf um die Deutungshoheit. „Nichts Neues“, hieß es in der bürgerlichen Medienwelt. „Nichts zu verbergen“, meinte der Gesundheitsminister. Was ist dein Eindruck vom Inhalt der Protokolle?

Andrej Hunko: Direkt am Tag der Veröffentlichung sagten viele Journalisten: Da steht ja nichts Interessantes drin. Zu diesem Zeitpunkt konnte aber noch niemand die Tausende Seiten studiert haben. Deswegen halte ich diese Einschätzungen für wenig glaubwürdig. Mir sind bislang drei Punkte besonders aufgefallen, die ich für wirklich relevant halte. Vollständig konnte ich die Protokolle auch noch nicht durcharbeiten.

Zum einen geht es um eine Aussage aus dem November 2021. Damals wurde von einer „Pandemie der Ungeimpften“ gesprochen. Daran beteiligten sich viele Regierungsvertreter, aber zum Beispiel auch der Welt-Ärztepräsident Montgomery, der sogar von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ sprach. Im RKI-Protokoll wird diese Wendung kritisiert. Die Darstellung sei „aus fachlicher Sicht nicht korrekt“. Aber dann heißt es weiter: Der Gesundheitsminister äußert sich entsprechend und das kann man wohl nicht ändern. Das Institut, das eigentlich eine unabhängige Bewertung vornehmen sollte, kam also zu der Einschätzung, dass es keine wissenschaftliche Evidenz für eine „Pandemie der Ungeimpften“ gab, schritt aber nicht ein, weil man dem Minister nicht öffentlich widersprechen wollte. Das finde ich schon krass.

Das zweite Thema knüpft daran an. Es hat immer wieder politische Vorgaben gegeben. Das fängt schon bei der ersten Hochskalierung der Gefährdungslage von „Hoch“ auf „Sehr hoch“ im Frühjahr 2020 an. Auch danach gab es immer wieder politische Weisungen von bestimmten Personen oder aus dem Bundesgesundheitsministerium. In den Protokollen kann man nachlesen, wie die Wissenschaftler des RKI diesen Vorgaben folgten, obwohl sie selbst an einigen Stellen zu anderen Einschätzungen kamen.

Drittens war frühzeitig bekannt, dass es relevante Nebenwirkungen bestimmter Impfstoffe gab, etwa bei AstraZeneca. Beim Paul-Ehrlich-Institut ging eine beachtliche Zahl an entsprechenden Meldungen ein. Im RKI war das bekannt, es wurde aber überhaupt nicht nach außen kommuniziert. Das finde ich unverantwortlich. Selbst dann, wenn man die Einschätzung hat, dass die Impfung sinnvoll ist, müssen solche Erkenntnisse öffentlich gemacht werden. Dann hätten die Betroffenen eine eigene Risikoeinschätzung vornehmen können.

UZ: Dabei geht es auch um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik …

Andrej Hunko: Ich habe die Pandemiepolitik von Anfang an kritisch verfolgt und auch im Bundestag immer wieder darauf hingewiesen, dass es für viele Maßnahmen keine oder nur eine mangelhafte wissenschaftliche Evidenz gab. In meiner Erklärung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht hatte ich im Dezember 2021 beispielsweise klargestellt, dass es eben keine Belege dafür gibt, dass die Impfung zu einer sterilen Immunität führt. Doch die Regierung setzte auf autoritäre Maßnahmen, meistens flankiert von einer hochmoralisierenden Propaganda. Wer Zweifel äußerte, galt als Verschwörungstheoretiker. Kritikern wurde vorgeworfen, zum „egoistischen Teil der Gesellschaft“ zu gehören, der sich gegen den „solidarischen Teil der Gesellschaft“ stellt. Das war das Framing innerhalb des ganzen Diskurses. Darauf sind leider auch viele Linke reingefallen.

Noch ein Beispiel: Im April 2020 äußerten WHO-Studien Zweifel daran, dass ein allumfängliches Tragen von Masken sinnvoll sei. Das Tragen von FFP2-Masken wurde aus Arbeitsschutzgründen ohnehin nur für anderthalb Stunden empfohlen. Zwei Wochen später wurde eine Maskenpflicht eingeführt und Verstöße gegen sie mit Bußgeldern bewehrt. Was eben noch als wissenschaftlich unsicher galt, wurde – ohne dass sich die Studienlage geändert hätte – zur verpflichtenden Maßnahme gemacht. Das ist mir schon sehr aufgestoßen, wobei ich mich nicht generell gegen das Maskentragen ausspreche, sondern gegen den autoritären, obrigkeitsstaatlichen Zug, den die Pandemiepolitik von Anfang an hatte.

UZ: Die BSW-Gruppe im Bundestag fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik. Was soll der leisten?

Andrej Hunko: Man muss verstehen, dass die Pandemiepolitik zu den größten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik und zu einer tiefen Polarisierung der Gesellschaft geführt hat, die bis heute nachwirkt. Freundschaften und politische Gruppen sind an dieser Frage zerbrochen. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden monatelang vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Das ist so umfangreich, dass eine Aufarbeitung aus meiner Sicht unumgänglich ist. Warum wurde etwas so gemacht und nicht anders? Welche Maßnahmen waren sinnvoll, und welche waren es nicht? Ein Untersuchungsausschuss ist ein Instrument des Parlamentes, das harte Rechte hat. Dort können beispielsweise Zeugen vorgeladen und vereidigt werden. Das ist auch der Unterschied zu einer Enquete-Kommission oder zu einem Bürgerrat. Letzteren fordern SPD und Grüne. Hierfür werden Bürger zufällig ausgelost und sprechen dann über ihre Erfahrungen in der Corona-Zeit. Das kann man machen, aber es ist doch nicht ausreichend. Und eine Enquete-Kommission ist – mit Verlaub – ein Laberverein. Das war zumindest meine Erfahrung als Mitglieder der Enquete-Kommission zu 20 Jahren Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Einen Untersuchungsausschuss gab es nur zum Abzug. Deshalb konnte dort beispielsweise nicht untersucht werden, wieso Deutschland überhaupt in den Einsatz eingetreten ist. Solche Fragen wurden sofort unterbunden, weil sie nicht Teil des Untersuchungsauftrags waren. Daran sieht man, wie wichtig es ist, dass der Untersuchungsgegenstand weit genug gefasst wird.

UZ: Mit welchen zentralen Fragen soll sich der Ausschuss beschäftigen?

Andrej Hunko: Das Thema ist so groß, dass ich hier nur an der Oberfläche kratzen kann. Es geht darum, aufzuarbeiten, Interessen offenzulegen und Verantwortlichkeiten zu benennen und am Ende natürlich auch darum, die Spaltung zu überwinden. Ich habe schon gesagt, dass in der Corona-Zeit Millionen Menschen ausgeschlossen wurden. Aber es gab auch unzählige Verurteilungen wegen irgendwelcher Verstöße gegen die Maßnahmen. Noch heute läuft eine fünfstellige Zahl von Bußgeldverfahren. Ein junger Berliner wurde kürzlich verurteilt, weil er sich im Jahr 2021 mit sechs statt mit den damals erlaubten fünf Menschen getroffen hatte. Und das läuft Tag für Tag, trotz der Diskussion, in der inzwischen auch zugegeben wird, dass viele Maßnahmen nicht richtig waren. Dass es anders geht, zeigt zum Beispiel Slowenien. Dort wurden nach einem Verfassungsgerichtsurteil alle Strafen zurückgezahlt. Ich glaube, das wäre auch hier ein Beitrag zur Versöhnung. Ein weiteres wichtiges Thema wären auch die überlangen Schulschließungen, die in Deutschland ja viel länger waren als in anderen europäischen Ländern. Warum hat man das gemacht, obwohl Studien belegten, dass Kinder keine Pandemietreiber sind?

All das hat große gesellschaftliche Folgen. Manche Leute sagen, dass jetzt doch alles vorbei sei mit der Corona-Zeit: „Sei doch mal froh!“ Ja, aber wenn solche umfassenden Grundrechtseinschränkungen ohne hinreichende Evidenz möglich waren, dann sind sie erneut und immer wieder möglich. Gerade deshalb ist es notwendig, das gründlich aufzuarbeiten. Damit nie wieder passiert, was nie hätte passieren dürfen.

UZ: In der Pandemie ging es auch um viel Geld, um undurchschaubare Deals zwischen Wirtschaft und Politik. Soll das auch eine Rolle spielen?

Andrej Hunko: Ja, natürlich! Es gab viel Missbrauch, zum Beispiel bei der Masken- oder Impfstoffbeschaffung. Ich will nur daran erinnern, dass die größten Deals im Umfang von mehreren zehn Milliarden Euro von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen per SMS abgewickelt wurden. Ein Großteil dieser Impfstoffe wird jetzt vernichtet, aber das Geld ist ja geflossen. Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt aufgrund dieser intransparenten Impfstoffdeals gegen von der Leyen. Zugleich ist die EU-Staatsanwaltschaft von der EU-Kommission abhängig. Ich finde, dass sich der Untersuchungsausschuss damit befassen sollte, soweit das für ein nationales Parlament eben möglich ist.

UZ: Du sprichst einerseits von politischer Aufklärung und andererseits von gesellschaftlicher Aufarbeitung …

Andrej Hunko: Das gehört zusammen. Ich beobachte es auch in meinem Umfeld: Es gibt tiefe Risse, die noch nicht verheilt sind. Politische Gruppen, die sich in der Corona-Zeit gespalten haben, kooperieren bis heute nicht miteinander. Die Aufarbeitung müsste eigentlich auf allen Ebenen stattfinden. Ich sehe aber nicht, dass das passiert. Viele der Polarisierungen, die es damals gegeben hat, setzen sich heute in der Frage des Krieges in der Ukraine fort. Die bekannten Propagandamechanismen und die Stimmungsmache gegen Leute mit abweichenden Positionen werden eins zu eins übernommen. Umso wichtiger ist, dass wir das, was wir gesellschaftlich für notwendig halten, politisch einfordern.

Das Gespräch führte Vincent Cziesla.

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"„Am Ende die Spaltung überwinden“", UZ vom 9. August 2024



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