An diesem Freitag gehen die Verhandlungen über den Haustarif bei Volkswagen in die nächste Runde – beim letzten Termin hatte der Konzern kein Angebot vorgelegt. Der Tarifvertrag betrifft 120.000 Beschäftigte in den sechs westdeutschen Werken in Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Hannover, Emden und Kassel sowie bei den Financial Services und Volkswagen Immobilien.
UZ: Der Absatz bei VW ist wegen Corona zurückgegangen, trotzdem fordert die IG Metall in den laufenden Tarifverhandlungen mehr Entgelt. Ist das realistisch?
Uwe Fritsch: Die Forderung der IG Metall, eine Entgelterhöhung von 4 Prozent, Verbesserungen bei der 2019 neu eingeführten tariflichen Freistellungszeit sowie die Fortschreibung der Garantie zum Angebot von jährlich 1.400 neuen Ausbildungsplätzen für die kommenden zehn Jahre durch Volkswagen, ist gut begründet. Wir wollen die Kaufkraft, auch gerade angesichts der Pandemiefolgen, stärken und die Zukunft der Ausbildung bei Volkswagen sichern. Im Übrigen zeigen die aktuellen Zahlen, dass das Unternehmen bisher vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen ist.
UZ: Seit drei Jahren hat es bei VW keine tabellenwirksame Entgelterhöhung gegeben. Hätte die Gewerkschaft nicht schon vor der Pandemie mehr Druck machen müssen?
Uwe Fritsch: In den letzten Tarifrunden lagen die Schwerpunkte der Tarifergebnisse auf qualitativen Themen, wie zusätzliche freie Tage zum Beispiel für Pflege beziehungsweise das tarifliche Zusatzentgelt und Job-Sicherheit. Die absolut positive Resonanz bei Kolleginnen und Kollegen hat gezeigt, dass das genau richtig war. Das haben jetzt auch die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung der IG Metall eindrucksvoll bestätigt.
UZ: Gleichzeitig verhandelt die IG Metall den Tarif für die Metall- und Elektroindustrie. Schon die letzte Tarifrunde stand unter dem Eindruck von Pandemie und Krise. Entgelterhöhungen gab es nicht. Hätte sich die IG Metall im Rückblick kämpferischer zeigen sollen?
Uwe Fritsch: Auch in der Metall- und Elektroindustrie hat sich der tarifpolitische Kurs als richtig erwiesen. Auch die Durchsetzung von Beschäftigungssicherung und Verbesserungen bei den Kurzarbeitsregelungen wäre ohne unser Durchsetzungsvermögen kaum gelungen.
UZ: Kurzarbeit und Home-Office: Was bedeutet die Pandemie für die Kolleginnen und Kollegen bei VW?
Uwe Fritsch: Die Corona-Krise hat unser aller Leben dramatisch auf den Kopf gestellt. Das gilt sowohl für das Arbeitsleben als auch für den privaten Bereich. Auch die Kurzarbeit während des Lockdowns im letzten Frühjahr hat es in dieser Dimension bei Volkswagen noch nicht gegeben. Aber nur so waren die Einbrüche und die Lieferausfälle überhaupt zu bewältigen. Auch die Erweiterung der mobilen Arbeit beziehungsweise die Praxis des Home-Office hat sich bewährt und tut es immer noch.
UZ: Kann denn in der Produktion der Infektionsschutz gesichert werden?
Uwe Fritsch: Wir haben sehr schnell einen 100-Punkte-Plan zum größtmöglichen Gesundheitsschutz für Kolleginnen und Kollegen zusammengestellt. Nach wie vor liegen die Inzidenzwerte an den Volkswagenstandorten deutlich unter denen der jeweiligen Kommune. Das ist ein großartiger Erfolg. Ich will es einmal so ausdrücken: Dank unserer Schutzmaßnahmen ist man bei Volkswagen bei der Arbeit sicherer vor Corona als in einem Supermarkt. Das hat auch viel mit der hohen Disziplin aller im Betrieb zu tun.
UZ: Kann der Betriebsrat das kontrollieren?
Uwe Fritsch: Mitgestalten und mitbestimmen, gerade in der aktuellen Situation, heißt auch mitverantworten. Dessen sind wir uns als Interessenvertretung sehr bewusst. Deswegen arbeiten wir aktiv in den Krisenstäben mit und diskutieren und erklären die Maßnahmen gegenüber der Belegschaft. Die Maßnahmen sind ja nicht ohne und stellen durchaus Belastungen dar, zum Beispiel der lange Verzicht auf die Benutzung von Waschräumen.
UZ: Welche Erfahrungen habt ihr mit Home-Office in der Pandemie gemacht? Mehr Druck oder mehr Selbstbestimmung?
Uwe Fritsch: Bisher sind die Erfahrungen mit der mobilen Arbeit, dazu hatten wir ja schon vorher eine sehr gute und praktikable Regelung, weit überwiegend sehr gut. Es gibt kaum Probleme. Die viel größere Frage ist doch auch, wie Beschäftigte mit betreuungspflichtigen Kindern die Situation stemmen. Da vollbringen ganz viele Höchstleistungen. Wir werden irgendwann die Erfahrungen mit der mobilen Arbeit auswerten und schauen, was das für die Regelungen heißt.
UZ: Die IG Metall fordert in den Tarifverhandlungen auch „Zeit statt Geld“. Bedeutet das nicht, die Folgen des Strukturwandels in der Autoindustrie von den Beschäftigten tragen zu lassen?
Uwe Fritsch: In Abwandlung des Spruchs „Zeit ist Geld“ kann man sagen: Zeit ist Geld wert. Viele Kolleginnen und Kollegen wissen die zusätzliche Arbeitszeitverkürzung durch weitere freie Tage sehr zu schätzen. Das Interesse ist riesig. Deswegen wollen wir das unbedingt ausbauen. Mit der IG Metall muss sich niemand sorgen, dass die Lasten einseitig den Menschen aufgebürdet werden. Da halten wir schon dagegen!