Griechenland: Lernen aus einem halben Jahr „Linksregierung“

Altes Elend, neue Erfahrung

Von Olaf Matthes

Im Januar, während des griechischen Wahlkampfes, warnte die Mainstream-Presse vor den schlimmen Folgen, die eine linke Regierung haben könne. „Die Welt“, das scheinseriöse Blatt des Springer-Konzerns, setzte andere Akzente: „Warum die Aufregung?“, fragte sie. Ein „Grexit“ sei kein Weltuntergang, schrieb am 27. Januar, dem Tag der griechischen Wahlen, der Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar in der „Welt“.

Straubhaar ist Botschafter der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, und deshalb weiß er, mit welchen Mechanismen es möglich ist, eine Politik im Interesse der großen Banken und Konzerne durchzusetzen. Er erinnerte daran: „‚Rechte‘ Reformen müssen von ‚links‘ kommen“ – schließlich war es in Deutschland auch eine rot-grüne Regierung, die die „Agenda 2010“ durchbrachte. Wahrscheinlich, so Straubhaar, werde Tsipras am Ende denselben Weg gehen wie Gerhard Schröder: Von Umverteilung reden und gleichzeitig „Strukturanpassungen“ umsetzen – also die Maßnahmen, mit denen die Profite des Kapitals gesteigert werden können.

Bisher hat Straubhaar recht behalten. Die Syriza-Anel-Regierung unter dem Ministerpräsidenten Tsipras hat als entscheidenden Schritt in ihrer halbjährigen Amtszeit ein neues „Memorandum“ unterschrieben. Erhöhungen der Mehrwertsteuer, mit Rentenkürzungen, mit dem weiteren Ausverkauf des staatlichen Eigentums – trotz einer verbreiteten Ablehnung der „Sparpolitik“ in der griechischen Bevölkerung, obwohl diejenigen, die Tsipras gewählt hatten, sich das Gegenteil versprochen hatten, obwohl die Mehrheit der Menschen beim Referendum vom 5. Juli die Hoffnung ausgedrückt hatten, nicht noch mehr Lasten tragen zu müssen.

Am Sonntag wird in Griechenland wieder gewählt. Die Umfragen deuten darauf hin, dass Syriza Stimmen verlieren, aber trotzdem knapp vor der konservativen ND stärkste Partei werden könnte. Egal, welche Koalition eine Regierungsmehrheit erhalten wird: Das Programm der neuen Regierung ist durch das Diktat des Memorandums vorgegeben.

Die grundlegenden Fragen in diesem Wahlkampf sind dieselben wie im letzten, die Versprechen von Alexis Tsipras beinahe auch. Nur: Die Erfahrung mit der „Linksregierung“ des letzten halben Jahres trägt dazu bei, dass die strategischen Vorschläge der linken Parteien leichter zu unterscheiden sind.

Syriza stellt in einer offiziellen Erklärung zur Perspektive der „Linksregierung“ die Unterzeichnung des Memorandums als „taktischen Rückzug“ dar. Eine neue Syriza-Regierung könne jedoch eine „radikal demokratische Transformation des Staates“ einleiten und die Auswirkungen des Memorandums „abmildern“ – und genau dafür lohne es sich, Syriza zu wählen. In diesem Prozess sei die „Linksregierung“ ein Anfang und ein Bollwerk, das verteidigt werden müsse – die „Linksregierung“ als Selbstzweck.

Die Protagonisten der linken Syriza-Abspaltung „Volkseinheit“ hatten die „Linksregierung“ über Monate verteidigt – auch, als Tsipras bereits Angebote an die Gläubiger gemacht hatte, die sich nicht nennenswert von den erpresserischen Forderungen der Gläubiger unterschieden. Beim Referendum im Juli war die Frage so gestellt worden, dass ein „Nein“ zu den Forderungen der Gläubiger aussehen musste wie ein „Ja“ zu diesen Angeboten von Tsipras, der Sieg des „Oxi“ war auch ein Ausdruck der Hoffnung, dass Tsipras die Probleme des Landes ohne Konflikt mit der EU lösen könne. Die „Linkseinheit“ sieht das „Oxi“ als „authentische Revolte des Volkes“ – den Kurs der Tsipras-Regierung nach dem Referendum, die Unterzeichnung des Memorandums, dagegen als Bruch mit dem bisherigen Kurs von Syriza. Dementsprechend will die „Volkseinheit“ zu den Ursprüngen von Syriza zurückgehen. Eine vielfältige linke Bewegung, Bildung einer konsequenteren „Linksregierung“, Euro-Ausstieg – das sind die Schritte, die im „Programmatischen Manifest“ der „Volkseinheit“ skizziert werden, um damit weitergehende Veränderungen zu beginnen.

Aus Sicht der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) hatte bereits der Kurs, den Syriza im Laufe der letzten Jahre eingeschlagen hatte, den Weg zum Memorandum vorgezeichnet. Denn Syriza – auch der Teil, der sich nun als „Volkseinheit“ abgespalten hat – habe darauf gesetzt, in Verhandlungen mit der EU Verbesserungen zu erreichen und auf der „kapitalistischen Einbahnstraße“ nach einer Richtungsänderung zu suchen. Die KKE habe dagegen auf der Straße und in den Betrieben den Kampf für unmittelbare Verbesserungen organisiert, sie habe im Parlament beantragt, die Memoranden und die entsprechenden Gesetze abzuschaffen, und sie habe darauf hingewiesen, dass der einzige wirkliche Ausweg, um die Verelendung der letzten Jahre rückgängig zu machen, jenseits der kapitalistischen Ordnung liegt: die politische Macht des Volkes, die Vergesellschaftung der großen Banken und Konzerne, Austritt aus der EU und einseitige Streichung aller Staatsschulden. Um diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen, geht es aus Sicht der KKE jetzt darum, die bewusste und organisierte Bewegung, das Volksbündnis, gegen das Memorandum und die Angriffe der Monopole zu stärken. Die Hoffnung auf eine Lösung durch eine Linksregierung schwäche den Widerstand, sie habe in den vergangenen Jahren aus aktiven Kämpfern gegen die Memoranden passive Zuschauer gemacht.

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"Altes Elend, neue Erfahrung", UZ vom 18. September 2015



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