Arbeitsgestaltung und Arbeitszeitverkürzung

Altersgerechte Arbeitsplätze – Arbeitsplätze für Alle?

Von Anne Rieger

Beschäftigte, Betriebsräte und die Industriegewerkschaft Metall (IGM) setzten – in Zusammenarbeit mit einigen Unternehmen – Projekte zu altersgerechten Arbeitsplätzen durch. Auf einer Tagung in Frankfurt wurden sie vorgestellt. Beim Autozulieferer ZF wird im Schweinfurter Logistikzentrum Job-Rotation getestet. Beschäftigte, die schwere LKW-Kupplungen zwischen 8 und 20 Kilo wuchten, transportieren auch leichtere Teile, bearbeiten Frachtpapiere und erledigen andere Verwaltungstätigkeiten. Dieser Wechsel von schweren körperlichen Tätigkeiten mit weniger anstrengenden Arbeitsgängen sowie geistig anspruchsvolleren Aufgaben entlaste die Mitarbeiter nicht nur körperlich, er bringe auch Abwechslung in die Einseitigkeit des Arbeitsalltags, so Hans-Jürgen Urban, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der IG Metall. „Mit den neuen Anforderungen entwickeln die Beschäftigten neue Fähigkeiten“, erläuterte er. Durchgesetzt wurden auch ca. 100 ergonomische Verbesserungen: von höhenverstellbaren Schwenkarmen, um Computermonitore an Kommissionierarbeitsplätzen zu befestigen, bis zu Hebehilfen.

Bei Thyssen Krupp Elevator verfügen die Monteure für Fahrstühle und Rolltreppen über ein breites Fachwissen, verbringen viel Zeit mit Fahrten zu den Einsatzorten, müssen schwere Lasten bewegen und leisten regelmäßig Bereitschaftsdienste für steckengebliebene Lifte und andere Notfälle. Entlastend können ergonomisch gestaltete Einsatzfahrzeuge und Transporthilfen wie Trolleys und Rucksäcke sein, sowie eine Betriebsvereinbarung, die die Bereitschaftszeiten älterer Kollegen reduziert, ohne die jüngeren noch stärker in die Pflicht zu nehmen. Ältere Beschäftigte empfänden insbesondere die Bereitschaftsdienste an Wochenenden und während der Nacht als belastend.

Bei Miele in Oelde montieren die Beschäftigten Herde und Backöfen statt in Fließbandarbeit nun von Anfang bis Ende komplett eigenständig. Die Arbeit wurde abwechslungsreicher und die einseitigen körperlichen Belastungen reduziert.

Ziel dieser Projekte ist es, Arbeitsabläufe wegen der wachsenden Zahl älterer Beschäftigter umzustellen, erläuterte Urban. Um mit praktischen Erfahrungen für eine Umstellung zu werben, hat die IGM im Herbst in Zusammenarbeit mit mehreren Unternehmen diese Projekte begonnen, die vom Bundesarbeitsministerium im Rahmen der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ gefördert werden.

Ein Schritt in die richtige Richtung, der zu begrüßen ist. Er zeigt, Umstellung ist möglich. In Wirklichkeit ist es dennoch nur ein Trippelschrittchen. Denn drei Fragen drängen sich sofort auf.

Erstens: Warum werden die vorhandenen arbeitsmedizinischen Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten nicht genutzt, um alle Arbeitsplätze so zu gestalten, dass körperliche Belastungen gemindert oder die Einsatzmöglichkeiten der Mitarbeiter erweitert werden? Nicht nur Menschen im fortgeschrittenen Alter möchten körperlich gesund, motiviert und geistig aktiv dem Beruf nachgehen können.

Zweitens: Warum wird nicht das einfache Mittel der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich genutzt, um die Einwirkungszeiten der Belastungen zu vermindern? Warum werden nicht bezahlte gemeinsame Pausen eingeführt, und warum wird nicht dem ständig wachsenden Arbeitspensum ein Ende gesetzt?

Am weitesten ginge eine Verkürzung der Arbeitszeit für alle Beschäftigten. Aber auch die am Gewerkschaftstag vereinzelt geforderte Arbeitszeitverkürzung für ältere Beschäftigte oder eine zusätzliche Urlaubswoche würden Belastungen schmälern.

Drittens: Job-Rotation allein ist nur eine minimale Verbesserung der Arbeitssituation, da es nur eine quantitative Ausweitung des Aufgabenbereiches ist. Arbeitsanreicherung im Sinne einer qualitativen Verbesserung mit einem ausgeweiteten Entscheidungsspielraum, mehr Verantwortung und Mitspracherechten (Job-Enlargement bzw. -Enrichment) oder teilautonome Arbeitsgruppen erhöhen dagegen die Arbeitszufriedenheit und Gesundheit entscheidend. Zusätzlich erfordern sie nach Tarifvertrag eine erhöhte Entlohnung.

Natürlich, das ist alles eine Machtfrage und mindert den Profit der Unternehmen. Deswegen soll eben nur da, wo die erfahrenen Beschäftigten fürs Unternehmen unverzichtbar sind, ihre Arbeitssituation verbessert werden. Christian Iwanowski, IGM-Verhandlungsführer NRW in der aktuellen Tarifauseinandersetzung der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie, entlarvt die „scheinheilige Diskussion über altersgerechte Arbeitsplätze … Die Arbeitgeber lehnen Altersteilzeit ab – und haben deshalb das Thema altersgerechtes Arbeiten wiederentdeckt.“

Die IGM-Kampagne „Gute Arbeit – gut in Rente“ zeigt: „Wenn Betriebsräte, Vertrauensleute und Beschäftigte gemeinsam anpacken, dann können wir greifbare Verbesserungen erreichen“, sagt Urban. Gute Arbeit sei machbar. Das zeigten Beispiele von Unternehmen. Sie helfen gegen diejenigen im Betrieb, die sagen: Das geht nicht, dafür ist kein Geld da usw.

Aber Argumente und Beispiele reichen eben nicht aus. Immer ist der Druck von unten notwendig, um aus altersgerechten Arbeitsplätzen gute Arbeitsplätze für alle zu machen. Wenn wir die wirtschaftliche Verfügungsmacht in Frage stellen, die Eigentumsverhältnisse, die Aneignung des Mehrwerts, haben wir Chancen, unsere KollegInnen in den Kampf einzubeziehen, statt Stellvertreterpolitik zu betreiben.

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"Altersgerechte Arbeitsplätze – Arbeitsplätze für Alle?", UZ vom 26. Februar 2016



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