Nach wochenlangem Hin- und Her wurde am Freitag das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat angenommen. Im Schmierentheater der etablierten Parteien um eine angebliche Reform des Hartz-IV-Zwangssystems wurde dem öffentlichen Streit zwischen den Unionsparteien CDU und CSU auf der einen Seite und den Ampel-Parteien Grüne, FDP und SPD auf der anderen Seite viel Aufmerksamkeit geschenkt. Debatten um angebliche soziale Hängematten oder sanktionsfreie Anfangsmonate verschoben den Blick: Anstatt den unsozialen Charakter der Hartz-IV-Gesetzgebung zu kritisieren, wurde eine Scheindebatte darum geführt, dass Empfänger entsprechender Transferleistungen mehr übrig hätten als Menschen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen. Das stimmt natürlich nicht, lässt sich aber gut als Schlagzeile verkaufen.
Stefan Brandner erklärte für die AfD in der Bundestagsdebatte um den nun beschlossenen Bürgergeld-„Kompromiss“, dass seine AfD-Fraktion diesen inhaltlich ablehne. Es könnte der Eindruck entstehen, dass die von der AfD angegriffene „Regierung und Altparteien“ deswegen kritisiert werde, weil sie nichts ändere und alles beim Alten belasse. Das Alte ist in dem Fall das „aktivierende“ Hartz-IV-System, bei dem die Berechnung der monatlichen Zahlung so gering ausfällt, dass es den Empfänger der Transferleistung eben „aktivieren“ (konkret: Zwang ausüben) soll, sich schnell Arbeit zu suchen. Daran stört sich die AfD gar nicht, sondern fordert vielmehr noch mehr Aktivierung (also Zwang).
Denn das nun in Bürgergeld umbenannte Hartz-IV-System helfe „nicht denen, die arbeiten und Leistung zeigen wollen, sondern jenen, die nicht arbeiten wollen“, so AfD-Mann Kleinwächter. Die AfD-Fraktion forderte von der Bundesregierung einen alternativen Gesetzentwurf. Dieser solle eine Regelung beinhalten, nach der Empfänger von Transferleistungen nach sechs Monaten unter Androhung von Zwang zur Arbeit verpflichtet werden sollen, sofern sie nicht bereits mindestens 20 Wochenstunden arbeiten. Ausgenommen von diesem breit angelegten Zwangsarbeitsprogramm wären nach AfD also alle Niedriglöhner, die mit dem „Bürgergeld“ aufstocken müssen, weil ihr Lohn nicht reicht.
Doch damit nicht genug. Wenn es nach der angeblichen Oppositionspartei AfD ginge, dürften Bürgergeld-abhängige Empfänger künftig ihren Wohnort nicht mehr zu weit verlassen. Eine aus dem Asylrecht bereits bekannte Residenzpflicht würde so auf weitere Bevölkerungsgruppen ausgedehnt werden. Die Einschränkung individueller Handlungsspielräume im Sanktions- und Zwangsregime des Jobcenters ist neben objektiven Ungleichgewichten auf dem sogenannten Arbeitsmarkt ein zentraler individueller Grund, warum viele Menschen in Abhängigkeit von den staatlichen Zahlungen in die Langzeitarbeitslosigkeit rutschen: Druck und Einschränkungen aktivieren nicht, sondern brechen.
Wer wenig hat ist bereit, schlechtere Bedingungen zu akzeptieren. Wer gar nichts hat kann miserable Bedingungen kaum ablehnen. Zur Aktivierung hat die AfD deswegen noch einen gewichtigen Vorschlag: Die Abschaffung des Bargelds – jedenfalls für Empfänger der staatlichen Leistungen. Um sicherzugehen, dass von den mickrigen monatlichen Zahlungen ja nichts falsch ausgegeben wird, fordert die AfD eine sogenannte „Sachleistungs-Debitkarte“, also eine Art digitales Lebensmittelmarkenheft. Vorschläge wie diese haben es erst einmal nicht in die Umbenennung des Hartz-IV-Systems geschafft. Da die Sanktionen aber bleiben werden, bleiben die AfD-Vorschläge anknüpfungsfähig für die nächste Reform.