Nicht nur BRICS machen Schritte weg von den USA

Alternative zum US-Dollar

Gregor Gysi macht sich Sorgen um die Zukunft von USA und EU: „Es ist das, wovor ich immer gewarnt habe, BRICS – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – kann jetzt zu einem neuen Block werden“, beklagt er im „Phoenix Tagesgespräch“ vom 21. März. Das Flaggschiff der Springer-Journaille, die „Welt“, hatte die dräuende Gefahr für die globalen Einflusssphären des Wirtschaftswestens schon am 26. Juni letzten Jahres geortet: „Ein antiwestlicher Block entsteht, so mächtig wie noch nie.“

2015 war die unipolare Welt noch in Ordnung, sagt uns jedenfalls eine Tischvorlage der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) aus jenem Jahr. Denn „auch wenn eine multipolare Welt gerechter erscheint, ist sie nicht unbedingt friedlicher und sicherer. Integrierende Hegemonie, die Einbeziehung vieler Akteure unter der Vorherrschaft einer wohlwollenden Führungsmacht, hat in der Vergangenheit langfristig für sicherheitspolitische Stabilität gesorgt.“

Um die Vorherrschaft unserer wohlwollenden Führungsmacht ist es aktuell nicht gerade gut bestellt. Im Zuge des Ukraine-Krieges und der wild um sich schlagenden Sanktionspolitik von US-Regierung und EU haben sich die internationalen Verhältnisse beschleunigt neu sortiert. Die auf dem Globus herumreisenden Emissäre der NATO-Staaten und der EU können einer Gefolgschaft der Länder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens nicht mehr sicher sein. Bundeskanzler Olaf Scholz holte sich Ende Januar eine Abfuhr beim neuen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva – der sprach lieber über die Notwendigkeit zügiger Friedensverhandlungen als über Munitionslieferungen für deutsche Panzer auf ukrainischem Boden. In Chile und Argentinien lief es für Scholz nicht anders. Außenministerin Annalena Baerbock scheiterte kurz darauf beim G20-Gipfel in Indien: Der indische Außenstaatssekretär Vinay Kwatra verbat sich Gespräche über Waffenlieferungen und Russlandsanktionen. 1,4 Milliarden Inder verabscheuten Krieg und setzten stattdessen auf „Diplomatie und Dialog“, so Kwatra. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa quittierte im Mai 2022 den Wunsch des Kanzlers nach einem Eintritt Südafrikas in die antirussische Sanktionskoalition mit dem Hinweis, dass es doch gerade die westlichen Sanktionen seien, die die Länder des Globalen Südens in eine Hunger- und Energiekrise gestürzt hätten.

Die Einhaltung strikter Neutralität und das Streben nach einer Verhandlungslösung im Ukraine-Konflikt entspricht der Beschlusslage des letzten BRICS-Gipfels in Peking. Seit dessen Gründung 2001 sahen sich die im BRICS-Bündnis zusammengeschlossenen Schwellenländer entsprechend ihrer politischen Leitidee des Multilateralismus als globaler Gegenpol zur Wirtschaftsmacht des US-Dollar- und Eurosystems. Heute zählt der BRICS-Staatenbund zu den wirtschaftlich und politisch wirkungsmächtigsten internationalen Akteuren. 2021 betrug sein Anteil am kaufkraftbereinigten globalen Bruttoinlandsprodukt 32 Prozent – bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von 40 Prozent. Die Bemühungen der G7-Staaten, mit der Einrichtung des G20-Formats eine größere Anbindung der 19 beteiligten außereuropäischen Länder zu erreichen, sind – wie zuletzt der G20-Gipfel in Bali gezeigt hat – wegen erheblicher Meinungsverschiedenheiten auf informeller Ebene steckengeblieben.

Ganz anders die BRICS-Staaten, die inzwischen das Format „BRICS+“ ausgerufen haben. Die Liste der Bewerber um eine Mitgliedschaft ist lang: Dazu zählen Algerien, Türkei, Iran, Ägypten, Saudi-Arabien, Argentinien und Indonesien. Ein BRICS-Beitritt des NATO-Mitglieds Türkei wäre für die Strategen im Pentagon ein veritables Desaster, ähnlich verhält es sich mit dem alten Waffenbruder der USA, Saudi-Arabien. Die Mission von US-Präsident Joseph Biden im vergangenen Juli in Riad mit dem Ziel, Saudi-Arabien wieder auf Kurs zu bringen, scheiterte.

Die zunehmende wirtschaftliche und damit auch politische Isolation des Wirtschaftswestens geht nicht zuletzt auch auf die sich seit Jahren verstärkende Kooperation zwischen BRICS und den Ländern des südostasiatischen Wirtschaftsbündnisses ASEAN und dessen südamerikanischem Pendant MERCOSUR (Mercado Común del Sur) zurück. In allen drei Bündnissen werden derzeit konkrete Pläne zur Einführung eigener Handelswährungen geschmiedet. Gemeinsames Ziel ist die Ablösung des US-Dollars als Leitwährung und der Aufbau eines neuen internationalen Geldtransfermechanismus, der unabhängig vom westlichen SWIFT-System funktioniert. Dies hätte zur Folge, dass der beherrschende Einfluss der US-Zentralbank Fed, deren Zinspolitik den Lauf der gesamten Weltwirtschaft bestimmt, global ins Hintertreffen geriete. Bislang fällt jede Transaktion, die international in US-Dollar abgewickelt wird, unter US-amerikanisches Recht. Dieser völkerrechtlich höchst fragwürdigen Praxis wäre durch den Einsatz anderer Handelswährungen ebenfalls ein Ende gesetzt. Eine Entwicklung, die wahrlich keinen Anlass gibt, die Stirn sorgenvoll in Falten zu legen.

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"Alternative zum US-Dollar", UZ vom 31. März 2023



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