Das chinesische Neujahrsfest ist der wichtigste Feiertag in China. Das neue „Jahr des Tigers“ beginnt am 1. Februar. Wir veröffentlichen zu diesem Anlass einen Kommentar von Ian Goodrum, der als Redakteur für die englischsprachige Tageszeitung „China Daily“ in Peking arbeitet. Sein Beitrag ist zuerst beim chinesischen Auslandssender CGTN als Teil der Reihe „Jahresrückblicke“ erschienen.
Statt mit sinnlosen Klischees zum Jahresende aufzuwarten, will ich nur feststellen, dass es China im letzten Jahr gelungen ist, eine Bilanz seiner Leistungen zu ziehen und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Dafür stehen vor allem zwei Dokumente: Im November veröffentlichte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas auf seiner Plenartagung eine umfassende Entschließung, die einen Überblick über die hundertjährige Geschichte der Partei gibt. Das zweite Dokument ist ein Mammutwerk, in dem verbindliche, konkrete Ziele für die kommenden Jahre festgelegt wurden.
Ich spreche vom 14. Fünfjahresplan für die Jahre 2021 bis 2025. Dieser wurde zusammen mit den langfristigen Zielen bis 2035 veröffentlicht. Darin präsentiert China eine Reihe von Zielvorgaben für wichtige wirtschaftliche, soziale und entwicklungspolitische Indikatoren für das kommende halbe Jahrzehnt sowie eher qualitative Aussagen für die fernere Zukunft. Der Bericht ist sehr detailliert und es lohnt sich, einen genauen Blick darauf zu werfen, schon allein um sich von der Vorstellung zu befreien, Chinas Ambitionen seien undurchsichtig.
Eine der auffälligsten Schlussfolgerungen ist, dass Wachstum nicht mehr der einzige Maßstab ist, an dem die chinesische Wirtschaft gemessen wird. In dem Maße, in dem das Land in eine neue Entwicklungsphase eintritt, gewinnen andere Faktoren an Bedeutung: Die Beschäftigung, das verfügbare Einkommen, die Arbeitsproduktivität, der Umweltschutz, die Anzahl der Ausbildungsjahre, die Anzahl der Ärzte pro tausend Einwohner und andere. Alles Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Welt nützt nichts, wenn die Menschen nicht glücklicher, gesünder, länger und würdiger leben.
Ein Land, das kein Interesse an seinen Bürgern hat, wird das BIP-Wachstum zum ständigen und einzigen Maßstab für die wirtschaftliche Gesundheit machen. Das Ergebnis dieser Philosophie sehen wir tagtäglich in vielen Ländern: stagnierende Einkommen, wachsende Ungleichheit und die Unfähigkeit, selbst kleinere finanzielle Notlagen zu bewältigen, ohne neue Schulden zu machen.
In diesen Ländern wächst der Wohlstand – was sich im BIP widerspiegelt –, aber dieses Wachstum wird völlig ungleich verteilt. Ein winziger Teil der Bevölkerung bereichert sich auf Kosten aller anderen. Das ist nicht die Zukunft, die China will, und eine rationale Verteilung der Ressourcen durch Planung ist die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern.
In einem Land wie den USA, in dem wichtige politische Entscheidungen anscheinend aus einer Laune heraus getroffen werden, kann der Gedanke an einen langfristigen Plan wie ein Novum erscheinen. Die Behauptung, China „denke in Jahrzehnten“, während andere Länder nur bis zur nächsten Wahl denken, ist unter westlichen Kommentatoren zu einer abgedroschenen Floskel geworden; sie hat ein gewisses Maß an Wahrheit, aber nicht aufgrund eines unüberbrückbaren kulturellen Unterschieds oder der Eigenheiten der parlamentarischen Demokratie. Vielmehr liegt es an der Ausrichtung der kommunistischen Parteien im Allgemeinen und der chinesischen im Besonderen – an ihrer historischen Haltung und ihren Organisationsprinzipien, die über ein Jahrhundert hinweg beibehalten wurden.
Als Organ, das die fortschrittlichsten Elemente der Arbeiterklasse vereint und eine entscheidende Führungsrolle innehat, muss eine kommunistische Partei im Interesse dieser Klasse handeln und nicht im Interesse der Bourgeoisie. Und da die Arbeiterklasse die große Mehrheit der Menschen in einem Land repräsentiert, mit all den Widersprüchen und Komplikationen, die das mit sich bringt, wäre es eine unmögliche Aufgabe, sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern, ohne einen konkreten Plan zu haben.
Was passiert, wenn es keinen solchen Plan gibt? Wir brauchen nicht in die Ferne zu schweifen oder in Hypothesen zu schwelgen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die bürgerliche „Demokratie“ mit ihrem parteipolitischen Gezänk und ihrer Ausrichtung auf das Kurzfristige ein gewisses Maß an Chaos, ein schädliches Maß an Unsicherheit und Spannung mit sich bringt. Für viele ist dies ihr größtes Manko. Dies ist jedoch allenfalls ein Symptom und nicht unbedingt ein Problem für diejenigen, die von der Untätigkeit der Regierung profitieren.
Das Wahlchaos ist eine von vielen äußeren Ausdrucksformen des Aufruhrs in einem System, in dem die Funktionsstörung im Großen und Ganzen einem größeren Zweck dient. Der rituelle Aufruhr bei Wahlen spiegelt ein tieferes Phänomen wider, nämlich die Anarchie der kapitalistischen Produktion – in der jeder wirtschaftliche Akteur darauf bedacht ist, seine unmittelbaren Gewinne zu maximieren, ohne an die Folgen zu denken.
In diesem Sinne ist ein politisches System, das nicht in der Lage ist, langfristig zu planen oder den sozialen Nutzen in den Vordergrund zu stellen, ganz zum Vorteil der Klasse, die die Monopolmacht innehat. Es entspricht den Interessen einer Klasse, die eine rationale und gerechte Verteilung der Ressourcen mehr als alles andere fürchtet.
China bietet eine Alternative zu diesem traurigen Zustand. Mit seinem jüngsten Fünfjahresplan hat das Land einen Fahrplan für echte Maßnahmen in einer komplizierten Zeit vorgelegt. Die Versuche, China einzudämmen und einzukreisen, haben sich in den letzten Jahren verschärft, und es ist noch schwerer geworden, den Weg des Fortschritts weiterzugehen.
Mit dem Fünfjahresplan haben die chinesische Regierung und das chinesische Volk einen Plan für die nächsten fünf Jahre, ja für die nächste halbe Generation. Daraus könnte der Rest der Welt lernen – wenn Teile davon nicht so sehr damit beschäftigt wären, alles zu verteufeln, was China tut.