Im September 1978 erschien die erste Ausgabe der in West-Berlin gegründeten Tageszeitung „die tageszeitung“. Deren selbstgewähltes Kürzel „taz“ reimt sich sauber auf „FAZ“. Im 32. Jahr des genossenschaftlich herausgegebenen Print- und Onlinemediums, das sich nach Selbsteinschätzung dem „kritischen, unabhängigen Journalismus“ verschrieben hat, dachte sich die „taz“ mal wieder, dass sich mehr reimen soll mit der „Zeitung für Deutschland“ aus der Hessenmetropole als nur die Akronyme.
Anlass ist etwas, wo sich Linke a. D. und Nie-links-Gewesene gerne zusammentun, um den Shitstorm in den sozialen Medien zu füttern und dann gemeinsam auf der Welle gehirnakrobatisch zu reiten: die Tarifrunde öffentlicher Dienst. Dass in der „FAZ“ bei diesem Thema Fakten in der postmodernen Lostrommel landen, und dabei herauskommt, ver.di vergesse, „was in der Welt los ist“, verdient kaum eine Nachbemerkung. Wenn die „FAZ“ nicht ausblendet, dass die Arbeitgeberseite auf den Zeitpunkt der Tarifrunde gepocht hat und mit einem lächerlichen Angebot noch nicht einmal einen Stolperschritt auf die mit Balkonapplaus abgefrühstückten „Corona-Helden“ zugegangen ist, hätte sie schlicht ihren Klassenauftrag vergeigt.
Daneben gibt es aber auch die Attacken unter falscher Flagge auf den organisierten Kampf der Lohnabhängigen. Wobei das sich im Wind drehende rote Fähnchen der „taz“ schon lange nicht mehr nachgefärbt wurde. Schon vor sechs Jahren durfte die AfD eine Anzeige in dem Blatt schalten. Das Wedeln mit der nunmehr weiß ausgeblichenen Fahne als Zeichen der Ergebung vor den Klassenverhältnissen, betreibt die „taz“ Tennisarm-provozierend. In der vergangenen Woche hat man den geläuterten Alt-68er Udo Knapp um eine Spende gebeten, er möge doch auf den Dachboden und die alten, gelbstichigen Laken hervorkramen, in denen sich anno danno in der Kommune doch so fein LSD-Fieberträume von Utopia ausschwitzen ließen. Man möchte daraus ein Fahnenmeer nähen, hinter dem man sich verstecken kann, wenn man als „taz“ kostenlos dem Mainstream vom Main zuarbeitet.
Das klingt dann so: „Die breite Akzeptanz des Streiks als Kampfmittel der organisierten Arbeitnehmer in freien Gewerkschaften für soziale Gerechtigkeit ist ein zentraler Bestandteil der freiheitlichen, sozialen Demokratie. Die Gewerkschaften sind in dieser Rolle eben auch Wächter und Vorreiter im Kampf für Vertiefung und Erhaltung demokratischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten durch die Zivilisierung der sozialen Frage.“
Was Knapp, letzter Vorsitzender des dutschkeanischen SDS, mit „zivilisiert“ und „sozialer Demokratie“ meint, ließ der Revoluzzer 1996 die Zeitung „Neues Deutschland“ wissen. Den Halbsatz „Früher war die DDR für mich …“ vervollständigte er schon damals mit: „… das Land, das den ‚Gedanken‘ an Sozialismus ad absurdum führte.“ Und das vom „ND“ begonnene „Seit Deutschland wiedervereinigt ist, habe ich …“ lässt er münden in: „…mein Vertrauen in die Zukunft bürgerlicher Demokratie und individueller Verantwortlichkeit fürs Gemeinwesen bestätigt gefunden.“
Nach Knapp begeht ver.di einen Zivilisationsbruch, indem die Gewerkschaft der Dienstleistenden ihrer Verantwortung nicht nachkommt. Statt ihre „staatstragende Rolle“ anständig zu geben, sei sie zur „Lohnmaschine“ verkommen. 4,9 Prozent mehr Lohn und 100 Euro drauf auf das Azubi-Entgelt sind schon ein versuchter Systemsturz für einen Prinzipienwanderer, dem es als linker Student in seiner wirren K-Gruppe schon nicht gefiel, sein Studium zu beenden und in die Produktion zu gehen, wie man es in der „Proletarischen Linken/Parteiinitiative“ voneinander forderte. Knapp ging lieber den Weg allen von der linksradikalen Kinderkrankheit einmarinierten Fleisches seiner Zeit und hopste zu den Grünen, später zur SPD.
Den von ihm ganz freiwillig unterzeichneten „Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit“ fordert er, denn: „Es ist die besondere Verantwortung und das Privileg der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst, für die Allgemeinheit arbeiten zu dürfen. Das rechtfertigt die, relativ betrachtet, niedrigeren Entgelte.“
Udo Knapps Hurra! auf Sozialpartnerschaft und Klassengesellschaft als beste aller möglichen Welten mag dem Mut des Dummen entsprungen sein. Jetzt braucht er den Mut der Mutigen, um nochmal ein Krankenhaus oder einen Bus zu betreten. Schließlich hat er sich selbst davor gewarnt, wie unzivilisiert die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst drauf sind. Vielleicht haben sie Knapps Tadel gehört und üben für ihn Verzicht auf ihr Privileg.