Die Entnazifizierung ist ein Witz, mein lieber Freund.“ Wer da am Anfang der ersten Folge des ARD-Sechsteilers „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ mal eben in zwei Sätzen erklärt, dass die Nazis auch im angeblich neuen Deutschland noch in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sitzen, ist Otto John, kurze Zeit darauf erster Chef des Verfassungsschutzes.
Und damit ist man mittendrin, in einer der merkwürdigsten ARD/WDR-Produktionen der letzten Jahre. Handwerklich verläuft sie nach Schema F: Man nehme ein Kapitel der jüngeren Geschichte, versehe einige Tatsachen mit geänderten Namen, füge erfundene Personen hinzu, an denen der emotionale Teil der Geschichte hängt, und stelle ins Zentrum eine junge Frau, die auch gegen Widerstände ihren eigenen Weg gehen wird.
Im Falle von „Bonn“ ist das Toni Schmidt (Mercedes Müller), die gerade eine Zeit als Au-pair in London verbracht hat. Sie kehrt 1954 ins heimische Bonn zurück, Familie und Verlobter freuen sich. Toni nicht so sehr. Der Verlobte (Julius Feldmeier), der gerade Geld mit dem eigenen Elektrofachhandel verdient, will so schnell wie möglich heiraten und Toni zum Heimchen am Herd machen, ihre Schwester ist in den Verlobten verliebt, der Bruder als Wehrmachtssoldat vermisst. Hoffnung, dass er noch lebt, hegen allein die Frauen der Familie. Der Vater (Jürgen Maurer), hochgeschätzter Bauunternehmer, verbirgt in der ersten Folge eher schlecht als recht, dass auch bei ihm von Entnazifizierung keine Rede sein kann, sein „Alaaf“ auf der Karnevalssitzung ist Tonfall und Geste nach eher ein „Sieg Heil“.
Toni möchte noch nicht heiraten, sondern lieber als Fremdsprachensekretärin arbeiten. Der Vater flippt erst aus, dann stellt er sie einem „alten Freund“ vor. Der ist Reinhard Gehlen, ehemals Leiter der Nazispionageeinheit „Fremde Heere Ost“ und inzwischen Leiter der Organisation Gehlen, dem Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes. John, der Toni in London kennen gelernt hat, will als wackerer Antifaschist im Sinne eines Thomas Mann verhindern, dass Gehlen die junge Bundesrepublik in neues Elend stürzt, und setzt seinen besten Mann (Max Riemelt) auf Toni an.
Getragen wird der Sechsteiler nach einer Idee von Gerrit Hermans und geschrieben von Regisseurin Claudia Garde zusammen mit Martin Rehbock und Peter Furrer vor allem von dem Gegeneinander von Gehlen und John. Der nicht Alt-, sondern Immer-noch-Nazi Gehlen wird gespielt von Martin Wuttke, und zwar so ekelhaft-selbstverliebt-siegessicher grinsend, dass es kaum auszuhalten ist. Sebastian Blomberg hingeben gibt seinen Otto John, der sich – dem Stauffenberg-Kreis zugehörig – als Widerstandskämpfer sieht, eine zuerst aufrechte Haltung, die im Laufe der Handlung immer gebeugter, grauer, verzweifelter wird. Gegen die Nazis ist auch in der neuen Bundesrepublik nicht anzukommen.
Erstaunlich ehrlich geht die Serie mit der Bundesrepublik und den Alliierten ins Gericht: Da verliert John als Ankläger gegen einen ehemaligen Befehlshaber der Wehrmacht, der sogar aus seinem Kriegstagebuch vorliest – und rechts und links vom deutschen Richter sitzen eine Brite und ein US-Amerikaner und nicken das Urteil wohlwollend ab. Freispruch, der Mann hat schließlich nicht selbst Hand angelegt – oder zumindest nur ein bisschen. Und Gehlen schart gezielt alte Nazis um sich, sammelt Geld und lässt Waffen einschmuggeln. Gladio heißt in der ARD zwar Scipio, aber das Prinzip ist dasselbe: Stay-Behind-Organisationen ausbilden und aufrüsten, um einen erneuten Krieg gegen den bösen Russen, der zu dem Zeitpunkt noch der Bolschewik war, zu gewinnen. Dass Gladio nur aufgeflogen ist, weil die terroristischen Anschläge der Organisation, zum Beispiel auf den Bahnhof von Bologna, doch nicht so ganz geschickt den Linken in die Schuhe geschoben worden ist, weiß das Glossar zur Serie auf der Webseite der ARD. „Obwohl sich die meisten westlichen Regierungen bis heute zur Existenz der Stay-behind-Armeen nur sehr zurückhaltend äußern und die amerikanischen Regierungen Informationen darüber nicht preisgeben, gibt es keine Zweifel daran, dass diese Netzwerke angelegt und gepflegt wurden“, heißt es dort. Erstaunlich, was die ARD manchmal alles weiß.
Zudem schlägt die Serie einen Ton an, der vermuten lässt, dass es in einigen Chefetagen des Öffentlich-Rechtlichen Diskussionen gegeben hat, ob man die Ausstrahlung nicht besser aussetzt. Zu wenig passt er in die heutigen Zeiten von Kriegstreiberei und Russenhass. Denn wer diesen nach 1945 am Leben gehalten hat, wird in der Serie deutlich – und auch, warum. „Deutschland muss wieder groß werden, das alles hat seinen Preis“, erklärt da zum Beispiel der Nazi-Vater Toni. Und: „Niemand will Frieden, damit lässt sich kein Geld verdienen.“
Lässt sich die Serie uneingeschränkt empfehlen? Nein. Zu wirr ist die Geschichte, die die Historie transportieren soll, zu schlecht stellenweise die Maske, zu absurd die Handlungen. Da begreift sich Toni nach zwei Gesprächen selbst als Geheimagentin und findet auch ständig und überall Hinweise, die sie sich auch noch alle akkurat merken kann. Damit sie es einfacher hat, klebt ausgerechnet Gehlen sich die Kombination seines Safes unter die Schreibtischlampe. Tonis Verlobter ist von zu tumber „Die alten Zeiten sind vorbei, jetzt geht es aufwärts“-Art (der starke rheinische Akzent, den er – als einziger – hat, soll das Tumbe wohl noch betonen), ihre Schwester zu sehr naiv und den Kopf in den Sand steckend.
Zudem reduziert der Film in schöner bundesdeutscher Tradition den Widerstand auf den Stauffenberg-Kreis, noch nicht mal am Rande gibt es einen Kommunisten, der auch unter Adenauer verfolgt wird. Das wäre nun wirklich zu weit gegangen. In der teilweise ganz gelungenen Doku zur Serie kommt dann natürlich mit Bodo Hechelhammer ein Herr vom BND zur Frage Gehlen zu Wort: Der, so Hechelhammer war ja vor allem ein Opportunist, für ihn galt immer nur die Treue zum Eid, egal ob bei den Nazis, bei den Amis oder bei der BRD. Dann ist ja gut, man hätte den Eindruck bekommen können, dass Gehlen ein Nazi war.
Das Ende des Sechsteilers ist offen. Wie es mit Toni und ihrer Familie weitergeht, lässt sich munter in einer zweiten Staffel erzählen. Und als letztes hört man im Radio, dass Otto John nach kurzzeitigem Verschwinden in der Hauptstadt der DDR wieder aufgetaucht ist. Damit kann sich die ARD in der nächsten Staffel auch endlich wieder ihrem Lieblingsfeindbild widmen.
Bonn. Alte Freunde, neue Feinde
6 Folgen á ca. 48 Minuten
Regie: Claudia Garde
Unter anderem mit: Martin Wuttke, Sebastian Blomberg, Max Riemelt und Mercedes Müller
Abrufbar in der ARD-Mediathek