Siebzehnter Verhandlungstag im Prozess um den Polizeimord an Mouhamed Dramé in Dortmund: Richter Kelm verliest Nachrichten aus dem Handy des Opfers

„Als ob ich Malaria habe“

Mit Schiebeterminen durch den Sommer: Vier der insgesamt fünf „Schiebetermine“ im Prozess am Landgericht Dortmund gegen fünf Polizisten, die an dem tödlichen Einsatz gegen Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt beteiligt waren, liegen in den Sommermonaten. Der erste dieser vier fand am 5. Juli statt, dem 17. Prozesstag. Noch bis einschließlich August soll es mit Schiebeterminen weitergehen, erst im September wird dann wieder regulär verhandelt. An solchen Schiebeterminen werden kurz prozessrelevante Dokumente verlesen, um die Fortsetzung der Hauptverhandlung innerhalb der Fristen zu gewähren, die die Strafprozessordnung setzt.

Der Vorsitzende Richter Thomas Kelm beginnt den 17. Verhandlungstag mit der Verlesung eines Berichts über die Auswertung „digitaler Datenträger“ – konkret geht es um das Smartphone Mouhamed Dramés. Kelm liest leicht gelangweilt vor sich hin. Er verzichtet darauf, das Mikrofon vor ihm zurechtzurücken, was der Verständlichkeit abträglich ist. Der Bericht der Polizei Recklinghausen fasst die Inhalte von Mouhameds Handy zusammen und kategorisiert sie. Viel Fußball, viel Heimat – Mouhamed war aus Senegal geflohen – und „islamische Inhalte“, die Kelm nicht näher beschreibt. Kurzum: Genau das, was man von einem Jugendlichen aus Senegal erwarten würde.

Aufschlussreich sind die Nachrichten, die Kelm vorliest. Sie stammen aus den Tagen kurz bevor Mouhamed von Polizisten erschossen wurde. In einer schreibt Mouhamed an einen entfernten Verwandten, er könne seiner Mutter kein Geld schicken, weil er noch keine Papiere haben. Der Verwandte behauptet, seine Mutter sei krank. Bürgerliche Medien wie der „Focus“ hatten daraus gemacht, Mouhamed sei von seiner Familie unter Druck gesetzt worden, was ihm psychisch zu schaffen gemacht habe. Mouhamed allerdings schrieb im Anschluss seinem Bruder Lassana. Der antwortete: „Nein, er lügt.“ Die Mutter sei nicht krank. „Wenn so was passiert, informiere ich dich.“

Einer Yacine, vielleicht seiner Freundin, schreibt Mouhamed, in Europa sei „alles toll“. Hier lebe jeder sein Leben und kümmere sich nicht um das Leben anderer. Mouhamed schreibt ihr, er werde sie heiraten.

Die Nachrichten an Freunde und Familie zuhause klingen, als habe Mouhamed seine Familie nicht beunruhigen wollen. Noch kurz nach seiner Entlassung aus der LWL-Klinik in Dortmund, in die er sich wegen suizidaler Gedanken hatte bringen lassen, schrieb er, es gehe ihm gut. Nur einem Verwandten teilt er mit, er sei im Krankenhaus gewesen. Er sei aufgestanden und habe sich gefühlt, als ob er Malaria habe, schrieb Mouhamed in der Nacht, bevor er von der Polizei erschossen wurde.

„J’ai le palu“, ich habe Malaria, das hält in Westafrika für vieles her.

Es gebe keine Hinweise auf eine depressive Erkrankung, fasst Richter Kelm die Datenauswertung zusammen. Und räumt ein, dass sich solche Hinweise schwerlich aus einer solchen Analyse herauslesen ließen.

Rechtsanwältin Lisa Grüter – sie vertritt die Nebenkläger, Mouhameds Brüder Sidy und Lassana – bittet Kelm: „Lesen Sie noch den Hinweis vor, dass es keine Hinweise auf aggressives Verhalten gibt.“ Kelm ergänzt: „Auch keine Abneigung gegen Sicherheitsbehörden. Überhaupt keine Auffälligkeiten.“

Kelm verliest noch eine Niederschrift der Alterseinschätzung Mouhamed Dramés. Als Geburtsort hatte Mouhamed Bambougou angegeben, ein Dorf im Südosten Malis, keine zehn Kilometer von der Grenze zu Burkina Faso entfernt. Er spreche Wolof, Bambara, Französisch und Arabisch und sei Staatsangehöriger Malis, hatte Mouhamed zu Protokoll gegeben. Ende 2019 sei er aus persönlichen Gründen geflohen. Seine Dokumente habe er verloren, seine Eltern beide verstorben. Letzteres ist falsch: Seine Mutter und sein Vater leben noch.

Das restriktive Asylsystem in Deutschland zwingt viele Geflüchtete dazu, die Unwahrheit zu sagen, um eine Bleibeperspektive zu bekommen.

Nach nicht einmal einer halben Stunde sagt Richter Kelm: „Vielen Dank, das wär’s dann für heute.“

Der Prozess wird am 24. Juli fortgeführt.

Unsere bisherige Berichterstattung über den Prozess haben wir hier zusammengestellt.

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