Ende Juni 1950 begann der Koreakrieg

Als der General nach Atombomben schrie

David Halberstam

Im Jahre 2012 erschien in der Monatszeitschrift „Rotfuchs“ ein Beitrag zur Geschichte des Koreakriegs. Er stützt sich auf eine Artikelserie, die im „The Guardian“, Wochenblatt der australischen Kommunisten, als Rezension des Buches „The Coldest Winter“ (Der kälteste Winter) des USA-Publizisten David Halberstam (1934 – 2007)veröffentlicht wurde. UZ dokumentiert den Beitrag in redaktioneller Bearbeitung.

Am 9. August 1945 trat die UdSSR, wie sie es auf den Konferenzen der Alliierten zugesagt hatte, in den Krieg gegen Japan ein. Tokio, das mit Deutschland und Italien eine Achse gebildet hatte, gab nach den beiden Atombombenabwürfen der US-Air Force über Hiroshima (6. August) und Nagasaki (9. August) nicht sofort auf, sondern zögerte das Kriegsende noch hinaus.

Die Rote Armee griff die japanischen Besatzer auch in Korea an. Sowjetische Fallschirmjäger wurden über dem Norden abgesetzt, um den japanischen Truppen den Rückzugsweg abzuschneiden. Diese Operation schuf für Moskau günstige Ausgangsbedingungen, ganz Korea noch vor dem Eintreffen der Amerikaner unter Kontrolle bringen zu können.

Doch die US-Führung durchkreuzte solche Pläne Sie ließ verlauten, der 38. Breitengrad solle fortan als Trennlinie zweier Einflusssphären gelten. Auf das südlich davon gelegene Territorium erhoben die USA Anspruch, worauf sich Stalin einlassen musste. Moskau taktierte – angesichts des gerade erst erfolgten Kernwaffeneinsatzes der USA – vorsichtig und abwartend.

Erst am 8. September traf ein US-Vorkommando in Südkorea ein. Im Norden hatten unterdessen Verbände der Roten Armee nicht nur die Einheiten des japanischen Heeres und der Polizei außer Gefecht gesetzt, sondern auch die dortige Kolonialverwaltung samt ihrer Kollaborateure zerschlagen. An deren Stelle waren mit der UdSSR sympathisierende, meist linksorientierte Koreaner getreten. Eine radikale Bodenreform führte schon bald zum Ende der Feudalherrschaft auf dem Lande.

Südlich des 38. Breitengrades hatte in Seoul der japanische Generalgouverneur Abe – ein Militär – die Regierungsgewalt an den linken Sozialdemokraten Yo Un Hyong übergeben, der ohne Zögern ein „Komitee zur Vorbereitung auf die Koreanische Unabhängigkeit“ (KVKU) ins Leben rief. Am 6. September kündigte dieses die Bildung einer provisorischen Regierung für ganz Korea an. Für den Vorsitz war die spätere US-Marionette Syngman Rhee ausersehen, für den Posten des Stellvertreters Yo Un Hyong. Zum Verteidigungsminister sollte Kim Il Sung berufen werden. Der erwogene Staatsname lautete: Koreanische Volksrepublik. Ohne Zweifel wäre einer Konstellation dieser Art im Falle sofort abgehaltener Wahlen die Unterstützung der Mehrheit des koreanischen Volkes sicher gewesen. Nippons noch im Lande befindliche Kolonialbürokratie zeigte sich in höchstem Grade alarmiert. Sie drängte auf die unverzügliche Ausschaltung des KVKU und forderte die USA auf, schnellstens Truppen nach Korea zu entsenden, um dort „die Ordnung wiederherzustellen“.

Unterdrückung der Unabhängigkeit

Als US-General Hodge am 8. September in Seoul eintraf, unterstellte er, dass sich hinter dem KVKU eine „von Moskau gelenkte kommunistische Verschwörung“ verberge. Er ließ die japanische Kolonialverwaltung in Südkorea reorganisieren. Aus Japan erteilte der US-Oberkommandierende Fernost, General Douglas MacArthur, den Befehl, die Koreaner „wie ein befreites Volk“ zu behandeln. Unverzüglich wurden nun rechtsorientierte und „kooperationswillige“ Elemente, denen man japanische „Berater“ an die Seite stellte, für Verwaltungsämter aller Ebenen rekrutiert. Sämtliche dem KVKU nahestehender Sozialisten und Kommunisten – darunter auch Yo Un Hyong – wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ermordet. Daraufhin erfassten den ganzen Süden Streiks und andere Massenaktionen. Sie gipfelten 1946 im Augustaufstand. Die US-Verwaltung verhängte nun das Kriegsrecht und untersagte jegliche Arbeitsniederlegungen.
Am 3. April 1948 erhoben sich Arbeiter und linke Militärs überall in Südkorea. 60.000 Menschen wurden von der Polizei sofort niedergemetzelt. Die Bluttat ging als Jeju-Massaker in Koreas Geschichte ein. Sechs Monate später installierten die USA dann ihre „Republik Korea“ mit „Präsident“ Syngman Rhee an der Spitze. Wochen später fanden im Norden, wo sich die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) konstituiert hatte, Wahlen statt, aus denen Kim Il Sungs Partei der Arbeit als Sieger hervorging.

Die koreanischen Gegenspieler

Syngman Rhee – ein zum Christentum konvertierter prowestlicher Demokrat – wurde an den US-Elite-Universitäten Harvard und Princeton ausgebildet, kannte mehrere Präsidenten der Vereinigten Staaten persönlich und galt überdies als Protegé des chinesischen Kuomintang-Führers Chiang Kai-shek. Dieser empfahl General MacArthur, seinen Zögling als „Staatschef“ Südkoreas zu installieren.

Demgegenüber stammte Kim Il Sung aus einer nordkoreanischen Bauernfamilie, die – um der extremen Ausbeutung und Armut zu entgehen – in die Mandschurei emigrierte, wo der Heranwachsende die chinesische Sprache erlernte und politisiert wurde.

Wegen Mitgliedschaft in einer kommunistischen Jugendgruppe eine Zeitlang inhaftiert, schloss er sich Partisanen an, als die Japaner in die Mandschurei einfielen. Ein Jahrzehnt lang beteiligte er sich aktiv am bewaffneten Kampf. 1940 wurde von den Japanern eine Kopfprämie von 200.000 Yen auf ihn ausgesetzt. Nachdem Kim Il Sung den Häschern auf sowjetisches Territorium hatte entkommen können, wurde er in die Rote Armee aufgenommen. Er war Moskaus Wunschkandidat für die Spitzenfunktion in der koreanischen KP.

In den Jahren zwischen 1945 und 1950 erwarb sich Kim Il Sung im gesamtkoreanischen Maßstab ein deutlich höheres Ansehen als sein älterer Gegenspieler Syngman Rhee, wozu seine Vergangenheit als gestandener antijapanischer Kämpfer beitrug. Wenn die 1947 geforderten gesamtkoreanischen Wahlen unter UN-Aufsicht tatsächlich stattgefunden hätten, wäre ein Sieg Kim Il Sungs wahrscheinlich gewesen. Doch die UdSSR wandte sich damals im Weltsicherheitsrat gegen von den Vereinten Nationen überwachte Wahlen, weil sie die Weltorganisation nicht grundlos als Vehikel der USA betrachtete.

1950 begann Koreakrieg

Nach heutiger Erkenntnis überschritten nordkoreanische Einheiten am 25. Juni 1950 in Zurückweisung einer massiven gegnerischen Provokation den 38. Breitengrad. Die Truppen der In Min Gun, wie sich die koreanische Volksarmee nannte, konnten anfangs bedeutende Territorialgewinne erzielen. Schon nach zwei Tagen hatten sie die Hauptstadt Seoul eingenommen. In heller Panik flüchtete sich die Clique Syngman Rhees in noch brutaleren Terror. Von diesem zeugte das Bodo-League-Massaker. Diesen Namen trugen die „Umerziehungslager“ des Regimes, in denen vor allem Kommunisten und andere Linke gefangen gehalten wurden. Am 27. und 28. Juni erfolgten in Daejeon und an anderen Orten unzählige Exekutionen. Tausende Leichen wurden eiligst in Massengräbern verscharrt. Während die südkoreanische Polizei nach vorangegangenen Verschleierungsmanövern schließlich 10.000 Morde zugab, gehen andere Untersuchungen von mindestens 100.000 Opfern des weißen Terrors aus. MacArthur bezeichnete das Blutbad als „innere Angelegenheit Südkoreas“.

In aller Eile auf die Halbinsel geworfene US-Einheiten waren indes außerstande, den Vormarsch der In-Min-Gun-Verbände aufzuhalten. Der Krieg für die Wiedervereinigung Koreas wäre Weihnachten 1950 vermutlich beendet gewesen, hätte die Volksarmee die strategische Hafenstadt Pusan einzunehmen vermocht.

Die UdSSR und die VR China hatten die militärischen Auseinandersetzungen in Korea zunächst als Bürgerkrieg betrachtet und sich deshalb herausgehalten. Als der Konflikt dann aber eskalierte, war der sowjetische Sitz im UN-Sicherheitsrat vakant. Aus Protest gegen die Weigerung des Gremiums, das chinesische Mandat der VR China zuzuerkennen und die widerrechtliche Teilnahme Taiwans zu beenden, hatte Moskau beschlossen, die Beratungen des Sicherheitsrates zeitweilig zu boykottieren. So fehlte das Veto der UdSSR, als der Antrag eingebracht wurde, die von den USA, Großbritannien, Frankreich, Australien und 16 weiteren Staaten vorbereitete Intervention auf Seiten Südkoreas mit der UNO-Flagge zu tarnen.

Der Eilmarsch der Truppen Kim Il Sungs in Richtung Pusan hatte deren Nachschublinien ausgedünnt. Unter Nutzung ihrer totalen Luftüberlegenheit setzte die US-Air Force die In Min Gun im Süden einem Napalm-Regen aus. Am 15. September landeten die Amerikaner tief im Rücken der Volksarmeeverbände an der Westküste bei Inchon, unweit von Seoul. Das änderte die strategische Situation schlagartig. Um Seoul zurückzuerobern, ließ MacArthur die Metropole in Schutt und Asche legen.

China wird in den Krieg gezogen

Nach dem Scheitern der Volkskräfte im Süden überschritten die als UNO-Truppen verkleideten Verbände der imperialistischen Allianz auf der gesamten Frontlinie den 38. Breitengrad. Am 14. Oktober fiel die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang. Die Aggressoren drangen bis zu den Flüssen Jalu und Tumen vor, welche die Grenze der DVRK zur VR China bilden. MacArthur und sein Stab waren von politischen Beobachtern wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, dass ein solcher Vorstoß die territoriale Integrität Chinas tangiere. Doch der General schlug alle Warnungen in den Wind – selbst die frühzeitig abgegebene Erklärung Chinas, man werde keine feindliche Armee an den eigenen Landesgrenzen dulden.

Nachdem das Politbüro der KP Chinas diesbezügliche Beschlüsse gefasst hatte, wurde General Peng Dehuai – ein hochverdienter Veteran des „Langen Marsches“ – zum Befehlshaber einer aus hunderttausenden Volksfreiwilligen formierten Armee ernannt, die gutgetarnt den Jalu überquerte und am 19. Oktober in Nachtmärschen sowie unter strengster Geheimhaltung in das nordkoreanische Bergland vordrang. Dem waren Bombenangriffe der U. S. Air Force auf grenznahe Städte und Ortschaften Chinas vorausgegangen, bei denen auch bakteriologische Waffen eingesetzt wurden.

Die völlig überrumpelten US-Truppen reagierten panisch und wurden gezwungen, den Rückzug anzutreten. Sie kopierten dabei die faschistische „Taktik der verbrannten Erde“, indem sie die Infrastruktur des Nordens nahezu auslöschten. General MacArthur, der in den Augen der Truman-Administration jegliche Glaubwürdigkeit verloren hatte, beschwerte sich nun über mangelnde Unterstützung des Pentagon. Er griff zum letzten Mittel, indem er kategorisch Vollmachten zu Atomschlägen gegen China verlangte. Doch Präsident Truman behielt sich dieses Recht selbst vor und feuerte seinen General. MacArthurs Posten übernahm Matthew Ridgeway mit der Order, das drohende militärische Debakel doch noch abzuwenden. Er ließ die US-Luftwaffe ohne Unterbrechung Angriffe fliegen. Wie Bruce Cummings von der University of Chicago errechnete, wurden über Nordkorea mehr Bomben- und Napalm-Tonnagen abgeworfen als während des Zweiten Weltkrieges im gesamten pazifischen Raum.

Waffenstillstand – kein Frieden

Schließlich besaß die US-Führung, die den Kommunismus aus ganz Korea hatte vertreiben wollen, nicht mehr den Nerv zum Durchhalten. Im Juli 1951 begannen zunächst in der am 38. Breitengrad gelegenen alten koreanischen Hauptstadt Kaesong Gespräche über einen Waffenstillstand, die später in Panmunjom ihre Fortsetzung fanden. Doch der Krieg ging dessen ungeachtet mit großer Erbitterung weiter, nachdem es zur Unterbrechung der Verhandlungen gekommen war. Die Verluste erinnerten an Verdun.

Erst am 16. Juli 1953 fanden die blutigen Schlachten ihr Ende. Am 27. Juli wurde nach einem vorangegangenen „provisorischen“ ein „permanenter“ Waffenstillstand vereinbart und eine zwei Kilometer breite demilitarisierte Zone um Panmunjom festgelegt.

Während die VR China 1958 ihre Freiwilligenverbände aus Nordkorea abzog, unterhalten die USA bis heute 27 Militärstützpunkte in Südkorea, auf denen noch immer 27.000 GIs stationiert sind. Jahr für Jahr führen diese zusammen mit Einheiten der Seouler Armee in Grenznähe zur DVRK „abgestimmte Manöver“ durch.

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"Als der General nach Atombomben schrie", UZ vom 3. Juli 2020



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