KLS-Seminar zur Geschichte der DDR mit Hans Bauer

Als das Leben neue Chancen bot

41 Jahre DDR-Geschichte in eineinhalb Tagen: Referent Hans Bauer, ehemaliger Stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR, hatte ein strammes Programm vorbereitet für das Seminar „Kurze Geschichte der DDR“ am 3. und 4. Juni an der Karl-Liebknecht-Schule der DKP. Viele der Teilnehmer kannten die DDR noch aus eigener Anschauung. Seit 1993 arbeitet Hans Bauer als Rechtsanwalt in der BRD. Er kennt also beide Rechtssysteme bestens. Seine persönlichen Erfahrungen werde er in seine Vorträge einfließen lassen, kündigte er eingangs an. Sie schlugen sich schon in der Auswahl der Schwerpunkte nieder: „Die DDR – ein Rechtsstaat“ war der erste Block überschrieben. Darauf folgte ein Block zur SED und ihrer führenden Rolle. Im dritten Block widmete sich Bauer vor allem der frühen DDR-Geschichte sowie der Frage, wie die bürgerliche Konterrevolution in der DDR siegen konnte.

„Wir wollten keinen bürgerlichen Rechtsstaat“, erklärte Bauer, „wir wollten ein sozialistischer Rechtsstaat werden.“ Im Arbeiter-und-Bauern-Staat sei der materielle Inhalt des Rechts stärker betont worden als das formelle Recht. Als Beispiel führte er das Recht auf Arbeit in der Verfassung der DDR an: Es sei „fast undenkbar“ gewesen, dass ein Werktätiger entlassen wurde. Wesentliches Prinzip des Strafrechts sei die Konfliktlösung im Vorfeld gewesen. Daran sei die Tätigkeit eines Staatsanwalts gemessen worden. Die Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner habe in der DDR nur etwa ein Zehntel der der BRD betragen.

Bauer ging auch auf die Frage der demokratischen Teilhabe ein. DDR-Bürger hätten deutlich mehr Möglichkeiten gehabt, sich politisch einzubringen, als die der BRD. So sei etwa der Entwurf der zweiten Verfassung der DDR auf über 700.000 Veranstaltungen diskutiert worden. Die Abstimmung darüber am 6. April 1968 war die einzige Volksabstimmung über eine Verfassung, die je in Deutschland stattfand.

Sozialdemokraten und Kommunisten in einer Partei zusammenzubringen sei eine große Leistung gewesen, würdigte Bauer die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Er führte aus, wie die ab 1968 in der Verfassung festgeschriebene führende Rolle der Partei in der Praxis funktionierte.

Weshalb andere Parteien als die SED zugelassen waren, gar solche wie die rechte NDPD, fragte ein Teilnehmer. Die NDPD sei keine rechte Partei gewesen. Sie sei für die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands eingetreten, habe sich aus dem Mittelstand und minder belasteten NSDAP-Mitgliedern rekrutiert. NDPD und die anderen Blockparteien hätten die Aufgabe gehabt, alle Schichten des Volkes einzubeziehen. Die SED habe auf die ideologische Ausrichtung dieser Parteien Einfluss nehmen können, antwortete Bauer.

Wie sein eigenes Denken sich in der frühen DDR entwickelte, legte Bauer zum Einstieg in den dritten Block dar. Seine Kommunistwerdung sei eng verknüpft gewesen mit der Entwicklung der DDR. Die staatliche Fürsorge, von der er als kleiner Junge profitiert habe, habe etwas in ihm wachsen lassen.

Kenntnisreich und spannend zeichnete Bauer die Geschichte des sozialistischen Deutschlands nach, ab der Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee der Sowjetunion. Großen Raum gab er der Frage, wie die Konterrevolution 1989/90 siegen konnte. Man habe den Imperialismus unterschätzt. Revolutionärer Schwung sei Formalismus und Bürokratismus gewichen, soziale Errungenschaften selbstverständlich geworden. Ein kritischer Rückblick auf die DDR sei unbedingt wichtig, schmälere aber nicht die Verdienste der DDR. Die DDR werde als Kapitel I der Geschichte des Sozialismus auf deutschem Boden in die Geschichte eingehen, zitierte er Kurt Gossweiler.

Ein Kapitel II müsse es auch für dieses Seminar geben, darin waren sich die begeisterten Teilnehmer einig. Hans Bauer gelang es, ein umfassendes und lebendiges Bild des Arbeiter-und-Bauern-Staats zu malen. Die Teilnehmer fuhren mit viel argumentativer Munition für die Verteidigung der DDR bei Infoständen oder Diskussionen im Kreise der Verwandtschaft nach Hause.

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"Als das Leben neue Chancen bot", UZ vom 23. Juni 2023



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