Die Furcht nicht nur der Beherrschten, sondern auch der Herrschenden vor dem Herbst und dem Winter ist berechtigt: Ein Viertel aller Beschäftigten der Bundesrepublik Deutschland befindet sich derzeit in Kurzarbeit, fast 3 Millionen in Arbeitslosigkeit. Zur „Reservearmee“, wie Karl Marx einst die Arbeitslosen bezeichnet hatte, sind in den Monaten April und Mai völlig gegen den „normalen“ Trend des Rückgangs in diesen Monaten nicht nur 55.000 Menschen aus dem Gastgewerbe hinzugestoßen, sondern auch über 69.000 aus dem Bereich der Reparatur von oder des Handels mit Kraftfahrzeugen, fast 60.000 aus dem verarbeitenden Gewerbe – und so weiter und so fort.
Zusätzlich zu den bisherigen, auf eine Summe von über einer Billion Euro summierten Hilfspaketen gegen den ökonomischen Absturz haben CDU und SPD eine Woche lang an einem neuen Katalog von Maßnahmen gearbeitet. War zunächst von 80 bis 100 Milliarden Euro die Rede, wurden es am Ende 130 Milliarden – davon allerdings rund 60 Milliarden aus nicht abgeflossenen Mitteln des ersten, 156 Milliarden schweren Nachtragshaushaltes vom Beginn des Krisenschubs. Ein Programm „mit Wumms“ sei das, erklärte stolz Finanzminister Olaf Scholz.
Der größte Brocken sind weitere 25 Milliarden für kleine und mittelständische Unternehmen, der am meisten diskutierte ist der zweitgrößte: 20 Milliarden Steuerausfall durch die bis zum 31. Dezember befristete Reduzierung der Mehrwertsteuersätze auf 16 beziehungsweise 5 Prozent. Nicht enthalten ist die lange diskutierte erneute Abwrackprämie, um den Absatz der darniederliegenden Autokonzerne anzukurbeln. Geblieben ist davon ein Paket von knapp fünf Milliarden Euro für die Förderung des elektrischen Individualverkehrs – und damit doppelt so viel wie für den Ausgleich wenigstens eines Teils der Einnahmeausfälle des öffentlichen Personennahverkehrs. Eltern können sich über eine einmalige Aufstockung des Kindergeldes um 300 Euro pro Kind freuen und diejenigen, die in Hartz IV gefangen sind, bekommen das Geld wenigstens nicht gleich wieder weggenommen – das ist allerdings die einzige Hilfe, die für diese Bevölkerungskreise als Brosamen vom 130-Milliarden-Tisch abfällt.
Die Resonanz aus den die CDU/SPD-Koalition stützenden Kreisen war unter dem Strich positiv. „Wir begrüßen den in der Breite wirkenden Konjunkturimpuls von mehr als 40 Milliarden Euro, darunter insbesondere den Kinderbonus. Allerdings ist die Absenkung der Mehrwertsteuer aus unserer Sicht nur die zweitbeste Lösung. Es wäre besser gewesen, das Geld den Menschen direkt zur Verfügung zu stellen. Jetzt sind die Unternehmen in der Pflicht, die Mehrwertsteuersenkung auch an die Bürger weiterzugeben“, erklärte Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.
Die Hauptfrage, die im Verlaufe des Winters beantwortet werden wird: Ist das ein Wumms, der den Sturz abwendet, oder der Puff, der vergessen ist, wenn der kapitalistische Krisenschub Dimensionen annimmt, gegen die kein Staat mehr ankommt? Die in Geld ausgedrückte Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland betrug in den letzten Jahren rund 3.500 Milliarden Euro. Ein Impuls von 130 Milliarden entspricht also knapp 4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Ob das wirklich reicht, um eine fallende Wirtschaft aufzufangen?