Im Dezember 2011 starb der Kommunist und Philosoph Hans Heinz Holz. Aus diesem Anlass findet am 18. Dezember eine Tagung statt, die von der DKP, der Holz angehörte, mitveranstaltet wird – ihr Titel: „Einmischungen. Für eine Theorie und Praxis gegenwärtiger kommunistischer Politik“. kurzelinks.de/Einmischungen
Eine wichtige Einmischung in die heutige Politik ist das Kapitel zur Allgemeinen Krise des Kapitalismus aus dem von Holz verfassten Buch „Kommunisten heute. Die Partei und ihre Weltanschauung“. Holz deckt darin den Gesamtzusammenhang der mannigfaltigen Krisenerscheinungen auf, die seit Erscheinen des Buchs 1995 deutlich zugenommen haben. So wird es möglich, diese Erscheinungen einzuordnen, was die Voraussetzung für eine Strategie des Widerstands ist. Einzelne Krisenerscheinungen werden somit im Gesamtbild der Deformationen des Imperialismus fassbarer. Das ist hilfreich, wenn sich die DKP bisher weniger bearbeiteten Feldern des Klassenkampfs nähert. Das Verständnis von Umwelt- und Klimaproblemen als „Krise des Naturverhältnisses der Menschheit“ schützt sowohl vor der Unterbewertung als auch vor dem Rückgriff auf bürgerliche Ideologie und Alarmismus.
Das Buch „Kommunisten heute“ ist beim Verlag Neue Impulse erhältlich und kann auch über UZ-Shop.de bestellt werden. Dort gibt es auch Karten für die Tagung „Einmischungen“.
Dialektische Kategorien benennen eine Wirklichkeit so, dass in der beschreibenden Erläuterung ihres Gehalts zugleich ihre Funktion für eine praxis-leitende, handlungs-orientierende Theorie des Gesamtbereichs erkennbar wird – eine Funktion, die sie allerdings auch nur eingebettet in den Zusammenhang dieser Theorie gewinnen. Herausgelöst aus diesem Zusammenhang und isoliert benutzt, verlieren sie ihre Kraft, die Wirklichkeit zu deuten, und verkehren sich in Mittel der Selbsttäuschung. Die Geschichte des Denkens und der Weltanschauungen liefert dafür Beispiele in großer Zahl. Die „Anstrengung des Begriffs“ (Hegel) ist immer aufs Neue gefordert, wenn eine Theorie lebendig bleiben soll; darum ist Arbeit an der Theorie eine unverzichtbare Aufgabe für alle, die politisches Handeln auf wissenschaftliches Erkennen der Welt gründen wollen. (…)
Allgemeine Krise des Kapitalismus ist eine historische Kategorie, die besagt, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus, die in seiner aufsteigenden und reifen Phase durch die Entwicklung der Produktivkräfte unter Kontrolle gehalten werden konnten, in seiner Spätphase eine die Existenzbedingungen der Menschheit selbst gefährdende Unversöhnlichkeit bekommen haben. Allgemeine Krise bedeutet, dass die Bewegungsformen der Widersprüche ihr Nebeneinander- und Miteinandersein, ihr Ineinandergreifen im Funktionieren des Systems gesprengt haben und damit das System das chaotische Bild unverträglicher Elemente im Widerstreit bietet. (…)
„Allgemeine Krise des Kapitalismus“ meint nicht, dass das kapitalistische Gesellschaftssystem sich in einem Prozess der Selbstzersetzung befinde, sondern nur, dass seine inneren Widersprüche mehr und mehr zu Lasten der breiten Massen gehen, auf diese abgewälzt werden. Der Kapitalismus bricht in der Krise nicht aus sich selbst zusammen, sondern dann und nur dann, wenn die Massen sich zum historischen Gegensubjekt, zum Träger des Kampfes für eine neue Gesellschaftsordnung formieren (LW 31, S. 215).
Was unterscheidet dann die allgemeine Krise von den zyklischen Krisen, die die Entwicklung des Kapitalismus seit seiner Entstehung begleiten und die Ausdruck der Bewegungsform seiner inneren Widersprüche sind?
Der Übergang zu einer weltweit verflochtenen Wirtschaftstätigkeit, insbesondere des Finanzkapitals, hat zur Folge, dass regionale Krisen sich leichter und rascher ausbreiten; das ist der Gesichtspunkt der ökonomischen Universalität, die durch die Entstehung des Weltmarkts hergestellt wird. Die wechselseitige Abhängigkeit der Volkswirtschaften, aber auch der einzelnen Wirtschaftszweige voneinander erhöht die Krisenempfindlichkeit des Systems, dessen Rückkopplungsmechanismen immer noch zu einem großen Teil spontan („naturwüchsig“) nach den Gesetzen des freien Markts ablaufen. Das Krisenmanagement innerhalb dieses Systems erfordert darum dirigistische Institutionen und systemwidrige Instrumente (wie zum Beispiel Interventionen der Zentralbanken am Devisenmarkt), um momentane Erschütterungen abzufedern. Kann ein System aber nicht mehr nach seinen eigenen Strukturgesetzen funktionieren, sondern müssen ihm widerstreitende Funktionselemente eingefügt werden, so erweist es sich als instabil und hält den Schein von Stabilität nur noch durch Erzeugung neuer Widersprüche aufrecht (die sich dann im weiteren Verlauf wieder als destabilisierend erweisen und so fort). Eine solche Wirtschaftsordnung kann sich zwar sicher über längere Zeit erhalten — zum mindesten, wenn sie noch über große Reserven gesellschaftlichen Reichtums verfügt und ihr im Inneren ihrer selbst kein aktiver Gegner entgegentritt; aber sie erhält sich letzten Endes immer nur durch Abwälzung der Kosten, die der Ausgleich der Widersprüche verursacht, auf die schwächeren Glieder des Systems und erhöht damit die internen Spannungen.
Das ist aber nur der eine, allerdings grundlegende, ökonomische Aspekt der Systemkrise. Sie als allgemeine Krise des Systems bezeichnen zu dürfen, rechtfertigt sich erst durch die Ausdehnung der Widersprüche in den Produktionsverhältnissen auf alle Seiten des gesellschaftlichen Lebens. Die Steuerung ökonomischer Krisen im Interesse der herrschenden Klasse zieht sehr bald auch den Abbau politischer Gleichgewichtsstrukturen nach sich, die die Integration der Beherrschten und Ausgebeuteten in das bestehende System gewährleisten sollen. An die Stelle von begrenzter Partizipation an der politischen Macht – zum Beispiel durch demokratische Institutionen und Verfahren – tritt mehr und mehr die Unterordnung unter die Verfügungsgewalt administrativer Instanzen bis hin zum Aufbau einer polizeistaatlichen Ordnung und eines undurchsichtigen, anonymen Mechanismus von Regeln und Überwachung. Nicht mehr die verfassungsmäßigen Organe des staatlichen Lebens, sondern die Inhaber finanzieller Macht treffen wichtige, in das Leben der Bürger eingreifende Entscheidungen (zum Beispiel über Standorte risikoreicher technischer Anlagen; über Verkehrsplanung; über Forschungsstrategien; über Investitionen und die damit verbundene Erhaltung oder Vernichtung von Arbeitsplätzen und so weiter). Die Krise der Demokratie ist ein wesentliches Moment der allgemeinen Krise des Kapitalismus, und von ihr leitet sich die Ausbreitung von Korruption und der Abbau des Respekts vor der Rechtsordnung, die wachsende Rechtsunsicherheit ab.
Zeigt sich der politische Aspekt der ökonomischen Krise nach innen als Krise der Demokratie, so nach außen als Krise des friedlichen Zusammenlebens der Völkergemeinschaft. Der Zusammenhang von wirtschaftlicher und militärischer Expansion, von ökonomischen Krisen und kriegerischen Abenteuern ist so oft schon dargestellt worden, dass er hier nur noch konstatiert zu werden braucht. Krieg ist die manifeste Krise des Kapitalismus im imperialistischen Stadium.
Der Abbau beziehungsweise die Aushöhlung der demokratischen Rechte, die Ausweitung der ökonomischen zu einer politischen Krise, folgt aus der Verschärfung der sozialen Spannungen, die sich aus dem Krisenmanagement im Interesse der herrschenden Klasse ergibt. Die Abwälzung der Lasten bedeutet eine Minderung des Lebensstandards im eigenen Lande, eine Zunahme der Ausbeutung der Arbeitskraft, wachsende Arbeitslosigkeit und, soweit möglich, Export der Verelendung in weniger entwickelte Länder. Sozialer Abstieg, Verwahrlosung von Jugendlichen, Zunahme der Kriminalität und Aggressivität, Einwanderung und Assimilationsschwierigkeiten sind Folgeerscheinungen der sozialen Krise.
So verliert die Gesellschaft ihre Integrationsfähigkeit. Die Individuen werden auf sich zurückgeworfen, in Isolation getrieben, Familien- und Gemeinschaftsbeziehungen lockern sich, weil es keine verbindenden und verbindlichen allgemeinen Ziele und Zukunftserwartungen mehr gibt und der Einzelne keine Chance positiver Mitwirkung am Aufbau des Ganzen mehr sieht. Privatistische Sinngebungen isolieren noch weiter vom öffentlichen Leben, die eigene Identität wird zum psychologischen Problem, Geborgenheit wird in Sekten und Cliquen gesucht, auch in häufigem Wechsel von einer zur anderen. Der gemeinsame Rahmen von Lebensorientierungen und Wertvorstellungen zerfällt, es bleibt eine leere Worthülse „Freiheit“, ein relativistischer oder skeptizistischer Pluralismus, die Austauschbarkeit beliebiger Meinungen zugunsten des jeweils Neuen, der sogenannten „Innovation“. Die Auflösung eines übersubjektiven Weltanschauungsrahmens bildet die Voraussetzung für die Manipulation von Bewusstsein statt selbstständiger kritischer Urteilsfindung. Die soziale Krise erweitert sich zur Sinnkrise.
Im Verlust des Sinns löst sich auch die Bindung an die kulturelle Tradition, durch die eine Gemeinschaft sich zu sich selbst in Beziehung setzt. Sitte, Lebensstil, Geschichtsbewusstsein, Bildungsinhalte verblassen und werden durch schnell wechselnde Moden ersetzt, die den Menschen keine innere Haltung und Dauer der Lebenssicht mehr geben. Mit der Preisgabe von Bildungszielen wird auch das geistige Zentrum, auf das hin die Schule angelegt sein sollte, in eine bloße Addition von Wissen zersplittert. Es gibt keinen Ort im Denken mehr, von dem aus die schnell zunehmende Menge der Entdeckungen und Erfindungen der wissenschaftlich-technischen Revolution in ein Verständnissystem eingeordnet und begriffen werden könnte. Die Bildungs- und Kulturkrise ist damit zugleich auch eine Krise der technischen Mittel, mit denen wir unsere Bedürfnisse befriedigen und unser Verhältnis zur Natur gestalten.
Damit schließt sich der Kreis: Unter der Bedingung des Wesensgesetzes des Kapitalismus, Kapital akkumulieren zu müssen, führt die zunehmende Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten zu einer die Lebensbedingungen der Menschheit gefährdenden Störung des Naturverhältnisses. Nicht nur die spontane Ausbeutung von Naturressourcen verändert den biologischen Zustand der Erde (zum Beispiel Abholzung von Wäldern, Erschöpfung von Trinkwasserreserven), sondern auch die unlimitierte Erzeugung von Zivilisationsprodukten (zum Beispiel gesundheitsschädigende Luftverschmutzung, Ozon-Loch, Entsorgungsprobleme). Zum ersten Mal zeigt sich heute ein naturdialektischer Grundwiderspruch des Kapitalismus: der von ökonomischem Wachstum und ökologischer Katastrophe. Das ist die Krise des Naturverhältnisses der Menschheit oder die ökologische Krise.
Der Begriff „Allgemeine Krise des Kapitalismus“ hat in den vorangegangenen Notizen nun einen inhaltlich erfüllten Sinn bekommen. Er erweist sich in der Tat als eine Kategorie der Formationsgeschichte. Wenn jede Gesellschaftsformation ihre Periode des Aufstiegs, der Blüte und des Niedergangs hat – im Kampf mit ihrer sich zersetzenden und untergehenden Formation, in der Entfaltung ihrer den Fortschritt der Menschheit fördernden (also progressiven) Potentiale, schließlich im Versagen, die Ordnungsprobleme ihrer eigenen Bewegungsform im Sinne eines humanen Gesellschaftsziels zu lösen –, so ist der Kapitalismus, dessen Bewegungsform die Krisenzyklen sind, dann in die Phase seines Niedergangs eingetreten, sobald die Krise nicht mehr nur eine Zwischenstufe zur Höherorganisation des Kapitalverhältnisses ist, sondern insgesamt die gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen zersetzt, deren Gemeinschaft desintegriert und die Voraussetzungen zur Reproduktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse selbst zerstört. Die Krise ist dann nicht nur eine universelle ökonomische Krise, eine Krise der Weltwirtschaftsordnung (die ja wenigstens fiktiv noch als eine zyklische und sich selbst überwindende gedacht werden könnte), sondern die allgemeine Krise des Gesellschaftssystems, die alle seine Erscheinungsformen erfasst hat und fortschreitend weiter entstellt und zerfallen lässt.
Wir haben einige Hauptmerkmale dieser allgemeinen Krise zusammengestellt:
- die ökonomische Krise;
- die politische Krise der Demokratie
- bis hin zu Formen des Faschismus;
- die politische Krise der Völker- gemeinschaft bis hin zum Krieg;
- die soziale Krise;
- die Sinnkrise;
- die Bildungs- und Kulturkrise;
- die Krise der technischen Mittel;
- die ökologische Krise.
Der wechselseitige Bedingungszusammenhang dieser Krisenmomente – bei fungierender Funktion des ökonomischen Grundwiderspruchs und seiner Krisenform – leuchtet ein. (…) Der Terminus hat also einen guten theoretischen Sinn, den eine historisch-materialistische Geschichtstheorie nicht einfach beiseite setzen kann, wenn sie nicht auf eine zusammenfassende Charakterisierung der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus verzichten will.