Mit einer Reihe von Erfolgsmeldungen hat Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am 16. Januar seinen jährlichen Rechenschaftsbericht vor dem Parlament des südamerikanischen Landes gekrönt. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres habe man ein Wirtschaftswachstum von 7,6 Prozent erreicht, auf das gesamte Jahr gesehen gehe man von 4 Prozent Wachstum aus. Die Exporte privater Unternehmen seien um 33 Prozent gewachsen, die Erdölproduktion auf eine Million Barrel am Tag gestiegen. Stimmt das, hätte sich die Fördermenge gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt und in etwa den Stand von 2019 erreicht – man ist aber immer noch weit entfernt von den 2004 bis 2009 erreichten Werten, als die Produktion bei über drei Millionen Barrel am Tag lag.
Auch die Inflation sei eingedämmt worden, so Maduro. Sie sei im Dezember so niedrig gewesen wie seit 2015 nicht mehr. Damit habe man die Hyperinflation überwunden, 2022 werde man nun auch die hohe Inflation besiegen, kündigte der Staatschef an. Nach Angaben der Zentralbank Venezuelas lag der Wertverlust der Landeswährung Bolívar 2021 bei 686,4 Prozent. Das ist zwar nach wie vor die wohl höchste Inflation weltweit, aber ein Fortschritt gegenüber dem Vorjahr, als der Wert noch bei fast 3.000 Prozent lag. 2018 hatte die Preissteigerungsrate sogar den unvorstellbaren Wert von 130.000 Prozent überschritten.
Bürgerliche Ökonomen sehen im Rückgang der Inflation eine Folge der Regierungspolitik, unter anderem der Aufhebung der Benzinpreissubventionen, der Lockerung der Preiskontrolle und der Legalisierung des Handels mit dem US-Dollar. De facto hat die nordamerikanische Währung den einheimischen Bolívar in weiten Teilen des Wirtschaftsverkehrs abgelöst. Einem Bericht der britischen „BBC“ zufolge werden inzwischen zwei Drittel aller Transaktionen in Dollar abgewickelt.
Die Zeche dafür zahlen die einfachen Menschen, die keinen oder kaum Zugang zum Dollar haben. So erhalten die Angestellten des öffentlichen Dienstes ihre Gehälter nach wie vor in Bolívares – und können sich nach wie vor kaum etwas davon kaufen. Millionen Menschen sind deshalb noch immer auf die staatlichen Lebensmittelpakete der CLAP angewiesen, die jedoch oft nur unregelmäßig kommen. Aber auch das werde sich mit der weiteren Erholung der Wirtschaft ändern, versprach der Staatschef.
Die Kommunistische Partei und die ihr nahestehende Gewerkschaftsbewegung FNLCT (Nationale Kampffront der Arbeiterklasse) geben wenig auf solche vagen Versprechungen. In einem Artikel für die von der KP Venezuelas herausgegebene Zeitung „Tribuna Popular“ warf die FNLCT der Regierung vor, einen Kurs bürgerlich-liberaler Anpassung zu verfolgen, indem sie in Verletzung der Verfassung und der geltenden Gesetze dem Kapital die „am schlechtesten bezahlte Arbeitskraft der Welt“ als Standortvorteil anbiete. Es gehe darum, durch prekäre Arbeitsverhältnisse Investoren anzulocken – davon könne auch der herrschende Diskurs nicht ablenken, der immer noch vom Sozialismus spreche.
In dieser Situation haben mehrere politische Zusammenschlüsse beim Nationalen Wahlrat (CNE) die Einleitung eines Amtsenthebungsreferendums gegen Präsident Maduro beantragt. Die Verfassung Venezuelas sieht vor, dass sich der Staatschef nach der Hälfte seiner Amtszeit einem „Revocatorio“ stellen muss, wenn dies ein Fünftel der Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift verlangt. Der damalige Präsident Hugo Chávez stellte sich 2004 einem solchen Plebiszit, das von der rechten Opposition angestrengt worden war – 59,1 Prozent der Abstimmenden votierten damals für seinen Verbleib im Amt. 2016 versuchte die Opposition, Nicolás Maduro mit einem solchen Referendum aus dem Amt zu drängen. Damals nutzte das Regierungslager jedoch die Zersplitterung und Unentschlossenheit seiner Gegner, um die Abstimmung mit Verfahrenstricks hinauszuzögern und schließlich abzuwürgen.
Das dürfe bei einem neuen Anlauf nicht passieren, forderte das Politbüro der Kommunistischen Partei Venezuelas in einem am 13. Januar veröffentlichten Statement. Das Amtsenthebungsreferendum sei ein in der Verfassung verankertes Recht der Bürgerinnen und Bürger, die zuständigen Behörden müssten dessen Anwendung ermöglichen. Ob die Kommunisten jedoch ein Plebiszit gegen Maduro unterstützen werden, lässt das Kommuniqué ausdrücklich offen. Eine solche Entscheidung könne nur das Zentralkomitee auf einer ordentlichen Sitzung treffen, dazu müssten die aktuellen Kampfbedingungen und die möglichen Folgen eines solchen Referendums analysiert werden.
Zur Durchsetzung des „Revocatorio“ müssen die Initiatoren innerhalb eines bestimmten Zeitraums die Unterschriften von mindestens 20 Prozent aller Wahlberechtigten einholen. Sollte dies gelingen, käme es zu einer Abstimmung, bei der mehr als 50 Prozent aller Teilnehmenden für die Absetzung Maduros votieren müssten – mehr als dieser bei seiner letzten Wahl an Stimmen erhalten hat. Für die zersplitterte Opposition in Venezuela wäre das eine Chance, sich gegen den Amtsinhaber zu vereinen. Doch selbst bei einem Erfolg wäre sie nicht am Ziel. Sollte die Abberufung gelingen, käme es zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen, bei denen auch Maduro oder ein anderer Kandidat der Sozialistischen Partei wieder antreten dürfte. Die Opposition müsste sich dann aber auf einen gemeinsamen Bewerber einigen – und das ist in der Vergangenheit selten gelungen.