Im Mai trat nach einem deutlichen Wahlsieg der neue ukrainische Präsident Wladimir Selenskij sein Amt an. Seinen Sieg verdankte er seinen Versprechungen, den Krieg im Donbass zu beenden, mit Korruption und Preissteigerungen in der Ukraine aufzuräumen sowie seinem Ruf als unabhängiger Kandidat. Tatsächlich ist er jedoch eng mit dem ukrainischen Oligarchen Kolomojskij verbunden, der schon 2014 nationalistische Bataillone finanzierte, sich mit Poroschenko zerstritt und nun nach dem Wahlsieg Selenskijs in die Ukraine zurückkehrte.
Als eine der ersten Handlungen löste Selenskij das Parlament auf, reguläre Neuwahlen hätten erst im Herbst stattgefunden. Dies wurde von Abgeordneten vor dem Verfassungsgericht mit durchaus stichhaltigen Argumenten angefochten, jedoch vom Gericht bestätigt. Die Wahlen finden nun am 21. Juli statt. Dies ist für Selenskij ein Erfolg, weil er laut Prognosen mit seiner Partei „Diener des Volks“ möglicherweise mit einer absoluten Mehrheit rechnen kann. Es folgen die Parteien „Oppositionsplattform – für das Leben“ des ehemaligen Unterhändlers in Fragen des Gefangenenaustauschs mit den Volksrepubliken des Donbass, Medwedtschuk (12 Prozent), die NATO- und EU-Partei „Golos“ sowie die „Europäische Solidarität“ Poroschenkos (7,2 Prozent) und die „Vaterlandspartei“ der ehemaligen Ministerpräsidentin Julija Timoschenko (7 Prozent). Der Zusammenschluss mehrerer nationalistischer Parteien wird wohl an der 5-Prozent-Klausel scheitern, wohl auch deswegen, weil die Partei Poroschenkos sich von diesem kaum unterscheidet. Die Kandidatur der Kommunistischen Partei der Ukraine wurde – wie auch schon bei den Präsidentschaftswahlen – mit Verweis auf das Verbot der Nutzung kommunistischer Symbolik und Propaganda des Kommunismus abgelehnt, ebenso die der Union linker Kräfte. Linke Parteien stehen also gar nicht zur Wahl.
Die bisherige Regierung unter Ministerpräsident Grojsman ist noch im Amt. Dies mag zum einen daran liegen, dass der Präsident nur bei einem Teil der Minister das Recht hat, dem Parlament, der Obersten Rada, die Entlassung vorzuschlagen und einen neuen Kandidaten zu benennen. Bei anderen liegt diese Kompetenz beim Ministerpräsidenten. Aber auch bei Regierungsposten, bei denen Selenskij die Möglichkeit hätte, Kandidaten zu benennen, wie beim Außen- und Verteidigungsminister, ist dies noch nicht geschehen. Dagegen hat er auf regionaler Ebene mit Zustimmung des Kabinetts unter anderem viele Gouverneursposten neu besetzt.
In der letzten Woche gab es eine Auseinandersetzung mit Außenminister Klimkin über eine Note der russischen Regierung, dass man die nach der Provokation in der Meerenge von Kertsch festgenommenen ukrainischen Marinesoldaten freilassen werde, wenn es schriftliche Garantien geben werde, dass diese vor Gericht erscheinen. Dieser Vorschlag wurde von Klimkin offiziell abgelehnt, was Selenskij kritisierte, allerdings nur, weil er nicht zuvor informiert wurde.
Was den Außenminister Awakow betrifft, berichtet die linke russische Internet-Zeitung „Swobodnaja Pressa“, dass offenbar eine Einigung zwischen diesem und Selenskij erfolgt ist. Es seien einige mit Awakow eng verbundene Personen auf der Wahlliste Selenskijs, auch auf den ersten zwanzig Plätzen. Dazu passt, dass Selenskij am 15. Juni an den Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag der „Befreiung“ der Hafenstadt Mariupol im Donbass teilgenommen hat, eine Veranstaltung, die einer Militärparade ähnelt und faktisch vom dem Innenministerium unterstehenden Regiment „Asow“, einer ehemaligen faschistischen Freiwilligeneinheit, organisiert wird, das die eigentliche Macht in der besetzten Stadt ausübt.
Was die Wahlversprechungen Selenskijs angeht, so gibt es nicht einmal konkrete Ankündigungen. Im Gegenteil: Die Aussage, die kommunalen Tarife für Strom, Wasser und Heizung, die inzwischen für viele Ukrainer kaum noch bezahlbar sind, seien überhöht, wurde inzwischen relativiert. Der Präsident tritt energisch für weitere Privatisierungen ein. Der Krieg im Donbass geht weiter, die täglichen Zerstörungen der Infrastruktur durch ukrainische Angriffe sind so groß wie schon lange nicht mehr. Selenskij lehnt direkte Verhandlungen mit den Volksrepubliken des Donbass ab, die Ankündigungen seines Unterhändlers Kutschma, die Wirtschaftsblockade könne aufgehoben werden, erwiesen sich wie zu erwarten als hohle Phrase, da sie mit der Forderung nach Rückgabe des ehemaligen ukrainischen Eigentums verbunden wurde.
Und schließlich auch noch der Leiter des Büros des Präsidenten, der in finanzielle Machenschaften mit einem fiktiven Offshore-Unternehmen verwickelt ist. Alles wie gehabt.