Woher der Strom in der Steckdose kommt und warum er immer teurer wird

Alles solar – oder was?

Walter Reber

Solarenergie liegt heute in Deutschland beim Vergleich der unterschiedlichen Energieträger zur Stromerzeugung nur auf dem vierten Platz.

Windenergie war mit einem Anteil von 31 Prozent wichtigster Energieträger vor Kohle mit 26 Prozent, Erdgas mit 13,6 Prozent und Solarenergie mit knapp 12 Prozent. Nicht zu vergessen: Atomstrom. Auch wenn in Deutschland kein Atomkraftwerk am Netz ist, wird doch über Importe Atomstrom in gewissem Maße eingesetzt. Im Jahr 2023 waren 24 Prozent des importierten Stroms Atomstrom. Insgesamt waren damit 16,6 Terawattstunden oder rund 3,6 Prozent des Stromverbrauchs Atomstrom.

LNG – verflüssigtes Erdgas, das als klimaschädlich bekannt ist und unter anderem in der Stromerzeugung eingesetzt wird – macht nur einen kleinen Teil der Gasimporte aus, dieser soll aber ausgebaut werden. Das bleibt indes fragwürdig: Nach einer Einschätzung des Forschungsinstituts DIW aus dem Februar 2024 sind die Pläne für den Ausbau von LNG-Infrastruktur überzogen.

Braunkohle, die weitaus mehr CO2 freisetzt als andere Energieträger, verschlechtert mit den Kraftwerken wie Neurath, Schwarze Pumpe, Weisweiler und anderen die Ökobilanz. Der Abbau der Braunkohle im Tagebau zerstört ganze Landstriche. Noch bis ins Jahr 2029 zum Beispiel wird der Tagebau Inden 20 Millionen Tonnen Braunkohle jährlich abbauen und per Förderband an das Kraftwerk Weisweiler liefern.

Solar- und Windenergie sind naturgemäß abhängig von den Wetterlagen, für eine technische Produktion eher ungewöhnlich. 2023 war „ein gutes Windjahr“, 2022 dagegen ein ungewöhnlich sonnenreiches Jahr. Eine Garantie, dass schwache Windjahre durch sonnenreiche Jahre ausgeglichen werden, gibt es jedoch nicht.

Preissteigerungen

Mit den Sanktionen gegen Russland und dem Verzicht auf günstige Energie stiegen die Strompreise rasant. Es waren chaotische Zustände: Energieströme wurden neu aufgebaut, etliche Unternehmen nutzten wohl die Gelegenheit zu Sonderprofiten. Strom kostete die Verbraucherinnen und Verbraucher im ersten Halbjahr 2024 durchschnittlich 41,02 Cent je Kilowattstunde (kWh), die Kosten liegen aber mittlerweile niedriger. Das ist weniger als der bisherige Höchststand nach der Eskalation des Krieges in der Ukraine, aber knapp ein Viertel (24,8 Prozent) mehr als im zweiten Halbjahr 2021. Die Strompreise stiegen aber tendenziell bereits seit dem Jahr 2007.

Für Industrieverbraucher sieht es besser aus: 2020 lagen die Preise für diese Verbrauchergruppe je nach Quelle zwischen rund 15 und 18 Cent pro kWh. 2022 stiegen sie auf einen Höchststand von 26,5 Cent pro kWh an, um danach wieder auf 16,7 Cent zu fallen, also auf den Wert vor Beginn der „speziellen Militäroperation“ – ein klarer Hinweis auf die Subvention dieser Preise durch Haushaltskunden.

Liberalisierung

Es war die Liberalisierung des deutschen Strommarkts, die seit 1998 die Stromversorgung – eine der wichtigsten Grundlagen der modernen Gesellschaft – aus den Händen von Großunternehmen in die Hände von anderen Großunternehmen gelegt hat. Seitdem hat die Revolution des Stromsystems viele Erwartungen übertroffen. So stiegen die Kosten für einen Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von 3.500 kWh stetig an: von 17,11 Cent pro kWh 1998 oder etwa 600 Euro im Jahre auf 42,2 Cent pro kWh 2024. Damit zahlte der Durchschnittshaushalt knapp 1.500 Euro jährlich. Die Preise für Strom haben sich damit fast verdreifacht – weitaus mehr als sich der Verbraucherpreisindex erhöht hat.
Ein beträchtlicher – wenn auch nicht der wichtigste – Teil der Preiserhöhungen lässt sich auf Abgaben, Umlagen und Steuern zurückführen. Mit ihnen sollen der Umbau der Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien gefördert und negative Folgen des Umbaus verhindert werden. Die Umlagen und Abgaben haben fantasievolle Namen wie KWK-Umlage, EEG-Umlage, Paragraf-19-Umlage, Offshore-Netzumlage und AbLa-Umlage. Ihr Anteil an den Stromkosten stieg zwar bis 2017 auf einen Höchststand von 55 Prozent an, sank aber seitdem wieder auf 28 Prozent – wobei der Strompreis nach wie vor auf hohem Niveau verharrt

Damit ist Deutschland im EU-Vergleich eines der Länder mit den höchsten Strompreisen – und zugleich mit einem hohen Ausstoß an CO2. Der deutsche Strom-Mix setzt 380 Gramm CO2 pro kWh frei. Deutschland liegt im europäischen Vergleich damit im Mittelfeld, weit schlechter als der europäische Durchschnitt von 251 Gramm pro kWh oder dem Wert Italiens (252), aber vor Polen (666) oder Estland (658).

Netzstabilität

Ein zentrales Problem bei der Umstellung auf erneuerbare Energieträger liegt in der Änderung der Orte, an denen Strom produziert wird. Die „dezentrale Energieerzeugung“ über Kraft-Wärme-Kopplung, Solaranlagen und Windparks stellt für die Netzstabilität neue Herausforderungen. Noch in den 1990er Jahren war sie für die Verantwortlichen in der Energiewirtschaft leicht zu erreichen: Die Produzenten und Netzbetreiber konnten die Anlagen zentral überwachen und steuern. Stieg der Strombedarf über die produzierte Menge an, wich die Netzfrequenz leicht vom Ziel der 50 Hertz ab. Ein oder mehrere Kraftwerke wurden ans Netz genommen, orientierten sich an der bestehenden Netzfrequenz und der Phasenlage (dem Spannungsverlauf) des Wechselstroms und glichen den Bedarf aus.

Je mehr dezentrale Anlagen aber Strom erzeugten, umso schwieriger wurde die Steuerung. Die bestehende Netzfrequenz und Phasenlage des Wechselstroms steuern neu ins Netz aufgenommene Anlagen. Mit hunderttausenden dezentralen Anlagen wurde das zum Problem. Zwar können moderne Wechselrichter für Solaranlagen selbst einen Beitrag zur Netzstabilität leisten. Dennoch braucht es eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen, um die Netzstabilität zu sichern – und alle verursachen Kosten.

Mit der AbLa-Umlage erhielten sehr große Verbraucher eine Vergütung, wenn sie sich bereit erklärten, ihren Stromverbrauch zu senken, falls es die Laststeuerung erfordert. Die Kosten wurden noch bis 2023 auf alle Endverbraucher umgelegt.

Auch die Paragraf-19-Umlage reduziert die Netzkosten für Großverbraucher unter bestimmten Bedingungen massiv. Dabei geht es um einen Lastverlauf, der vom allgemeinen Lastverlauf abweicht – der also nicht gerade dann auftritt, wenn das Netz ohnehin schon stark belastet ist.

Eine weitere Möglichkeit für besondere Gewinne bietet dank Uniper der sogenannte „Reservestrom“. Kraftwerksbetreiber, die Leistungsänderungen auf Abruf bereitstellen können, um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten, können ihre Leistung in einer zentralen Auktion der Netzbetreiber anbieten. Der Höchstpreis für Reservestrom liegt derzeit bei 99.999,99 Euro pro Megawattstunde (MWh). 2020 wollte die Bundesnetzagentur diesen Höchstpreis auf ein Zehntel reduzieren, doch legte Uniper gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im Januar 2022 für Uniper: Die Absenkung der Preisobergrenze sei rechtswidrig. Daher wurde die ursprüngliche Preis­obergrenze von 99.999,99 Euro pro MWh wiederhergestellt.

Negativpreis

Wo manche Preise nach oben fast unbegrenzt sind, gibt es auch das Gegenteil: negative Preise. Erneuerbare Energien sind nicht so ohne Weiteres plan- und steuerbar. Viel Sonne und gleichzeitig viel Wind können zu einem Überangebot an Strom führen. Ungeachtet ihres Bedarfs müssen Betreiber öffentlicher Netze allen Strom, der von in Deutschland betriebenen Anlagen nach dem EEG gewonnen wird, mit Vorrang vor solchem Strom abnehmen, den fossile Brennstoffe und Kernkraft liefern.

Eine Folge ist, dass die Strompreise an den Märkten negativ werden können. Betreiber von kleinen Solaranlagen werden in der Regel davon nicht betroffen. Sie erhalten eine garantierte feste Vergütung von 8 Cent pro kWh eingespeistem Strom. Anfallende Mehrkosten für die Energieversorger wurden dabei aus dem EEG-Fonds beglichen. Die Versorgungsunternehmen wiesen die durch das EEG verursachten Mehrkosten anteilig dem Endverbraucher gegenüber aus.

Wieder konnten stromintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes mit hohem Stromverbrauch eine Ermäßigung der EEG-Umlage erhalten. Die Mehrkosten werden seit dem 1. Juli 2022 nicht mehr über die EEG-Umlage, sondern durch Zahlungen aus dem Bundeshaushalt beglichen.

Theoretisch können auch Klein-Einspeiser von negativen Strompreisen profitieren. Sie könnten zu diesen Zeiten die Akkus ihrer Anlagen aus dem Netz laden, statt nur von ihren Solaranlagen. Faktisch lohnt sich das vorerst nur für Großanbieter mit entsprechenden Kapazitäten, weil weiter Kosten wie Netzentgelte auch dann anfallen, wenn der eigentliche Strompreis negativ wird. Im ersten Halbjahr 2024 gab es 220 Stunden mit einem Stromüberschuss, an denen der Strompreis negativ wurde, an weiteren Stunden pendelte der Preis um null – Tendenz eher steigend.

Freilich gibt es eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken: Es geht darum, Mehrbedarf zu schaffen. Mehr Elektro­autos, womöglich mit mehr Fahrleistung, können gegebenenfalls Stromüberschuss verbrauchen. Eine ökologisch sinnvolle Lösung ist das sicher nicht.

Netzbetreiber

Vor der Liberalisierung des Strommarkts gab es rund 1.000 Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung, die jeweils genau abgegrenzte Versorgungsgebiete hatten. Die Energieversorgungsunternehmen waren für die gesamte Wertschöpfungskette verantwortlich – von der Erzeugung über den Transport bis hin zur Verteilung und Abrechnung des Stroms. Die „Großen Vier“ (RWE, EON, Vattenfall, EnBW) mussten im Rahmen der Liberalisierung und unter EU-Vorgaben ihre Geschäftstätigkeit aufspalten und in eigenständige Unternehmen für Produktion, Transport und Versorgung aufteilen – zumindest pro forma. Tatsächlich sind die Unternehmen über gegenseitige Besitzanteile vielfältig miteinander verknüpft – sowohl unter formalen Konkurrenten als auch innerhalb der Wertschöpfungskette.

Ein besonderer Gewinn für die Netzbetreiber wie TenneT, 50 Hertz und andere ist die staatlich garantierte Rendite. 2021 hat die Bundesnetzagentur neue Festlegungen der zukünftigen Eigenkapitalzinssätze für die Elektrizitäts- und Gasnetzbetreiber veröffentlicht. „Die Renditen der Netzbetreiber werden von den Netznutzern bezahlt, also Verbrauchern, Industrie und Gewerbe“, heißt es da. Diese sollten nicht unnötig belastet werden, deshalb wurde ab 2024 für Stromnetze die Verzinsung des Eigenkapitals bei Neuanlagen auf 5,07 Prozent verringert. Also eine garantierte Rendite, bezahlt von den Verbrauchern – unter der Position „Netzentgelte“ auf der Stromrechnung. Soll damit womöglich das „unternehmerische Risiko“ abgesichert werden? „Wie groß ist denn das unternehmerische Risiko bei einem Fast-Monopol-Betrieb mit staatlich festgelegter Rendite?“, fragt Max Uthoff in der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ zum Thema Stromversorgung – zu Recht!

Es ist eben ein sehr chaotischer Umbau der Energieversorgung, den wir erleben. Der aber eines nie aus den Augen verliert: die Interessen der großen Energie- und Industrieunternehmen.

Beispielrechnung
Anders als für Mieter oder Haushalte ohne großes Einkommen ist für den gut betuchten Mittelstand mit Eigenheim eine Strompreiserhöhung kein Schrecken. Für diese soziale Gruppe kann eine relativ kleine Solaranlage eine hervorragende Geldanlage darstellen.
Eine Anlage mit 11,5 Kilowattstunden (kWh) maximaler Leistung und einem Speicher für 10 kWh kostete vor zwei Jahren 27.000 Euro inklusive Montage und Mehrwertsteuer. In der geplanten Nutzdauer der Anlage ergab sich daraus eine Rendite um 6 Prozent.
Die Einspeisevergütung von 8 Cent pro kWh spielt dabei keine große Rolle. Das Ziel muss sein, möglichst viel selbst erzeugten Strom zu verbrauchen und auf den teuren Strom des Versorgers zu verzichten. Dafür eignet sich vor allem das eigene E-Auto und eine Wärmepumpe. So schließt sich der Kreis.

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"Alles solar – oder was?", UZ vom 8. November 2024



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