Berliner Enteignungskampagne kündigt neuen Volksentscheid an. Das Kernproblem, den Wohnungsneubau, blendet sie erneut aus

Alles so schön bunt hier

Ein bißchen was von einem Déjà-vu hat die neueste Verlautbarung der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“ an sich. Mit riesigen lila-gelben Bannern, vielen Plakaten und flankiert von einer äußerst professionellen Internetpräsentation verkünden Aktivisten am 26. September die Einleitung eines Gesetzesvolksentscheids. Er soll auf den Volksentscheid von 2021 folgen, bei dem eine Mehrheit der Berliner Wähler von 59,1 Prozent für die „Enteignung“ großer privater Immobilienbestände und deren Überführung in die Öffentliche Hand gestimmt hatten. Da diese Enteignung aber gegen eine entsprechende finanzielle Entschädigung der Wohnungskapitalisten erfolgen soll, wäre dies tatsächlich keine Enteignung, sondern ein Abkaufen der Wohnungsbestände. Eine Umsetzung dieses Deals erscheint zwei Jahre nach der Abstimmung absolut unrealistisch. Zwar hatte eine Expertenkommission die Rechtmäßigkeit und Machbarkeit bestätigt, aber dem aktuellen Senat ist das herzlich egal.

Nun trommeln die Aktivisten also für eine neue Kampagne. Es werden bereits Spenden gesammelt. Uns erwarten wieder neue Plakate im bekannten Lila-Gelb, fleißige Aktivisten mit Unterschriftenlisten, spektakuläre Choreographien und professionelle Internetpräsenz. Doch abgesehen davon, dass ein Großteil der Bevölkerung jenseits der mietenpolitischen Szene von den Ergebnissen der letzten Volksentscheide ernüchtert oder gar abgestoßen sein dürfte, hat das Ganze ein ernsthaftes Problem: „Es war lange nicht mehr so schwer, eine Wohnung zu finden“, schreibt die „Berliner Zeitung“. Die Wohnungsnot hat sich in den letzten Jahren nochmals dramatisch verschärft, unter anderem durch den Zustrom von etwa 80.000 Menschen aus der Ukraine, vor allem aber, weil es nahezu keinen öffentlichen Wohnungsbau gibt. Der wurde erst 2014 überhaupt wieder aufgenommen, und die gesteckten Neubauziele wurden in keinem Jahr erreicht. Privatkonzerne bauen ausschließlich im hochpreisigen Sektor und orientieren auf Maximalprofit, waren also ohnehin nie dazu da, dem Problem abzuhelfen. Der akute Wohnungsmangel in der Hauptstadt kommt nicht aus heiterem Himmel, sondern wurde durch die kapitalfreundlichen Weichenstellungen in der Wohnungspolitik bewusst herbeigeführt.

Die Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft, das „Mieterecho“, legt den Finger in die offene Wunde und kritisiert in ihrer Ausgabe vom August dieses Jahres vor allem die „Rot-Rote“ Berliner Senatspolitik der Jahre 2006 bis 2011: „Diese Koalition zog sich konsequent aus der Wohnungspolitik zurück, stellte den sozialen Wohnungsbau komplett ein und präsentierte dafür politische Expert/innen wie die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und den wohnungspolitischen Sprecher der Linken, Michail Nelken, um die Lage zu erklären. Für Junge-Reyer war die Berliner Welt angesichts der höheren Mieten in München total in Ordnung, und Nelken sah im Neubau gar eine Bedrohung für die günstigen Bestandsmieten, weil die Neubaukosten über den Bestandsmieten lagen. Daneben wurde jahrelang von Leerständen gefaselt, und Junge-Reyer ließ massenweise Gutachten erstellen, um dieses Hirngespinst glaubhaft zu machen. Flankiert und in gewissem Sinne auch abgesichert wurde diese Politik von einer neubaufeindlichen Szene wohnungspolitischer Aktivist/innen.“

Die neue Kampagne aus der Berliner Aktivistenszene verfehlt den Kern des Problems, weil sie die Frage des dringend nötigen Wohnungsneubaus erneut konsequent ausklammert, und zwar wissentlich. Dass dieser Wohnungsneubau nicht den Kapitalisten überlassen werden darf, ist eigentlich eine sozialdemokratische Binsenweisheit. Ihn fordern nicht nur wir Kommunisten, sondern ebenfalls seit Jahren schon die „Initiative für einen neuen kommunalen Wohnungsbau“ (INKW). Diese verfügt zwar über Expertise, kann sich jedoch keinen Stab an Aktivisten und Medienprofis leisten, weil sie nicht annähernd gleiche finanzielle Möglichkeiten besitzt.

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"Alles so schön bunt hier", UZ vom 6. Oktober 2023



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