Sicherlich kann, darf und muss man auch zu Jörg Roesler geteilter Meinung sein, was ihn selbst kaum wundern wird. Doch so einfach, wie es sich Jürgen Kelle macht, dürfte es wohl doch nicht sein. Ihm und anderen, die vielleicht auch so schnell in jeder Beziehung mit dem „Revisionismus“-Vorwurf bei der Hand sind, insbesondere wenn es um die Organisation der Produktion im Sozialismus geht mit allen ihren Konsequenzen, sei ein Buch empfohlen, das demnächst im Verlag Neue Impulse erscheint: „Lenins ökonomisches Denken nach der Oktoberrevolution“ von Vladimiro Giaccè. Der Leser wird anhand der Aussagen Lenins, die nicht willkürlich, sondern als konkrete Widerspiegelung des tatsächlichen Werdeganges der Geschichte zitiert werden, auf eine äußerst aufschlussreiche und nachvollziehbare Entdeckungsreise mitgenommen. Diese führt ihn „zu einem ökonomischen Aufbauprozess, der vor hundert Jahren auf unerforschtem Gebiet stattfand. Einem Vorhaben, das sich an präzisen theoretischen Postulaten orientierte, das aber an seinen Knotenpunkten das Fehlen geeigneter „Karten“ und deshalb die Notwendigkeit, über Versuch und Irrtum voranzukommen, feststellen musste. Ein Vorhaben letztlich, das etliche Wendungen erforderlich machte, die sich auch auf die ursprünglichen theoretischen Postulate auswirkten und diese wesentlich modifizierte.“
Lenin bestand z. B. gegenüber Trotzki in einem Brief vom 21. 1. 1922 darauf, dass dieser in seiner Rede zur NÖP unbedingt den Terminus „Staatskapitalismus“ verwendet (darüber habe er mit Bucharin wiederholt gestritten). Das sei „der theoretisch einzig richtige und er ist unentbehrlich, um am Alten hängenden Kommunisten klarzumachen, dass die neue Politik ernst zu nehmen ist.“
Stärkere Differenzierung, weniger Aufgeregtheit und mehr Nüchternheit in der Analyse wären vielleicht ganz gut in der Debatte und würden dem Klassenstandpunkt sicherlich nicht schaden. Es würde uns helfen, den Dingen stärker auf den Grund zu gehen – und zu überzeugen.