Am 1. Mai auf die Straße? Gewerkschaften uneinig über Protestform

Alles müssen wir selber machen

Während die Bundesregierung die sogenannte „Notbremse“ zieht, wird fleißig weitergearbeitet und weiter angesteckt. In Logistikzentren sind die Infektionszahlen mit dem Corona-Virus weiterhin hoch. Kein Wunder, der Arbeitsdruck ist massiv gestiegen, weil mehr verschickt und mehr online bestellt wird, solange der klassische Einzelhandel geschlossen hat.

Aus Profitinteresse ist es nur konsequent, dass der Online-Riese Amazon den Mitarbeitern, die er für wenig Geld ausbeutet, an manchem Standort untersagt, sich während der Arbeit mit FFP2-Masken zu schützen. Denn schwer atmend lässt sich körperlich auch nur schwer arbeiten. Deswegen sieht der Arbeitsschutz vor, dass das Tragen von FFP2-Masken durch regelmäßige Pausen zu unterbrechen ist. Die Realität freilich sieht meist anders aus. Amazon will keine falschen Hoffnungen auf notwendige Pausen säen und empfiehlt deswegen: Keine Masken zum Eigenschutz am Arbeitsplatz!

Ein besonders krasses Beispiel, ein Jahr nach Beginn der Pandemie – könnte man meinen. Doch auch ein Blick in andere Branchen zeigt, dass das Kapital auch in der Krise nur eins im Sinn hat: Seinen Reichtum zu vermehren. So zeigen die Bosse in der Fleischwirtschaft aktuell tausenden Beschäftigten, was sie von ihnen halten: Nichts. Die Tarifverhandlungen für diejenigen, die zu Hungerlöhnen in der Schlachtindustrie schuften und letztes Jahr in Kühlhallen dem Virus ausgesetzt wurden, sind vorerst ohne Ergebnis beendet. Aktuell gibt es Streiks in der Fleischwirtschaft.

Es sind die Berufsgruppen, die von Anfang an nicht berücksichtigt wurden beim Zusammenstehen im „solidarischen Home-Office“ und für deren Interessen sich auch die Gewerkschaften kaum eingesetzt haben. Als im vergangen Jahr Spargelstecher Arbeitskämpfe angesichts der durch die Corona-Pandemie zugespitzten Lage starteten, überschlugen sich die Gewerkschaftsspitzen mit Appellen an die Gemeinschaft. Der Dreiklang „Kapital – Regierung – Gewerkschaft“ appellierte an die Vernunft und vergaß, dass diese nicht in Einklang zu bringen ist mit den Grundsätzen von Kapital und Regierung: Profit und Eigentum.

In den letzten Tagen sind die Infektionszahlen wieder gestiegen. Erneut werden Bewegungsfreiheit und Privatleben ausgebremst, damit keine Räder stehen müssen für die deutsche Wirtschaft. Währenddessen diskutieren die Gewerkschaftsführungen ernsthaft darüber, ob es ein richtiges Signal wäre, am 1. Mai auf die Straße zu gehen.

„Letztes Jahr, da fand ich das auch nicht gut, aber da war alles noch neu und unübersichtlich“, sagte eine Kollegin auf ihrer Gewerkschaftssitzung in Vorbereitung der 1.-Mai-Demonstration. Die im sozialpädagogischen Bereich arbeitende Gewerkschafterin bezog sich auf die neue Orientierung des lokalen DGB, dass es wegen der Pandemie nicht verantwortbar sei, auf die Straße zu gehen. „Wir sind jeden Tag draußen, für unseren Gesundheitsschutz interessiert sich niemand und jetzt will uns unsere Führung erzählen, dass wir den Protest gegen die Regierungspolitik den Rechten überlassen sollen?“

Die durch Corona verschärften Unterschiede der Arbeitsbedingungen in verschiedenen Branchen machen es denjenigen, die nun noch mehr schuften müssen, noch schwerer, Gehör zu finden. Hier braucht es organisierte Solidarität als ersten Schritt der Selbstermächtigung. Dagegen stehen diejenigen, die stattdessen auf anonyme Online-Aktionen setzen oder Solidarität gegen Klatschen austauschen. Doch am 1. Mai sagen wir nicht „Danke“, sondern organisieren uns als Klasse. Und so wird sich auch in diesem Jahr weltweit und auch in Deutschland eine Union von Lohnabhängigen auf den Plätzen und Straßen zeigen. Verantwortlich mit Maske und Abstand, aber doch gemeinsam. Wütend gegen die herrschenden Zustände, selbstbewusst für die eigenen Interessen und stolz der eigenen Kraft bewusst. Für uns liegen die Forderungen auf der Hand: Gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf unserem Rücken! Für Frieden und Sozialismus!

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"Alles müssen wir selber machen", UZ vom 30. April 2021



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