Eine beispiellose Tat der Solidarität der Internationalen Brigaden in Spanien

Alles für die Kinder

Von Werner Abel

Der Einsatz der Internationalen Brigaden im Spanienkrieg war die wohl größte Solidaritätsaktion der internationalen kommunistischen Bewegung. Weniger bekannt ist, dass diese Solidarität auch den spanischen Kindern galt. Denn die, die diese Solidarität praktizierten, waren in der Mehrheit Kommunisten.

Als Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein antifranquistischer spanischer Widerstandskämpfer auf deren Einladung die noch lebenden Interbrigadisten der DDR besuchte, wandten sie sich mit der Bitte an ihn herauszufinden, ob es noch Überlebende der Kinder gäbe, die 1937 in dem von der XI. Internationalen Brigade gegründeten Kinderheim „Ernst Thälmann“ in Moraleja Aufnahme gefunden hatten. Obwohl dieser Widerstandskämpfer die einflussreiche Zeitung „El País“ gebeten hatte bei der Suche zu helfen, blieb das wohl ohne Ergebnis. Moraleja aber war nicht das einzige Kinderheim, das von den Internationalen Brigaden organisiert und betrieben worden war. Obwohl in der Memoirenliteratur an einigen Stellen erwähnt, spielt bis heute, von ganz wenigen spanischen Aktivitäten abgesehen, der große Themenkomplex „Die Internationalen Brigaden und die spanischen Kinder“ kaum eine Rolle. Dabei ist es wohl historisch gesehen eine absolut singuläre Erscheinung, dass militärische Einheiten Mittel und Personal für Kinder zur Verfügung stellen und dass ein Kriegskommissariat wie das der Internationalen Brigaden alle Energie darauf konzentriert, den durch den Krieg geschädigten Kindern möglichst in allen Städten und größeren Ortschaften Unterkunft, Fürsorge und Bildung zuteil werden zu lassen.

Ein Schloss wird Heim(at)

Den Anfang hatte die Führung der XI. Brigade gemacht. Dieser Brigade gehörte eine große Anzahl Spanier an. Die Führung der Brigade fühlte sich verpflichtet, den Kindern ihrer gefallenen oder verwundeten spanischen Kameraden ein Refugium zu geben. Vincente Uribe, der kommunistische Minister für Agrokultur in der spanischen Volksfront-Regierung, hatte das Jagdschloss der Marquesa de Cubas-Herice in Moraleja mit seinen 500 Hektar Boden zunächst den Bauern zur Bewirtschaftung übergeben. Das lokale Volksfrontkomitee beschloss, das zentrale Gebäude der XI. Brigade als Erholungsheim zur Verfügung zu stellen. Dafür wurde das Schloss auch anfangs genutzt, nach einiger Zeit aber entschied die Führung der Brigade aus dem Gebäude ein Heim für spanische Kinder zu machen, deren Väter oder Brüder Frontkämpfer gewesen waren.

Am 15. August 1937 wurde der Hogar de niños „Ernst Thaelmann“ eingeweiht und der Kommissar der Brigade Heiner (Heinrich Rau) brachte es auf den Punkt, als er sagte: „Unsere Kinder wissen, warum ihre Väter gefallen sind, warum ihre Väter an der Front stehen, warum sie in der Kriegsindustrie ihre Pflicht erfüllen. Unsere Kinder sollen bewusst diese große Zeit des Freiheitskampfes des spanischen Volkes miterleben. Sie sollen zu Kämpfern für die große Sache des Volkes, gegen die faschistische Barbarei, für die Freiheit ihres Landes und ihr Volk heranwachsen.“ Geleitet wurde das Heim, das pro Belegung ca. 60 Kinder beherbergte, von dem verwundeten deutschen Interbrigadisten Ludwig Habermann und dem Spanier Luis Navarro. Das Heim erfuhr eine besondere Bedeutung auch dadurch, dass hier, mit der gleichzeitigen Bitte, sich auch um die Kinder zu kümmern, Alfred Kantorowicz, Ruth Rewald und Lise Lindbæk an ihren Manuskripten über den Spanischen Krieg arbeiten konnten.

Das Kinderheim in Moraleja wurde von den Interbrigadisten durch regelmäßige Spendenaktionen unterstützt. Da die Spendenlisten erhalten geblieben sind, ist abzulesen, wie hoch die Bereitschaft der Brigadisten war, den Kindern zu helfen. Ein Soldat der Interbrigaden erhielt etwa 310 Pesetas Sold. Die meisten Brigadisten spendeten oft zwischen 20 und 50 Pesetas. Das waren für damalige Zeiten hohe Beträge, denn oft brauchten die Kämpfer ihren Sold auch für zusätzliche Nahrungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs.

Bildung, Pflege, Betreuung …

In rascher Folge entstanden im Umfeld der Hospitäler der Internationalen Brigaden weitere Kinderheime und Kindergärten, in denen die spanischen Kinder Bildung, Pflege und medizinische Betreuung erhielten. Hier ist vor allem der „Campo Lukacz“ zu erwähnen, der seinen Namen nach dem gefallenen Kommandeur der XII. Internationalen Brigade, Pavol Lukacz, erhielt. Unter diesem Namen hatte sich der weltkriegserfahrene ungarische Offizier, Schriftsteller und Kommunist Máté Zalka der bedrohten Republik zur Verfügung gestellt. Der Campo Lukacz gehörte zum Hospitalkomplex von Murcia und wurde von den Spenden der Verwundeten in den vier Hospitälern finanziert. Geleitet wurde dieses Kinderheim von der kroatischen Ärztin Dr. Anka (Adela Bohunicka) und dem Franzosen Marcel Pimpaud.

Der Interbrigadist Karl Popp erinnerte sich: „In Murcia und in anderen Städten sammelten die Kameraden der Internationalen Brigaden elternlose Kinder von der Straße auf, Waisen, deren Eltern bei Bombenangriffen und an der Front gefallen waren. Wir fassten sie in einem Kinderlager zusammen und gaben ihnen ein Dach über den Kopf. Die Kinder, die vorher auf der Straße bettelten und unter freiem Himmel campiert hatten, bekamen von uns wieder regelmäßige Mahlzeiten, anständige Kleider und Spielzeug, das wir oft gemeinsam mit den Kindern bastelten. Sie lernten lesen und schreiben, denn für diese Kinder gab es vorher keinen Unterricht. In das Lager kamen von Tag zu Tag mehr Kinder, denn es sprach sich schnell herum, dass es dort in dem Kinderlager „General Lukacz“ regelmäßige Mahlzeiten gab und dass sie nicht mehr auf der Straße betteln brauchten. Die Alemanos, wie sie uns nannten, sangen mit den Kindern Lieder und erzählten ihnen u. a., wer die Bomben auf die Städte Spaniens schmeißt und warum sie ihre Eltern verloren haben. Diese Kinder, die heute erwachsen sind, werden die Zeit bestimmt nicht vergessen haben.“

Die Begegnung mit den Kindern hatte aber auch auf viele Patienten der Hospitäler eine positive Wirkung, die Ärzte erkannten bald den therapeutischen Wert für den Heilungsprozess der Verwundeten und Kranken.

Weitere Heime wurden in Benicassím, geleitet von der Österreicherin Dr. Fritzi Brauner, und in Benissa, dem die Österreicherin Dora Kaiser und der Pole Dr. Michel vorstanden, errichtet. Verantwortlich für das Heim in Denia war der italienische Kommunist Edgardo Mutti. Auch die Hospitäler der Interbrigaden in Mataró, Orehuela, Badadona, Moyá, Castelldefels, Santa Coloma de Farnés, Vich und S‘Agaró betrieben Heime oder Kindergärten. Insgesamt, so kann eingeschätzt werden, betreuten die Internationalen Brigaden in ihren Heimen, Kindergärten und Sanitätseinrichtungen und in einer eigens gegründeten Organisation etwa 60 000 spanische Kinder, in den Zeiten des Krieges war das eine gewaltige Leistung.

Ein Programm

Die genannte Organisation bedarf, weil sie mit Sicherheit in der Geschichte der Kriege einmalig bleibt, einer besonderen Erwähnung. Ende 1937 beschloss das Kriegskommissariat der Internationalen Brigaden, das von dem italienischen Kommunisten Luigi Longo, mit dem Pseudonym „Gallo“ Generalinspekteur-Generalkommissar der Brigaden, ein Betreuungsprogramm für die spanischen Kinder in der gesamten republikanischen Zone. Ausgangspunkt war zunächst, dass viele Kinder aus Barcelona und Umgebung durch die deutschen und italienischen Luftangriffe ihre Heime verloren hatten oder ihre Väter für die Republik an den Fronten kämpften und die Mütter, vielfach in der Verteidigungsindustrie beschäftigt, nicht mehr in der Lage waren, für regelmäßige Ernährung oder den Gang zur Schule zu sorgen. Am 1. Januar 1938 wurde vom Kriegskommissariat der Internationalen Brigaden, das 150 000 Pesetas zur Verfügung stellte, in Zusammenarbeit mit der katalanischen Roten Hilfe und dem Unterrichtsministerium der spanischen Republik das Comité Pro-Niños españoles gegründet. Das Logo dieser Organisation zeigte einen hochgeklappten Stahlhelm, unter dem Kinder Schutz suchen. Auch hier wurde an die Solidarität der Interbrigadisten appelliert und tatsächlich konnten dem Komitee schon am 7. Februar 76 687 Pesetas übergeben werden. Das Komitee unterstand dem Kriegskommissariat der Brigaden und wurde geleitet von dem aus dem Elsass stammenden Pädagogen Dr. Alfred Brauner, der von seiner Frau Dr. Fritzi Brauner, von Dr. Anja Hammerstein, Gertrud Lüdke, Dora Kaiser, dem Engländer Henry Stuart unterstützt wurde. Weitere Unterstützung fand das Komitee auch durch die großen kommunistischen und linken Zeitungen des Auslands. Patenschaften übernahmen kommunistische Abgeordnete in Frankreich und Organisationen wie das Welt-Frauenkomitee gegen Imperialismus und Krieg. Von deutscher Seite engagierte sich auch die Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris.

Der Anspruch des Komitees, die gesamte republikanische Zone Spaniens mit einem dichten Netz von Kinderheimen zu überziehen, konnte allerdings nur dort realisiert werden, wo sich die Interbrigaden längere Zeit aufhielten und wo sich vor allem deren Sanitäts- und Rehabilitationszentren befanden. Anderenorts waren die lokalen Behörden, die ja mit den verschiedensten Problemen des Krieges konfrontiert waren, derart überfordert, dass der Gedanke an Musterheime wieder aufgegeben und dafür auf die Schaffung von Kindergärten, Spielplätzen und Schulen orientiert wurde. Vielfach war es schon ein Sieg, wenn den einheimischen und vor allem den Flüchtlingskindern eine regelmäßige Ernährung garantiert werden konnte.

Zu den rührendsten Dokumenten, die aus dem Spanischen Krieg erhalten blieben, gehören ohne Zweifel 160 Fragebögen, die im Juni 1938 an Kinder aus Prat de Llobregat, einem Ort am Rande von Barcelona, ausgegeben worden waren. Diese Kinder waren wegen der ständigen Bombardements evakuiert worden, deshalb beantworteten sie auch die Frage, was der Krieg für sie bedeutete, mehrheitlich mit „Flugzeugen Bomben, Tod und Zerstörung“. Die meisten der Kinder hatten nur Bohnen und Kartoffeln, ohne Öl, gegessen, keines erwähnte Fleisch. Fast alle Väter waren an der Front. Etwa 80 Prozent der befragten Kinder wollten in der UdSSR, in Russland leben. Für den zwölfjährigen Juan Lozente Maresma war Russland die Nation der Arbeiter, Pilot wollte er werden, um der Volksfrontrepublik zum Sieg zu verhelfen. Sein Leben nach diesem Sieg wünschte er sich „mit viel Freude, Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Arbeit und Essen“. Auch der elfjährige Luis Milicin Espi wollte Pilot werden, „um Franco zu vernichten und die Republik zu schützen“. Für Carmen Durante Aldabaldetrem, 12 Jahre alt, war die Sowjetunion ebenfalls das Wunschland, weil es das „Vaterland der Pioniere“ ist, in dem sie sich zur Krankenschwester ausbilden lassen kann, um den verwundeten Kämpfern helfen zu können. Fast alle wünschten sich ein Fahrrad, die Mädchen oft Nähmaschinen, um den Eltern helfen zu können. Der sechsjährige Miguel Barra Capella träumte von „einem besonders großen Gewehr, um die Faschisten zu töten“. Regelmäßig und ausreichend essen zu können, das war der Wunsch aller Kinder. Dieser Wunsch konnte zumindest in den Heimen der Interbrigaden erfüllt werden, auch dann, wenn selbst für die Brigadisten die Verpflegung knapp wurde.

Am 21. Juli 1938 rief das Komitee die Kinder auf, ihr Leben in Zeichnungen auszudrücken. Diese Zeichnungen sollten dann weltweit gezeigt werden. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Erhalten geblieben ist allerdings ein eindrucksvolles Album mit Bildern, die die spanischen Kinder für die verwundeten Interbrigadisten gezeichnet hatten.

Was wurde aus den Kindern?

Durch die sich verschlechternde militärische Situation für die Republik mussten auch die Hospitäler und Kinderheime evakuiert werden. Aber auch nach dem Abzug der Internationalen Brigaden von der Front kümmerten sich die Interbrigadisten weiter um „ihre“ Kinder und sicherten dann für viele die Flucht nach Frankreich. Aber auch dort, wo die Kämpfer der Internationalen Brigaden gezwungen waren, unter entsetzlichen Bedingungen zu leben, wurde den spanischen Kindern weiterhin geholfen. Leider ist auch darüber noch viel zu wenig bekannt.

Es wird wohl auch kaum noch möglich sein zu erfahren, was aus den Kindern der Internationalen Brigaden geworden ist. Glück hatten vermutlich die, denen es mit ihren Familien gelang, ins Exil zu gehen. In Spanien selbst setzte Franco seinen „Kreuzzug gegen den Kommunismus“ auch erbarmungslos gegen die Kinder von Republikanern fort. Tausende wurden ihren Eltern entrissen und zur Adoption freigegeben oder in Heime gebracht, wo sie unter kirchlicher Obhut umerzogen werden sollten. Viele von ihnen werden sich mit Wehmut an die Internationalisten erinnert haben, die in diesem fürchterlichen Krieg alles versucht hatten, den Kindern eine bessere, eine freundlichere Zukunft zu erkämpfen.

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"Alles für die Kinder", UZ vom 24. Februar 2017



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