Die Wut der Kolleginnen und Kollegen ist greifbar. Rauch von Bengalos liegt in der Luft. Banner der IG Metall verwandeln den Eingangsbereich vor dem Schloss Herrenhausen in Hannover in ein rotes Fahnenmeer. „Zukunft statt Kahlschlag“ ist auf einem Transparent zu lesen, „Verzicht hat uns noch nie geholfen“ auf einem anderen.
Begleitet von lautstarkem Protest der Beschäftigten gegen den Sparkurs der Konzernleitung hat am Mittwoch vergangener Woche die Tarifrunde bei Volkswagen begonnen. Die IG Metall spricht von mehr als 3.000 Teilnehmern am Verhandlungsort, darunter Beschäftigte aus den Werken in Wolfsburg, Emden, Osnabrück und Zwickau.
Die eigentlich erst für Ende Oktober geplante Tarifrunde war vorgezogen worden, nachdem der Autokonzern Anfang des Monats seinen Sparkurs verschärft und die seit 30 Jahren geltende Beschäftigungssicherung gekündigt hatte. Nach Medienberichten könnten so mittelfristig bis zu 30.000 Jobs wegfallen. Auch die Schließung ganzer Werke wird von der Kapitalseite nicht länger ausgeschlossen. Laut VW-Finanzvorstand Arno Antlitz fehlen dem Konzern die Verkäufe für rund zwei Werke. Außerdem will VW die Bezahlung der Leiharbeiter senken und weniger Auszubildende übernehmen.
Das hat zur Folge, dass in der nun anstehenden Tarifrunde – statt nur über das Entgelt – auch über die von der Vorstandsetage einseitig gekündigte Beschäftigungssicherung verhandelt werden muss. Betroffen waren zunächst nur die rund 120.000 Beschäftigten in den sechs großen westdeutschen Werken, die unter den VW-Haustarif fallen. Bei VW Sachsen gelten eigene Regelungen. In der vergangenen Woche hatte VW dort ebenfalls die Verträge zur Beschäftigungssicherung aufgekündigt.
„Wir stehen erst am Anfang einer Auseinandersetzung mit dem Unternehmen, die sich gewaschen hat. VW wird den Widerstand ernten, der durch das Topmanagement gesät worden ist!“, so die IG-Metall-Verhandlungsführung. Die Konzernleitung hingegen verweist auf die schlechte wirtschaftliche Lage und hält an ihren Kahlschlagsplänen fest. Die Lohnforderung der Gewerkschaft von 7 Prozent analog zur Fläche wird ebenfalls kategorisch zurückgewiesen. Stattdessen droht man mit Gehaltseinbußen: „Statt Kostenbelastung brauchen wir Kostenentlastung“, sagte VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel nach den Gesprächen in Hannover. „Hierfür wird auch ein Beitrag der Beschäftigten erforderlich sein“, so der Personalvorstand.
Nach Einschätzung der IG Metall würde das faktisch auf eine Minusrunde hinauslaufen. Auch über Werkschließungen und Massenentlassungen ist mit uns nicht zu reden“, stellte die mitgliederstärkste DGB-Gewerkschaft schon vor den Verhandlungen klar. Schließlich sei für die missliche wirtschaftliche Lage bei VW in erster Linie der Vorstand verantwortlich. „Dieselskandal, Fehleinschätzungen, Fehlentscheidungen sind nicht das Verschulden der Beschäftigten – das war und ist die Verantwortung des Topmanagements“, so die Gewerkschaft. Und der VW-Betriebsrat kritisiert die Kapitalmarktfixierung des Vorstandes: „Ich ganz persönlich stehe dafür, dass Volkswagen nicht nur einseitig die Aktionäre reicher machen soll“, so dessen Vorsitzende Daniela Cavallo in Anspielung auf die noch im Juni an die Aktionäre des Autokonzerns ausgeschütteten 4,5 Milliarden Euro. Von der Bundesregierung fordert die IG Metall statt Strohfeuern eine verlässliche Industriepolitik.
Am 1. Dezember endet bei VW die Friedenspflicht. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, würden mit der Beschäftigungssicherung auch die Zugeständnisse der Belegschaft wegfallen, auf die man sich vor 30 Jahren geeinigt hatte. Hierzu gehört der Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Statt zu sparen, würde es für VW dann sogar teurer, argumentiert die IG Metall. Die Konzernleitung hingegen drohte bereits, dass in diesem Falle „betriebsbedingte Kündigungen nicht auszuschließen sind“. Möglich wäre das nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten ab Juli 2025. Die roten Fahnen, Bengalos und Transparente werden wohl noch länger benötigt.