Allein machen sie dich ein

Relativ kurz, aber überaus schmerzverursachend für die Zuschauerinnen und Zuschauer war er, der „Festakt zum Tag der deutschen Einheit“ in der Hamburger Elbphilharmonie. Unter dem Motto „Horizonte öffnen“ wurde 90 Minuten lang – unterbrochen von Elbphilharmonikern und Udo Lindenberg – vor 1.300 Gästen über Deutschland schwadroniert.

Das geriet – vor allem Dank der Moderatoren – oft unfreiwillig komisch. Die Schauspielerin Rhea Harder-Vennewald und der Moderator Yared Dibaba hielten sich krampfhaft (und genauso lächelnd) an Karteikarten mit ihren Texten fest und stammelten sich durchs Programm. Ein Schelm, wer das schlechte Ablesen von Papier zum Anlass nimmt, an Digitalisierung zu denken. Und so machen dann alle möglichst feierliche Gesichter: Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz genauso wie Wladimir Klitschko und Olivia Jones lauschen den Moderatoren bei stilistischen Stilblüten. „Udo Lindenberg steht für Unbeugsamkeit genau so wie unsere Verfassung.“ Man könnte lachen, ungläubig den Kopf schütteln und ausmachen, aber damit würde man den Ernst in der albernen Inszenierung vernachlässigen.

Geschenkt, dass in dem einleitenden Hochglanzfilmchen von Königen über Hanse bis zu Lindenbergs Lederjacke im Osten genau zwei Sätze für den deutschen Faschismus vorgesehen waren. Wer ihn erklären will, kann die DDR so schlecht als freiheitsberaubende Diktatur darstellen. Geschenkt auch, dass Peter Tschentscher, der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, den Krieg in der Ukraine bedauert – und Wladimir Klitschko Grüße an seinen Bruder Vitali ausrichten lässt. Das alles gehört zur Inszenierung dazu wie das Amen in der Kirche.

Interessanter wurde es dann schon, als Tschentscher vom „Pakt für Solidarität und Zukunft“ zwischen Kiew und Hamburg spricht. Denn dort, so Tschentscher, entstehe eine „strategische Partnerschaft“ für die Zeit, „wenn der Wiederaufbau beginnen kann“. Kein Hoffen auf baldigen Frieden, natürlich erst recht keins auf Verhandlungen. Stattdessen ein Hoffen auf Profite, die Hamburg sich – ganz in alter hanseatischer Tradition – nicht entgehen lassen möchte.

Und Tschentscher gibt das Hauptstichwort des Festakts: Die Eigenverantwortung des Bürgers. Private Initiativen, so Tschentscher, hätten Hamburg schon immer geprägt. Er habe das Glück, Bürgermeister einer Stadt zu sein, in der die Bürger nicht fragen, was die Stadt für sie tun könne, sondern was sie für die Stadt tun können. Also selber Kinderbetreuung organisieren statt Kita-Plätze einklagen, selber bauen statt bezahlbaren Wohnraum fordern und von Sozialleistungen lieber gleich gar nicht reden. Denn das Geld wird woanders gebraucht, für die Sanierung der Bundeswehr. Denn „nur ein starkes Deutschland kann Verantwortung übernehmen für ein starkes Europa“. Ganz in diesem Sinne argumentiert dann auch der Hauptredner, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth: Er appelliert an die „Kraft des Individuums“.

So hätten sie uns gern, die Herrschenden. Vereinzelt, allein und ohne Forderungen, wer das Geld hat, organisiert sich irgendwie noch ein kleines Teilstück vom schönen Leben. Dagegen hilft nur Solidarität. Und zwar nicht in dem Sinne, den Tschentscher dem Wort gerne geben würde.

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"Allein machen sie dich ein", UZ vom 6. Oktober 2023



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