Der Weg junger Menschen in den Dschihad und zurück

Allein 65 „Gotteskrieger“ aus Hamburg

Von Birgit Gärtner

Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat die beiden Deutsch-Tunesier ­Ayoub B. (27) und Ebrahim H. B. (26) zu Haftstrafen von vier Jahren und drei Monaten sowie drei Jahren verurteilt. Die beiden hätten zu der „Wolfsburger Zelle“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ gehört. Damit greife der Paragraf 129b: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Das Gericht blieb unter dem von der Bundesanwaltschaft geforderten Strafmaß von 10 Jahren – die Verteidigung hatte auf Freispruch oder Einstellung des Verfahrens plädiert. Bei Ebrahim H. B. wirkten sich diverse Zeitungsinterviews strafmildernd aus. Das Gericht erkannte an, dass Ebrahim H. B. damit andere davon abhalten wollte, sich dem IS anzuschließen. Beide hatten sich nach ihrer Rückkehr freiwillig gestellt und Auskunft über die Strukturen des IS gegeben.

Vor seiner Ausreise arbeitete ­Ayoub B. bei VW in Wolfsburg. Eigentlich habe er seinen Urlaub in Tunesien verbringen und dort heiraten wollen, schreiben verschiedene Medien. Überraschend habe er die Auszeit vorgezogen und sich auf den Weg gemacht. Allerdings nicht nach Tunesien, getrieben von Sehnsucht nach seiner Liebsten, sondern zum IS, um dort den Koran zu studieren, wie er jenen Medien gegenüber betonte. Eigentlich habe er nicht als besonders religiös gegolten, bis er den IS-Anwerber Yassin O. traf und – wie er sagte – dessen Charisma erlegen sei. Eigentlich habe er sich keine Illusionen über den IS gemacht, glaubte aber an die Möglichkeit, dort in Ruhe und Frieden religiösen Studien nachgehen zu können. Oder wollte es glauben.

Vor zirka einem Jahr kehrte er aus Syrien zurück, fünf Monate später wurde er verhaftet und unter Anklage gestellt. Ihm wird vorgeworfen, von Mai bis August 2014 in einem IS-Lager in Syrien ausgebildet worden zu sein, Tote und Verletzte vom Schlachtfeld geborgen und Kämpfer für den IS geworben zu haben.

Vor einigen Tagen tauchte ein aktuelles Werbe-Video des IS auf. Darin zu sehen ist u. a. Abdul Majid, bzw. Mephew B., wie der Deutsch-Engländer mit bürgerlichem Namen heißt. Dieser kommt aus Hamburg, war den Behörden lange bekannt, u. a. als Aktivist der Koran-Verteil-Aktion „Lies“ in der Hamburger Innenstadt. Anfang 2014 soll er mit 20 anderen zum IS aufgebrochen sein. Zwei seiner damaligen Gefährten, Gülkan C. und Ibrahim C., haben dieses Abenteuer nicht überlebt. Der NDR-Reporter Karaman Yavuz berichtete schon öfter über die aus Hamburg ausgereisten Gotteskrieger. Er erkannte auch Mephew B. auf dem Video. Für seine Berichterstattung wurde Yavuz wiederholt körperlich angegriffen. Seinem aktuellen Bericht zufolge sind 65 junge Männer aus Hamburg in den Dschihad gezogen, 17 von ihnen überlebten nicht. Das ergab auch eine Kleine Schriftliche Anfrage der Vorsitzenden der Fraktion „Die Linke“ in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir.

In dem Bericht von Yavuz wird zudem deutlich, dass die Radikalisierung der Jugendlichen – zumindest in Hamburg – auch in verschiedenen Moscheen erfolgt. Islamische Organisationen bestreiten diesen Fakt gerne. Und auch die zuständigen Behörden gehen von einem sehr gut funktionierenden Internet-Netzwerk aus, durch das die jugendlichen Gotteskrieger akquiriert werden. Konkret sind es zwei Moscheen, die als Salafisten-Anlaufstelle gelten: Die Taqwa-Moschee und die Masjid-El-Imam-Moschee in Harburg. Torsten Voß, Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (VS), spricht von 240 Salafisten in Hamburg. Die beiden genannten Moscheen gehören dem Rat der islamischen Gemeinden (Schura) an.

Die Schura HH hat drei oberste Repräsentanten, von denen zwei mehr als fragwürdige Gestalten sind: Einer davon ist direkt von den iranischen Mullahs ernannt, die nicht eben als Garanten für Frieden und Fortschritt gelten. Linken Iranern zufolge gilt die Moschee als direkt dem iranischen Geheimdienst unterstellt. Ein zweiter oberster Repräsentant, Mustafa Yoldas, ist seinem eigenen Bekunden nach aktives Mitglied der IGMG. Die IGMG – Milli Görüs = nationale Sicht oder nationale Weltsicht – ist die Nachfolgeorganisation der 1976 in Köln als Ableger der türkischen Jugendorganisation „Blitzkrieger“ gegründeten Vereinigung der Nationalen Weltsicht in Europa (AMGT). Die IGMG gilt als Auslandsorganisation der rechten Refah-Partei (RP) von Necmettin Erbakan und wird von einem seiner Neffen geleitet. Sie tritt ein für einen islamischen Staat mit Scharia als Rechtsgrundlage und gilt als ausgesprochen antisemitisch.

Die Centrum-Moschee, die Yoldas in die Schura entsandte, wird als IGMG-Zentrale der Hansestadt bezeichnet. Dort wurden laut Verfassungsschutz und Hamburger Medien Kinder-DVDs mit extrem antisemitischem Inhalt verkauft. Yoldas fand das im Hamburger Abendblatt „nicht in Ordnung“, hält es dem Springer-Blatt zufolge jedoch für wichtig, „bereits den Kindern zu zeigen, wie israelische Soldaten Zivilisten, Frauen und Kinder ermorden“. Von den insgesamt 41 Schura-Mitgliedsorganisationen stünden „nur neun“ der Milli Görüs nahe, so Yoldas. Es gibt Bilder, auf denen Yoldas zu sehen ist, wie er auf einer Veranstaltung „Ungläubigen“ gegenüber handgreiflich wird. Dieser „Ungläubige“ ist ein aktiver linker Iraner. Von der Schura heißt es, sie gehe davon aus, dass die Scharia mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Der liberalen Hamburger Öffentlichkeit gegenüber tritt die Schura in Gestalt von Norbert Müller auf, einem konvertierten Anwalt, der im Beirat der Organisation für Rechtsfragen zuständig ist, und der einiges linke Vokabular beherrscht, das ihn bei oberflächtlicher Betrachtung als Antifaschisten durchgehen läßt.

Diese Schura nun, mit der die Stadt im Herbst 2014 einen Staatsvertrag schloss, hat nun dazu noch das Problem, zwei Moscheen zu ihren Mitgliedern zu zählen, in denen u. a. Jugendliche wie Mephew B. radikalisiert werden, die dann in den Dschihad ziehen. Ausgerechnet Mustafa Yoldas versprach, sich um eine Lösung des Problems zu kümmern.

„Sollte es in der Gemeinde tatsächlich Salafisten geben, werde die Schura ihr helfen, sie wieder loszuwerden“, versprach Yoldas laut Hamburger Morgenpost. „Falls das nicht fruchten sollte, kommt als letzter Schritt der Ausschluss der Gemeinde aus der Schura in Betracht.“

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"Allein 65 „Gotteskrieger“ aus Hamburg", UZ vom 18. Dezember 2015



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