Das bewegte Leben der Louise Michel

Alle oder keiner

„Und ich muss sagen, es war schön. Meine Augen dienen mir wie mein Herz und mein Ohr, das den Kanonendonner liebt. Ja, barbarisch wie ich bin, liebe ich den Geruch des Pulvers, Geschosse in der Luft, aber vor allem liebe ich die Revolution!“ Mit ihrer Verteidigungsrede vor Gericht machte Louise Michel klar, dass es nichts zu bereuen gab.

Lag hinter ihnen doch die Kirschenzeit, der erste Versuch, eine Gesellschaft zu erschaffen, in der der Mensch dem Mensch kein Wolf ist. Sie hatten das Recht auf Arbeit und auf gleichen Lohn Wirklichkeit werden lassen, die nichtehelichen Kinder gleichgestellt und die bigotte Kirche vertrieben aus Schulen und Krankenhäusern. Sie hatten für ganze 72 Tage eine Gesellschaft aufgebaut, die nicht nur Brot verteilt, sondern Würde gegeben hatte. Sie hatten die Pariser Kommune geschaffen.

Louise Michel ist die Symbolfigur der Pariser Kommune, in der Frauen das erste Mal selbstbewusst ihren Platz in der Geschichte einnahmen. Denn, so wusste Michel: „Wenn die Stunde kommt und die Männer zögern, dann werden es die Frauen sein, die in der ersten Reihe marschieren.“ Die Barrikade der Pariser Kommune, die allein von Frauen verteidigt wurde, war die letzte, die fiel.

Wer mehr über die Geschichte und das Leben der Protagonistin der Pariser Kommune erfahren möchte, dem sei Florence Hervés Buch „Louise Michel oder: Die Liebe zur Revolution“ ans Herz gelegt. Hervé beschreibt dort nicht nur die Lebensgeschichte und die Rolle und Bedeutung der 1830 geborenen Michel, sondern sammelt aussagekräftige Auszüge aus Reden und Schriften der Kommunardin. Zudem zeigt Hervé die Künstlerin Louise Michel und ihre Gedichte und sammelt von Victor Hugo über Alfred Kerr bis Clara Zetkin Texte, die an sie erinnern.

Dabei zeichnet Hervé das Bild einer unbeugsamen Frau, die selbst dem politischen Gegner zumindest einen Hauch an Respekt abtrotzte, so prinzipienfest blieb sie. Vor Gericht bat sie darum, die Todesstrafe zu erhalten, „da jedes Herz, das für die Freiheit schlägt, allem Anschein nach nur das Recht auf ein Stückchen Blei hat, fordere ich meinen Teil für mich!“

Sie wurde nicht zum Tode verurteilt, sondern lebenslang nach Neukaledonien verbannt. Nach vier Monaten auf See, die Louise und die anderen verurteilten Kommunardinnen in einen Käfig gesperrt verbringen müssen, beginnt Louise Michel damit, zu unterrichten und ein Wörterbuch der Sprache der Ureinwohner zu erstellen. Als die Kanaken 1878 einen Aufstand gegen die Kolonialherren beginnen, unterstützt Michel sie. Doch die Revolte wird blutig niedergeschlagen.
Als einige der Deportierten begnadigt werden, erhält auch Michel dieses Angebot. Sie lehnt ab, entweder werden alle amnestiert oder sie bleibt. Am 16. Oktober 1879 wird sie dennoch begnadigt, bleibt aber in Neukaledonien, bis tatsächlich alle deportierten Kommunarden Amnestie erhalten. Erst 1880 macht sie sich auf den Heimweg.

„Ich kam aus der Deportation zurück, den Prinzipien treu geblieben, für welche ich sterben werde.“ Die Revolutionärin nennt sich nun Anarchistin, bleibt aber, wie Hervé ausführt, der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Anarchismus fern. Clara Zetkin wird über Louise Michel schreiben: „Sie ist nicht Sozialistin in Folge einer Reihe von logischen Schlüssen, die sich Ring an Ring zur unzerreißbaren Kette schmieden, sie ist Revolutionärin aus Gefühl, Sozialistin aus Instinkt.“ In diesem Sinne macht sich Michel in Frankreich und England stark für die Frauenrechte, unterstützt Streiks, begrüßt die Revolution in Russland von 1904. Sie beschäftigt sich weiter mit der Pariser Kommune und ihrem Fall, kritisiert, dass „die Kommunarden mit den sanften Herzen“ nicht nach Versailles marschiert sind, die dorthin geflüchtete Thiers-Regierung direkt anzugreifen. Unermüdlich hält Louise Michel Reden und Vorträge und reist unter anderem nach Algerien. Ihre letzte Vortragsreise in den Süden Frankreichs überlebt sie nicht. Sie zieht sich eine Lungenentzündung zu und stirbt vor 120 Jahren, am 9. Januar 1905, in Marseille. Als sie am 22. Januar in Paris beigesetzt wird, folgen 100.000 Menschen ihrem Sarg. Auf ihrem Grabstein sind Zeilen aus einem ihrer Gedichte eingraviert: „Ein Hoch dem Erwachen des Volkes / Und jenen, die, als sie fielen / Der Zukunft die Tore weit öffneten.“

Florence Hervé
Louise Michel oder: Die Liebe zur Revolution
Dietz Berlin, 135 Seiten, 12 Euro
Erhältlich im UZ-Shop

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"Alle oder keiner", UZ vom 10. Januar 2025



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