Washington weiter kein Verdächtiger im Pipeline-Terror – unabhängige internationale Untersuchung verhindert

Alle, nur nicht Biden

Seit den – auf Informationen anonymer Quellen basierenden – Enthüllungen des US-Investigativreporters Seymour Hersh über die Verantwortung von US-Präsident Joseph Biden für den Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipelines und über die Unterstützung durch Kanzler Olaf Scholz bei der Vertuschung einer US-amerikanischen Täterschaft laufen die Nebelmaschinen auf Hochtouren. Alle können es gewesen sein, nur nicht die USA, liest sich das Nachrichten-Setting zur Desorientierung: Über die Wochenzeitung „Die Zeit“ und die „ARD“ wurde zunächst unter Berufung auf anonym gehaltene Ermittlerkreise die krude Story lanciert, wonach eine angebliche pro-ukrainische Kleingruppe – nicht im staatlichen Auftrag Kiews agierend, aber wohl finanziert von einem ukrainischen Schokoladen-Oligarchen – mit gefälschten Pässen (mal ukrainischer, mal rumänischer Provenienz) ein Mietboot besorgt und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die in 80 Metern Ostseetiefe liegenden Gaspipelines in Eigenregie gesprengt hat. War bis dahin davon die Rede, dass es sich bei dem Terroranschlag am 26. September 2022 um eine hochkomplexe Operation handele, zu der nur wenige staatliche Akteure in der Lage seien, soll man jetzt glauben, die hunderte Kilo schweren Bomben hätte auch eine 80-jährige Oma nach kurzer Ausbildung am Meeresgrund anbringen können – solches Seemannsgarn lässt „Die Zeit“ auf einer ganzen Zeitungsseite lang und breit von einem Tauchlehrer spinnen.

Das Onlineportal „t-online“ zündete zwischenzeitlich eine weitere Nebelkerze, wonach Russland „zum Hauptverdächtigen der Anschläge auf die Gaspipelines in der Ostsee“ werde. „Informationen aus Sicherheitskreisen und öffentlich einsehbare Daten ergeben ein plausibles Szenario. Russische Militärschiffe haben wenige Tage vor den Anschlägen auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 mutmaßlich an den Tatorten operiert. Darauf lassen Recherchen von t-online schließen, die auf Informationen aus Sicherheitskreisen und öffentlich einsehbaren Daten beruhen.“ Politisch passend wurde von dem Dienstleister am 1. April noch einmal das eigene Mantra bekräftigt: „Neue Enthüllungen führen nach Russland.“ Dass das im Widerspruch zu den bisherigen Aussagen des ermittelnden Generalbundesanwalts steht, wonach es ausdrücklich keine Beweise für eine russische Täterschaft gibt, die unmittelbar nach den Terroranschlägen von Medien und Politikern im Westen unterstellt worden ist, wird bei „t-online“ einfach unterschlagen.

Dazu passt der politische Stehsatz am Ende aktueller Agenturmeldungen zur Nord-Stream-Sprengung, wie etwa bei „AFP“: „Als Drahtzieher der mutmaßlichen Sabotage wurde unter anderem Russland verdächtigt. Laut Medienberichten führten bei den Ermittlungen zu den Explosionen jedoch auch Spuren in die Ukraine.“ Politisch unliebsame Rechercheergebnisse über eine US-Täterschaft in Kooperation mit dem NATO-Partner Norwegen existieren demnach einfach nicht.

Vergeblich fordert Russland die Einrichtung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Anschläge auf die europäische Energie-Infrastruktur. Bei einer Abstimmung darüber im UN-Sicherheitsrat stimmten China und Brasilien mit Russland, die anderen zwölf der 15 Mitglieder enthielten sich, da­runter die NATO-Mitglieder Britannien, Frankreich und die USA – die zwingend zum Kreis der möglichen Täter gezählt werden müssen. Der Beschluss hätte UN-Generalsekretär António Guterres aufgefordert, eine unabhängige internationale Untersuchung einzuleiten. Für eine Annahme hätte es mindestens neun „Ja“-Stimmen gebraucht, ohne Veto eines der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder.

Die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen gab angesichts der Blockadehaltung im Westen bezüglich einer gemeinsamen internationalen Aufklärung zu bedenken: „Eine umfassende, transparente und unparteiische Untersuchung der Terroranschläge vom 26. September 2022 sollte allen voran im Interesse derjenigen sein, denen ungerechtfertigt eine Tatbeteiligung zur Last gelegt wird. Mit dem anhaltenden Ausschluss Russlands von den Ermittlungen, dessen Energiekonzern Gazprom die zerstörten Ostsee-Pipelines mehrheitlich gehören, werden international Zweifel an der Objektivität der bisherigen Arbeit von Deutschland, Dänemark und Schweden genährt.“

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"Alle, nur nicht Biden", UZ vom 7. April 2023



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