Heute wie vor 100 Jahren: Nur die Revolution kann dauerhaften Frieden schaffen

Alle Macht der Friedensbewegung

Von Olaf Matthes

Bunte Tücher, Menschenketten, Gitarrenlieder: so stellen wir uns eine Friedensbewegung vor. Der 9. November ist der richtige Anlass, um uns zu erinnern: Die Arbeiter, die heute vor 100 Jahren mit roten Fahnen durch Berlin zogen und Polizisten entwaffneten, Kasernen stürmten und das Rathaus besetzten – sie bildeten eine Bewegung für den Frieden. Die Frauen, die Munition für den Aufstand beschafften, die Soldaten, die Offiziere gefangen nahmen und ihnen die Schulterstücke abrissen, waren Teil der Friedensbewegung. Die Novemberrevolution war einer der größten Erfolge, den bis heute eine Bewegung für den Frieden in Deutschland erreicht hat – und eine ihrer blutigsten Niederlagen.

Der Frieden ist eine Frage der Macht. 1914 konnten des Kaisers Generäle beginnen, 13 Millionen Soldaten für ihre Eroberungspläne an die Fronten zu schicken – weil die Konzerne sich davon Vorteile im Wettbewerb versprachen und weil die rechten SPD-Führer die nötige Unterstützung organisierten. Heute können vom Parlament beauftragte Generäle 10 000 deutsche Soldaten nach Norwegen schicken, um den Krieg gegen Russland zu üben. Als die russischen Arbeiter und Bauern 1917 mit ihren eigenen Organisationen, den Sowjets, alle Macht an sich genommen hatten, konnte die neue Regierung als erstes Gesetz das „Dekret über den Frieden“ verabschieden. Dass die deutschen Arbeiter und Soldaten dem russischen Vorbild folgten, zwang die Reichsregierung zum Waffenstillstand. Für einen kurzen Moment nahmen die Arbeiter und Soldaten mit ihren eigenen Räten die Macht an sich. Mit ihrem Aufstand nahmen sie dem alten Regime sein wichtigstes Machtinstrument, die Armee. Dass den Räten die Macht entrissen wurde, war die Voraussetzung, dass keine 21 Jahre später Hitlers Generäle zum Zweiten Weltkrieg aufmarschieren lassen konnten.

Schon während des Ersten Weltkrieges hatte konsequenter Kampf für den Frieden bedeutet: In allen imperialistischen Ländern für die Niederlage der eigenen Regierung eintreten, „Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“ gegen die eigene Regierung – so formulierte es Lenin. „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ – so schrieb es Karl Liebknecht in seinem berühmten Flugblatt von 1915.

Die Friedensbewegung von 1918 war eine breite Bewegung, in der unterschiedliche Kräfte mit unterschiedlichen Auffassungen mehr oder weniger eng zusammenarbeiteten. In einer solchen Zusammenarbeit kann über viele Jahre gegenseitiges Vertrauen und inhaltliche Übereinstimmung wachsen, das zeigen die Erfahrungen der Friedensbewegung. Aber manchmal spitzen sich die Widersprüche der Gesellschaft so zu, dass jede einzelne politische Kraft gezwungen ist, sofort eine klare Haltung einzunehmen – so war es im November 1918, als die Oberste Heeresleitung zwei Millionen Soldaten in den Tod geschickt und den Krieg verloren hatte, als die Menschen hungerten und die Masse von ihnen begann, selbst nach einem Ausweg zu suchen. In der Revolution blieb kein Raum für ein Nebeneinander verschiedener Meinungen, nur die Frage: Welche Richtung kann die Führung übernehmen?

Darum ging es dem rechten SPD-Mann Philipp Scheidemann, damals Mitglied der Reichsregierung, als er schon drei Tage vor dem Aufstand in Berlin, am 6. November, sagte: „Jetzt heißt es sich an die Spitze der Bewegung zu stellen.“ Friedrich Ebert ließ sich am 9. November zum Reichskanzler ernennen und forderte noch am selben Tag in einem Aufruf: „Sorgt für Ruhe und Ordnung!“ Die SPD-Führer standen an der Spitze und sorgten für Ruhe: Der größte Teil der Arbeiter und Soldaten glaubte ihren Versprechen, dass sie auf ordentliche Art und Weise den Militarismus zerschlagen und die Industrie „sozialisieren“ würden. Um die Bewegung ruhigzustellen, machten sie Zugeständnisse: Wahlrecht, Acht-Stunden-Tag, Mitbestimmung. Und sie ließen die alten Kräfte aufmarschieren, um auf die zu schießen, die der Bewegung eine andere Richtung geben wollten. „Ich bin dem Herrn Ebert dafür besonders dankbar“, lobte ihn ein paar Jahre später der General Wilhelm Groener, der mit Ebert gemeinsam die Niederschlagung der Revolutionäre geplant hatte. Groener hat auf den Punkt gebracht, dass es in der Revolution darum ging, welche Partei an der Spitze steht, welche Richtung die Führung hat: Es habe 1918 keine andere Partei als die SPD gegeben, „die Einfluss genug im Volk, insbesondere bei den Massen, hat, um eine Regierungsgewalt mit der Obersten Heeresleitung wiederherstellen zu können“.

Eine Partei, die die Bewegung für den Frieden zu einer erfolgreichen Revolution hätte führen können, gab es nicht. Den konsequenten Revolutionären um die Spartakusgruppe blieb nichts anderes, als gegen die rechte Mehrheit in den Räten anzureden, die Kräfte zu sammeln, im Aufstand den rechten Truppen entgegenzutreten und schließlich ihre Toten, darunter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu begraben. Erst fast zwei Monate nach dem 9. November bildeten sie ihre Partei, die KPD. Am 31. Dezember, zwei Wochen, bevor die reaktionären Mörder ihre Leiche in den Landwehrkanal warfen, referierte Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD zum Programmentwurf: „Wir werden zusammen mit dem Sozialismus und den Interessen der Revolution auch die Interessen des Weltfriedens zu verteidigen haben. Es gibt keinen anderen Weg, den Frieden wirklich herzustellen und zu sichern, als den Sieg des sozialistischen Proletariats.“

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"Alle Macht der Friedensbewegung", UZ vom 9. November 2018



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