Am vergangenen Donnerstag besetzte eine Gruppe von ca. 40 Personen die Hauptkirche St. Michaelis, den ehrwürdigen Hamburger Michel. Bei den anfangs ungebetenen, inzwischen aber tolerierten Gästen der Kirchengemeinde handelt es sich um Roma-Familien aus Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, denen die Abschiebung droht. Ziel der Aktion ist es, eine simple Forderung durchzusetzen: Alle bleiben hier!
Doch wie so oft ist auch hier das Einfache schwer zu machen. In der Asylgesetzgebung gibt es einige Ausschlusskriterien. Dazu gehört u. a. das so genannte „sichere Herkunftsland“. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sind solche „sicheren Herkunftsländer“. Jedenfalls beschloss das der Bundestag am 3. Juli 2014. Und der Kosovo soll im Rahmen der Verschärfung des Asylrechts zur Lösung der „Flüchtlingskrise“ zum sicheren Herkunftsland erklärt werden. Entsprechend handelt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (BAMF). Die Roma indes haben leidvoll erfahren müssen, dass sie dort alles andere als sicher sind. Doch die Entscheidung darüber treffen nicht sie, sondern die Beschäftigten des BAMF. Deshalb haben die Roma quasi keine Chance, hier als asylberechtigt anerkannt zu werden.
Die Gruppe im Hamburger Michel besteht überwiegend aus Kindern und Jugendlichen von 6 Monaten bis 16 Jahren. Sie alle erwartet in den angeblich „sicheren“ Herkunftsländern ein Leben ohne jegliche Zukunftsperspektive in irgendeinem Slum.
Die Diakonie Deutschland spricht im Zusammenhang mit Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien von „existenzbedrohender Diskriminierung“ der Roma. Diese beginne damit, dass Roma oftmals nicht über Geburtsurkunden verfügen und sich auch daher nicht als Staatsbürger registrieren lassen können. „Sie sind vom Arbeitsmarkt, von medizinischen Leistungen wie auch von Bildung nahezu ausgeschlossen.“ Ihre Lebenserwartung sei deutlich geringer als die der Mehrheitsbevölkerung. Sie lebten zumeist in Slums, die eher an die ärmsten Länder der Welt als an Europa erinnern. „Dort herrscht Hunger und Verelendung. Hinzu kommen rassistische Übergriffe. Roma werden oftmals weder davor geschützt noch werden diese Übergriffe aufgeklärt.“ Die Diskriminierung sei allerdings häufig nicht nachweisbar, denn niemand könne eine Bescheinigung vorlegen, dass er z. B. medizinisch nicht behandelt wurde, weil er Roma sei.
Amnesty International (ai) kommt im Hinblick auf den Kosovo als „sicheres Herkunftsland“ zu der Überzeugung, dass die Diskriminierung von Roma dort so schwerwiegend sei, dass für sie ein Leben in Sicherheit und Würde dauerhaft nicht möglich sei. Roma seien in den Bereichen Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung, Wohnen und bei der Registrierung benachteiligt sowie bei der Reintegration nach der Rückkehr aus dem Ausland.
„Wir können nicht zurück“, teilte die Gruppe „Bundesweites Roma-Netzwerk ‚Alle bleiben!’“ in einer Presseerklärung mit. „Wir haben eine Woche lang vor der Ausländerbehörde protestiert und eine Demonstration mit 500 Leuten organisiert. Die Besetzung der Kirche sehen wir als letztes Mittel, endlich Schutz zu finden vor der Abschiebung in den Balkan.“
Bis Samstag war nicht sicher, wie die Kirchen-Gemeinde auf die Besetzung reagieren würde. Inzwischen gibt es eine Übereinkunft, die den Kirchenbetrieb ermöglicht, den Roma aber trotzdem ausreichend Raum lässt, z. B. um Interessierte oder auch die Presse zu empfangen. Das Gemeindehaus bietet Rückzugsmöglichkeiten vorwiegend für die Frauen und Kinder – und vor allem Sicherheit. Hauptpastor Alexander Röder hat sich erboten, Verhandlungen mit der Ausländerbehörde zu führen.
„Wir fühlen uns hier sicher“, betonte ein Sprecher gegenüber der UZ. „Und wir sind sehr dankbar, dass der Pastor sich um die Behörden kümmert.“
Aus Respekt vor den Gläubigen sei die Gruppe zu Kompromissen bereit gewesen. „Aber wir werden so lange bleiben, bis wir ein Bleiberecht bekommen.“
„Nach der Gedenkveranstaltung für unsere ermordeten Roma in Neuengamme ist klar, dass Deutschland nicht so tun darf, als seien wir ein Problem, dass es loswerden muss“, heißt es auf der Webseite des Roma-Netzwerkes www.alle-bleiben.info/der-michel-ist-besetzt/.
Ein Bleiberecht für alle Roma aufgrund der deutschen Geschichte fordert z. B. das Auschwitz-Komitee in der BRD e. V. seit vielen Jahren. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass dessen Vorsitzende Esther Bejarano die Gruppe unterstützt, wie auch die Bundesvorsitzende der VVN-BdA, Cornelia Kerth, der Völkerrechtler Norman Paech, der Flüchtlingsrat Hamburg sowie das Hamburger Bündnis „Recht auf Stadt – never mind the papers!“