Nach einem Jahr im Amt reißt der Presserummel um AfD-Landrat nicht ab

Alle Augen auf Sonneberg

Was wäre das für eine Schlagzeile. Die Bundesrepublik Deutschland würde beben, und das muss unser Ziel sein.“ So klang es im Mai des vergangenen Jahres, als der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke das Ziel ausgab, einen AfD-Landrat ins Amt zu hieven. Die Medienwelt sollte ihn nicht enttäuschen.

Am 25. Juni 2023 gewann Robert Sesselmann die Wahl um das Landrats-amt im Kreis Sonneberg. Es gab kein Entrinnen: Sesselmanns Foto prangte auf den Zeitungen, Experten wurden interviewt, Eilmeldungen durchs Internet gejagt. Der Sturm der Entrüstung richtete sich nicht nur gegen Sesselmann und seine reaktionäre, rassistische und für Faschisten offene Partei, sondern auch gegen die Wählerinnen und Wähler. „Würden Sie jemanden wählen, der über Sie im Lokalwahlkampf sagt, dass Ihnen die Themen der Region egal sind? Viele Menschen in Sonneberg haben das gemacht“, fasste etwa das Magazin „Focus“ zusammen.

Tatsächlich hatte Sesselmann auf bundespolitische Fragen gesetzt. Neben AfD-Dauerbrennern wie „Grenzen schließen“ hatte er auch mit der Parole „Friedensverhandlungen mit Russland“ geworben. Lokale Themen würden die Menschen nicht interessieren, begründete er diese Strategie: „Die Leute, die Sie auf der Straße treffen, die interessiert: Wie geht’s denn jetzt weiter mit den Russland-Sanktionen?“ Die Kriegspolitik des bürgerlichen Blocks sowie der Totalausfall der „Linken“, die zusammen mit den Grünen eine Gegenkandidatin aufgestellt hatten, ermöglichten es der Aufrüstungspartei AfD, sich in der Friedensfrage zu profilieren. Die Friedensrhetorik war dabei ebenso verlogen wie die mediale Empörung über den Mangel an „lokalen Themen“. Denn der Kreis Sonneberg war schon vor Sesselmanns Wahl auf dem Weg in die Haushaltssicherung. Objektiv wurde ein Niedergangsverwalter gewählt. Wie groß sollte da schon das Interesse an Kommunalwahlprogrammen sein?

Nach seiner Wahl kündigte Sesselmann Sparmaßnahmen und Stellenstreichungen an, erhöhte die Kreisumlage, die die Gemeinden an den Landkreis zahlen müssen. Eine Grundschule wurde geschlossen und die Bezahlkarte für Geflüchtete eingeführt. Museen, Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen wurden zur Disposition gestellt. Aufreger waren das alles nicht, denn diese Art rechter Politik ist bürgerliche Normalität. Erst als der Landrat die Beteiligung am Bundesprogramm „Demokratie leben“ beenden wollte, kam Unruhe auf. Sesselmann zog die Idee zurück. Dass der Kreis unter seiner Führung endgültig in der Haushaltskonsolidierung gelandet ist und die Krankenhäuser vor Ort in die Insolvenz rutschten, ist ebenfalls kein Alleinstellungsmerkmal. Opposition gegen den Kriegskurs hätte an dieser Stelle übrigens bedeutet, sich dem Spardiktat zu widersetzen und Geld für den Kreis statt für Waffen zu fordern. Doch von Widerstand war keine Spur, weder von noch gegen Sesselmann. Der Kreishaushalt wurde einstimmig im Kreistag beschlossen – so viel zur Unterscheidbarkeit bei den „lokalen Themen“. Beim Niedergang der Kliniken kritisierte der Kreistagsabgeordnete Christian Tanzmeier (CDU) gegenüber dem MDR nicht das Ob, sondern das Wie: „Landrat Sesselmann hat hier natürlich keine Schuld, aber ich hätte mir von Sesselmann so einen Merkel/Steinmeier-Auftritt wie zur Finanzkrise 2009 gewünscht.“

Ein Jahr nach der Wahl häuften sich nun die Rückblicke, die Sesselmanns Politik mit seinen Wahlversprechen verglichen. „Schlecht auch seine Erfolgsbilanz beim Thema Flüchtlinge – ein Kernthema seines Wahlkampfes. Sesselmann forderte damals die sofortige Abschiebung ‚krimineller und abgelehnter Asylbewerber‘“, resümierte beispielsweise „Focus“. Im Ergebnis seien die Zahlen von Ukrainern und Asylbewerbern im Kreis jedoch gestiegen – von 74 auf 134. Ist Sesselmann nun zu rechts, oder nicht rechts genug? Eine schwierige Frage für den bürgerlichen Mainstream.

Kein anderer Landrat in Deutschland hat eine so hohe öffentliche Präsenz. Wenn es sonst nichts Neues gibt, wird auf den Boulevard zurückgegriffen, um den rechten Landrat im Rampenlicht zu halten. Der MDR recherchierte schon im vergangenen Jahr, dass Robert Sesselmann keineswegs mit dem ehemaligen DDR-Oberligaspieler Reiner Sesselmann verwandt sei. Die „Bild“-Zeitung berichtete unter der Überschrift „AfD-Landrat liebt Nazi-Braut“ über Sesselmanns wenig überraschende Beziehung mit einer langjährigen Neonazi-Aktivistin.

Nur selten dringen bedenkenswerte Töne durch den Presserummel. Einen solchen Ausnahmefall schuf die „Frankfurter Rundschau“ mit einem Besuch in Sonneberg. Sie ließ eine pensionierte Lehrerin zu Wort kommen, die ehemals Mitglied der Grünen war: „Wenn es Frieden gäbe, dann gäbe es den Rechtsruck nicht. Das ist die Folge der Kriegstreiberei.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Alle Augen auf Sonneberg", UZ vom 5. Juli 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit