Bundesregierung will 35.000 Soldaten für NATO-Eingreiftruppe zur Verfügung stellen

„All in“ im Rüstungspoker

Mit viel Tamtam ging vorige Woche die Meldung durch die Medien, Deutschland stelle 35.000 Soldatinnen und Soldaten – zusammengesetzt vor allem aus der Division 2025 in Verbindung mit einer Brigade in Litauen – für das neue NATO-Streitkräftemodell. Der Neuigkeitswert dieser Nachricht ist allerdings begrenzt, schließlich ließen sich diese Angaben bereits im Sommer auf der Seite des Verteidigungsministeriums nachlesen. Neu ist lediglich, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit dem Pokerbegriff, die Bundeswehr gehe damit „all in“, signalisierte, wie ehrgeizig diese Zusagen sind.

Konkret sieht das im Juni 2022 beim NATO-Gipfel in Vilnius beschlossene „Neue Streitkräftemodell“ vor, die bisher aus 40.000 Soldatinnen und Soldaten bestehende Schnelle Eingreiftruppe ab dem Jahr 2025 durch ein dreistufiges System zu ersetzen: 100.000 Soldaten sollen innerhalb von nur zehn Tagen in Bewegung gesetzt werden können; bis Tag 30 will die NATO dann in der Lage sein, bis zu 200.000 weitere Truppen hinterherzuschicken; und bis Tag 180 sollen noch einmal 500.000 Truppen mobilisiert werden können. Für die ersten beiden Bereitschaftsstufen will die Bundeswehr die besagten 35.000 Soldaten zur Verfügung stellen. Den Löwenanteil des deutschen Beitrags wird die Division 2025 stellen, ein Großverband mit 15.000 bis 20.000 Soldatinnen und Soldaten (2027 soll eine zweite und bis 2030 eine dritte Division folgen). Wie auf der Bundeswehr-Internetseite nachgelesen werden kann, muss das Heer dafür grundlegend umgebaut werden: „Insgesamt werden etwa 120 von 130 Strukturelementen des Feldheeres von den Veränderungen in unterschiedlicher Intensität betroffen sein. (…) Damit werden wichtige Grundlagen für das Heer gelegt, um wieder kaltstartfähig, kriegstauglich und damit siegfähig zu werden.“

Die zweite zentrale Komponente des deutschen NATO-Beitrags stellt die Litauen-Brigade dar: Bislang hatte die Bundeswehr „lediglich“ die Führungsrolle über ein Litauen-Bataillon (circa 1.000 bis 1.500 Soldaten) inne. Obwohl es sich auch hier schon um eine Dauerpräsenz handelte, hatten die einzelnen Soldaten mit neun Monaten eine relativ kurze Verweildauer. Ende Juni 2023 kündigte Pistorius aber überraschend an, die deutsche Präsenz werde auf Brigadegröße (circa 4.000 Soldaten) aufgestockt und die deutschen Soldatinnen und Soldaten nun über den Zeitraum mehrerer Jahre stationiert. Damit ändert sich der Charakter der deutschen Auslandspräsenz grundlegend. Schließlich geht es hier eben nicht nur um die Truppen an sich, sondern auch um deren Angehörige sowie die gesamte Infrastruktur, die neben Kasernen und Materialdepots auch Einkaufszentren, Wohnungen, Kindergärten, Schulen und dergleichen mitsamt entsprechendem Personal umfasst. Um einen Eindruck zu erhalten, um welche Dimensionen es sich hier handelt: Inzwischen soll das Finanzministerium erste Berechnungen angestellt haben, denen zufolge 1.600 Kindergartenplätze und eine deutsche Schule für 3.000 Schülerinnen und Schüler erforderlich seien.

In gewisser Weise hat Pistorius also recht mit seiner Formulierung, die Bundeswehr gehe „all in“ – die Frage ist aber, ob er sich mit seinen großspurigen Zusagen nicht verzockt hat: So wird es der Division 2025 noch jahrelang an zentraler Ausrüstung fehlen – erst kürzlich wurde gemeldet, dass sich der Einbau neu bestellter Funkgeräte, die für die Kommunikation mit den Verbündeten von zentraler Bedeutung sind, bis 2027 hinziehen werde. Woher das Personal besonders für die späteren Großverbände kommen soll, kann auch niemand so richtig beantworten. Vor demselben Problem steht auch die Litauen-Brigade, wo das Verteidigungsministerium zunächst auf Freiwilligkeit setzte. Allerdings scheint sich die Begeisterung für eine derartige Auslandsstationierung in engen Grenzen zu halten, denn bei seinem jüngsten Auftritt deutete Pistorius recht unverblümt an, dass mit der Freiwilligkeit ganz schnell Schluss sein könnte, sollten sich nicht genug Soldatinnen und Soldaten melden.

Allen Widrigkeiten zum Trotz hat die Umsetzung dieser Pläne für Pistorius allerhöchste Priorität, schließlich sind sie für ihn „das Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“, mit dem Deutschland „echte und sehr konkrete Führung in Europa und in der NATO“ zeige.

Unser Autor ist Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.

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"„All in“ im Rüstungspoker", UZ vom 20. Oktober 2023



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