Der bundesweite Aufruf für die Aktionen am 20. September enthielt ein starkes Wort: „Klimastreik“. Erläuternd wurde darin ausgeführt, dass nun, nachdem seit Monaten weltweit Kinder und Jugendliche jeden Freitag für ihre Zukunft „gestreikt“ hätten, „Fridays for Future“ (FFF) auch uns Erwachsene aufrufe: „Lasst uns gemeinsam auf die Straße gehen – alle zusammen für das Klima!“
Die Resonanz war überwältigend. Über 100000 folgten in Berlin dem Aufruf, 30000 waren es in Hannover und anderen großen Städten, jeweils tausende in kleineren Städten von Flensburg bis zum Alpenrand. Viele Erwachsene waren darunter. Aus den Betrieben gab es allerdings keine Delegationen, abgesehen von pädagogischen Einrichtungen. Industriebetriebe oder Banken und Versicherungen jedenfalls standen an diesem Tag nicht still – auch nicht für einige Stunden.
Die Haltung der Führungen der großen deutschen Gewerkschaften zum „Klimastreik“ war eher zögerlich. ver.di rief auf, „sich am 20. September – außerhalb der Arbeitszeit – an den Aktionen der FFF zu beteiligen“ und war damit noch am klarsten.
Das „manager magazin“ druckte diesen Aufruf nicht, meldete aber zwei Tage vor dem 20. September erfreut und unter der verallgemeinernden Überschrift: „Gewerkschaft gehen Forderungen von FFF zu weit“, dass der IG BCE die Forderungen der Klimabewegung zu weit gingen. „Noch in diesem Jahr ein Viertel der Kohlekraft abzuschalten, würde nicht nur tausende Menschen von heute auf morgen um ihren Job bringen, es würde auch die Sicherheit unserer Stromversorgung gefährden“, zitiert das Blatt wohlwollend den Vorsitzenden Michael Vassiliadis.
Weltkind in der Mitten war diesmal die IG Metall, die betont, im Ziel seien sich die Industriegewerkschaft und FFF zwar einig, aber über die jetzt notwendigen Schritte gäbe es „durchaus unterschiedliche Sichtweisen zwischen Gewerkschaften und Fridays for Future.“ Die IGM begrüße es, „wenn ihre Mitglieder sich im Rahmen der arbeitsrechtlichen Spielräume am Klimaaktionstag am 20. September beteiligen und Flagge zeigen“ – also Aktions- statt Streiktag.
Der Kampf um die Frage des politischen Streiks ist so alt wie die Gewerkschaftsbewegung selbst. Rosa Luxemburg kämpfte genauso glühend wie letztlich erfolglos dafür, dass die sozialdemokratisch geprägte deutsche Gewerkschaftsbewegung das Mittel des politischen Massenstreiks – gegen alle Widerstände des bürgerlichen Staatsapparates – in ihre Waffenkammer aufnähme. Erst nach ihrem Tod, während des Kapp-Putsches 1920 zeigte er seine Schärfe: Nur durch den politischen Generalstreik – jenseits aller Tarifforderungen – gelang das Niederschlagen dieses ersten Versuchs, die Weimarer Republik von rechts zu stürzen. In der Bundesrepublik Deutschland aber und seit der Konterrevolution von 1989 auch in ganz Deutschland haben die Gewerkschaften überwiegend mit der Beschränkung des Mittels des Streiks auf Tarifauseinandersetzungen ihren inneren Frieden gemacht.
Bleiben kann und wird das nicht so. Wenn die Klimaveränderungen auch nur halb so gravierend sind, wie von den Wissenschaftlern, auf die sich die FFF-Bewegung beruft, prognostiziert, wird sich innerhalb weniger Jahre die Einsicht verbreiten, dass eine wirkliche Klimawende ohne demokratische Planung der Produktion nicht zu haben ist. Gesamtgesellschaftliche Planung der Produktion würde dafür sorgen, dass niemand um seinen Arbeitsplatz fürchten muss, um das Klima zu retten. Gegen den dafür erforderlichen Eingriff in die vermeintlich naturgegebenen Eigentumsrechte der Besitzer der Produktionsmittel werden diese sich mit aller Macht wehren. Diese Macht zu brechen wird wiederum ohne das Mittel des politischen Massenstreiks nicht zu erreichen sein. Die Verbreitung dieser Einsichten wird Zeit brauchen und Beharrlichkeit.
Vielleicht war es feinsinnige Klugheit, dass der Aufruf „Klimastreik am 20. September: auch an Deinem Ort“ keine Jahreszahl beinhaltete.