Die Einbeziehung Afghanistans in die Belt and Road Initiative (BRI) ist einerseits ein logischer, andererseits ein nicht völlig unproblematischer Schritt. Die Ausdehnung des gigantischen Infrastrukturprojekts auf das strategisch wichtige zentralasiatische Land wurde im Rahmen eines gemeinsamen Außenministertreffens Chinas, Pakistans und Afghanistans in Islamabad am 28. Mai beschlossen. Das nach dem spektakulär-desaströsen Abzug der US-Truppen von den Taliban regierte Land soll nun über den China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) an das BRI-Netz angeschlossen werden. Der rund 70 Milliarden US-Dollar teure CPEC ist einer der ersten und vorrangigsten BRI-Korridore, da er die Umgehung einer möglichen Malakka-Blockade und eine erhebliche Verkürzung des Transits (etwa 9.000 Kilometer) aus Richtung Europa, Afrika und den Golfstaaten in die Xinjiang-Provinz im Westen Chinas ermöglicht. Die Straße von Malakka ist eine Meerenge zwischen Malaysia und Sumatra, die im Konfliktfall sehr leicht durch US- oder US-hörige Kräfte für den chinesischen Schiffstransit – insbesondere die lebenswichtige Energieversorgung – blockiert werden könnte. BRI ist – auch – ein Konzept dafür, einer drohenden militärischen Blockade der Volksrepublik und ihrer Handels- und Versorgungslinien entgegenzuwirken.
Die Investition derartiger Summen in die Energie- und Verkehrsinfrastruktur, der Bau und Ausbau eines Tiefseehafens im pakistanischen Gwadar, die Verstärkung der pakistanischen Elektroenergiekapazität um mehr als ein Viertel und der Aufbau verschiedener Wirtschaftscluster entlang der CPEC haben die pakistanische Wirtschaftsentwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen seit rund fünf Jahren massiv unterstützt. Der Hafen von Gwadar soll auf eine Kapazität von 400 Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werden. Der Anschluss des von 40 Jahren US-gesponsertem Terror und Krieg massiv zerstörten und hungernden Binnenstaates Afghanistan an diese Entwicklungsregion und darüber hinaus an den Welthandel – inklusive der industriellen Supermacht China – bietet zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten auch für das Land am Hindukusch.
Afghanistan braucht dringend die Unterstützung der eurasischen Mächte. Als seien Krieg und Terror nicht genug, haben die USA dem Land auch noch seine Devisenreserven im Wert von neun Milliarden US-Dollar gestohlen. Russland, China und auch Iran haben ihrerseits nicht gerade überwältigend viele Gründe, den ehemaligen Exporteuren des islamistischen Terrors, der auch in ihren Staaten viele Opfer gekostet hat, mit freundlichen Geschenken beizuspringen. Und ob die Taliban in Zukunft zu einer friedlich-stabilen Nachbarschaft willens und in der Lage sind, wird sich erweisen müssen. Dennoch bleibt die Notwendigkeit, das strategisch wichtige Land in Zentralasien zu stabilisieren und zu einem wichtigen prosperierenden Faktor der transeurasischen Konnektivität und Wirtschaftsentwicklung zu machen. Afghanistan verfügt über wichtige Rohstoffressourcen wie Erdöl und Erdgas, aber auch über Kupfer, Eisen, Marmor, Kohle, Lithium, Kobalt, Gold, Chromeisen, Schwefel, Salz und Blei sowie über wichtige Rubin-, Smaragd- und Lapislazulivorkommen. Die Taliban unterzeichneten im Januar 2023 einen 541 Millionen US-Dollar schweren Vertrag mit der chinesischen Central Asia Petroleum and Gas Company (CAPRIC), welcher dieser die Ölförderung im afghanischen Amu-Darya-Becken erlaubt und der Kabul ohne eigenes Investment mit einem Anteil von 20 Prozent am Projekt ausstattet.
Einige Tage vor dem chinesisch-pakistanisch-afghanischen Treffen hatten sich die Staatschefs Chinas, Kasachstans, Kirgisiens, Tadschikistans, Turkmenistans und Usbekistans zu einem Zentralasien-Gipfel versammelt. Dort hatte Staatchef Xi Jinping chinesische Fördergelder im Wert von 3,7 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt. Der chinesisch-zentralasiatische Handel ist in den letzten 30 Jahren um das 152-Fache auf 70,2 Milliarden US-Dollar gestiegen. Die China-Central-Asia Gas Pipeline durchläuft Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan und versorgt China mit 423 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Der China-Europe Railway Express betreibt mittlerweile 73 Routen, welche 50 Städte in China und 168 Städte in 23 Staaten Eurasiens verbinden. Ein Anschluss an diese wichtigen pulsierenden Lebensadern würde für Afghanistan gewaltige Chancen eröffnen. Ein Ziel der BRI ist die friedliche Entwicklung bei gegenseitigem Respekt durch Investitionen in Infrastruktur, Handel, Industrialisierung und Kultur.
Da der 3.200 Kilometer lange CPEC vorwiegend über pakistanisches Gebiet verläuft, ist die Einbindung Pakistans in das afghanische Erweiterungsprojekt dringend angeraten. Das ist auch der Fall – und genau hier beginnt auch eines (!) der Probleme. Die illegale Entmachtung des gewählten pakistanischen Ministerpräsidenten Imran Khan und seine willkürliche Einkerkerung haben die Lage in dem nuklear bewaffneten Land mit geschätzt 160 Atomsprengköpfen hochgradig destabilisiert. Pakistans Außenminister Bilawal Bhutto Zardari hat in Islamabad den Vertrag zwar unterschrieben, aber es ist unklar, wie viel seine Unterschrift künftig wert sein wird. Millionen Pakistani sind auf den Straßen in Bewegung. Auf sie wird geschossen. Aber wer bewacht die Nuklearwaffen? Wer hat nun den Finger am Roten Knopf? Die Destruktivinteressen des US-Imperiums werden nicht nur in der Ukraine und Taiwan wirksam.